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Grüne nach Niedersachsen-WahlErfolg im Atomlager- und Mastland

Das grandiose Wahlergebnis der Grünen kommt nicht von ungefähr. Sie setzten konsequent auf Themen, bei denen man die höchste Kompetenz bei ihnen sieht.

Hat geklappt Bild: dpa

HANNOVER/BERLIN taz | Fast 14 Prozent – das ist für die Grünen in Niedersachsen ein absolutes Rekordergebnis. Seit der letzten Landtagswahl 2008 haben sie im zweitgrößten Flächenland knapp sechs Prozentpunkte hinzugewonnen. Und dass sie bei dieser Zitterwahl die Konstante für den Wechsel sind, zeichnete sich schon früh ab. Bangen musste Rot-Grün nicht um den kleinen Partner, sondern um die Frage, ob es bei der SPD reicht.

Dabei schwimmen die Niedersachsen-Grünen keineswegs nur auf der Erfolgswelle der letzten Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein oder guter Bundestrends mit. Schon bei der letzten Kommunalwahl 2011 waren sie die einzige Partei, die in Niedersachsens Kreistagen, Stadt- und Gemeinderäten deutlich gewonnen hat und landesweit auf fast 15 Prozent kam.

Auch bei der Landtagswahl zeigt sich jetzt: Zu den Grünen sind nicht nur WählerInnen aller anderen Parteien abgewandert, sie haben auch die Fläche erreicht. Mindestens 7 Prozent haben sie in allen Wahlkreisen geholt – selbst in erzkonservativen und agrarindustriell geprägten Gegenden wie Vechta oder Cloppenburg.

Im Wahlkampf haben sie mit Energie- und Agrarwende konsequent auf Themen gesetzt, bei denen man im Land der Atommülllager, Mast- und Schlachtindustrie die höchste Kompetenz bei ihnen sieht: Die sprechen den Grünen laut Infratest-Dimap-Umfrage fast 60 Prozent der befragten Niedersachsen in der Umweltpolitik zu. Fast die Hälfte traut ihnen die Lösung des Atommüllproblems zu, 35 Prozent eine kompetente Agrarpolitik.

Gespenstisch professionell

Zugleich liegen die Grünen bei der Glaubwürdigkeit mit 45 Prozent weit vor allen anderen Parteien. Und mit ihrem Fraktionschef Stefan Wenzel haben sie einen Spitzenkandidaten, der genau das repräsentiert: Im Landtag galten seine Grünen als die eigentliche Oppositionsfraktion. Wenzel selbst bringt eine hohe Integrität mit, agiert unaufgeregt, aber hartnäckig. Profiliert hat er sich vor allem in der Affäre um Exbundespräsident Christian Wulff (CDU) und bei der Aufklärung der Vorgänge um das marode Atommülllager Asse.

Der gute Auftritt der Grünen in Niedersachsen ist durchaus übertragbar auf die Bundespartei. Die Grünen im Bund kommen seriös, staatsmännisch und inhaltlich geschlossen daher – der wichtigste Grund, warum Umfragen sie konstant bei 13 bis 14 Prozent sehen, deutlich mehr als bei der Bundestagswahl 2009 (10,7 Prozent). Neben der SPD, die mit Steinbrücks Patzern hadert und eine Kluft zwischen Kandidat und Programmatik verwaltet, wirken die Grünen fast gespenstisch professionell.

Inhaltlich haben die Grünen die wichtigsten Themen längst auf Parteitagen geklärt – und so Streitpotenzial frühzeitig und basisnah abgeräumt. Ob die Partei dem schwarz-gelben Atomausstieg im Sommer 2011 zustimmen sollte, ließ die Führung ebenso per Parteitag entscheiden wie die Höhe des künftigen Spitzensteuersatzes. Und alle Vorschläge, die die Grünen machen, müssen gegenfinanziert sein.

Der Erfolg der Grünen beruht also auf der konsequenten Klärung von Inhalten, Basisnähe und einer fast bemüht wirkenden Seriosität. Spannend könnte allerdings noch werden, ob sich die Grünen eine Strategiedebatte leisten. Denn die Frage, was passiert, wenn es im September für Rot-Grün nicht reicht, ist nicht geklärt.

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12 Kommentare

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  • RA
    ralf ansorge

    andreas,ich bin schlecht bezahlter angestellter arbeiter und habe seit es für mich eine wahl gibt immer grün gewählt.,war sogar mal mitglied.o.k.,bin nicht gerade typisch aber ein paar mehr wie mich gibt es schon,sonst kommen solche ergebnisse nicht zu stande.die grünen machen auch klientelpolitik,aber nicht in dem unverschämten maß wie linke und fdp.sie sind halt wirkliche realpolitiker geworden,machen kaum unrealistische versprechungen.

  • J
    Jörg

    Niedersachsen ist nicht das Land der Mastindustrie und der Atommülllager, es ist das schönste Bundesland Deutschlands! Sie haben keine Ahnung!

  • T
    tazitus

    @Wahrheit:

    Blutspende am Wahltag. "Und tropf, tropf, machte das rote Blut. Und Jaja, sprach der grüne Oberlehrer."

     

    Tacuistisches Wählen muss wohl noch näher untersucht werden.. Bei gelb/schwarz oder auch bei rot/grün.

     

    Ansonsten: (http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_lateinischer_Phrasen/S#Si_tacuisses.2C_philosophus_mansisses.)

  • A
    andreas

    Die Grünen sind eine klassiche Klientelpartei. Denn weder wählen Arbeiter noch schlecht bezahlte Angestellte diese Partei.

    Es sind Kinder des Wohlstandes die dies tun. Die lassen sich bei all dem Wohlstand und ihrer intelligenz gern belügen. Erstaunlich ? Nein du mußt nur wissen wie dein Wähler tickt.

    Frau/Mann will einfach zu den Guten gehören, das ist was zählt.

    Und da weder Stromtrassen noch HARTZ-IV der Wählerschaft aus Städtern mit Festanstellung(Beamte wählen Grün) etwas anhaben kann wird grün gewählt.

     

    Als ROT/Grün im Bund war wurde kein Atomendlager geschlossen.

    Bin gespannt wie man sich jetzt die nächsten 5 Jahre winden wird, um bloß keine Entscheidung zu treffen. ;0)

  • W
    Wahrheit

    @ tazitus

     

    manchmal ist Schweigen besser, wie der Name schon sagt.

     

    Die SPD bekommt viele Stimmen von eigentlichen Grün Wählern, Denkern etc... aus der Angst heraus, dass diese Partei sonst komplett abstürzt, da sie seit langem nur noch anachronistisch agiert mit ihren verkleideten asozialen Oberpatriarchen.

     

    Wenn es mehr mutige Wähler und Bürger gäbe, hätte die SPD ein noch größeres Daseinsproblem so wie die FDP.

     

    Also, nur Mut.

  • DS
    Dennis Schwarz

    Stefan Wenzel bringt also eine hohe Integrität mit. Gibt es dazu auch eine Umfrage? Oder wie wird das gemessen? Oder ist es vielmehr eine Einschätzung der AutorInnen?

  • UT
    Uwe Teckenborg

    Das ist ja schön, dass die Grünen in Niedersachsen nach 30 Jahren sogar mal die "Fläche" erreicht haben und auch in sturzkonservativen Kreisen wie Vechta und Cloppenburg mindestens 7 Prozent holten. Eine gewisse Erdung schadet bekanntlich nie. Und die anderen ? Genau dort holt die CDU seit 40 Jahren 65-70% Stimmenanteile - incl. Direktmandat.

    In einer fiktiven Elefantenrunde zur Niedersachsenwahl hätte sich also der Grünenvertreter damit brüsten können, die CDU unter 75% gedrückt zu haben - ein epochales Ergebnis. Der CDU-Vertreter hätte dem nur ein süffisantes Lächeln entgegenzusetzen brauchen.

    Ja, wie weit sind wir denn ? Soweit sind wir schon !

  • D
    Detlev

    T. Havlicek & U. Schulte: Ja, die Grünen sind glaubwürdig, was aber auch daran liegt, dass man die sozialpolitischen Sünden von Schröder/Fischer eben Schröder zuschreibt. Aber egal, ich denke, dass die Grünen momentan die ideale Alternative zur SPD sind. Wer will schon den Millionärsvortragsredner am Ende wirklich im Kanzleramt sitzen haben? Niemand. Welcher Ministerpräsident ist mit Abstand am glaubwürdigsten, macht selbst bei schwierigen Situationen eine gute Figur? Winfried Kretschmann und das kommt nicht von ungefähr.

     

    Man muss es eben auch so rum sehen: Die SPD ist in sich ganz schön verkrustet, Menschen, die dort für Bewegung hätten sorgen können, sind wohl ausgetreten, verstorben oder zur Karteileiche mutiert. In den letzten vier Jahren sind die Defizite dieser Partei so deutlich, dass jeder, der ein Ende von Merkel wünscht, problemlos Grüne wählen kann. Selbst in der Sozialpolitik haben sich die Grünen mutiger, zugleich aber noch realistischer positioniert als die SPD, die mal so, mals so argumentiert.

     

    Der Nachteil am Erfolg der Grünen ist einfach: Ohne SPD, Linke, Piraten wird es keine Änderungen der Politik in Deutschland geben. Irgendwie müssen Partner her, denn 50 plus X sind nicht in Sicht, nicht mal in Baden-Württemberg.

  • J
    Jupp

    Bei der Förderung von Solarstrom scheinen sie mindestens nicht über soziale Kompetenz verfügt zu haben,

    und auf ALG II brauche ich in diesem Kompetenzbereich wohl nicht hinweisen.

     

    Natürlich können sie auch beim Thema Energie aus nachwachsenden Rohstoffen darauf verweisen, die anderen hätten nur bestehende Lücken ausgenutzt oder die Intentionen verfälscht,

    aber ob dies wirklich glaubhaft ist, muss jeder selbst entscheiden.

     

    In der Verkehrspolitik sind Elektroauto und Bahnprivatisierung nicht als Ruhmesblätter bekannt und trugen sie nicht auch dazu bei, den Mietwohnungbau zum Renditeobjekt zu machen?

  • H
    Hannes

    @Thomas Ebert: Ich finde den Artikel auch etwas zu positiv.

     

    Sie vereinfachen das Ganze ziemlich, die Grünen sind die Partei, welche gesagt, das mit der Endlagerung fkt. nicht so einfach, dies ist einer der Gründe wieso die Partei für den Atomausstieg gekämpft hat.

    Ihr jetzt zu unterstellen, dass unter Umweltministerin Merkel bewusst alles für ein politisch ausgewähltes Endlager bereitet wurde ist absurd.

     

    Kritipunkte wären die Sozialreformen mit Schröder oder auch die Zustimmung zu Militäreinsätzen und Wirtschaftlichenaivität in Bezug auf die Finanzmärkte.

  • T
    tazitus

    "...Das grandiose Wahlergebnis der Grünen kommt nicht von ungefähr...."

     

    Es kommt nicht von ungefähr. Genau. Es resultiert ebenso wie das grandiose Ergebnis der Gelben aus taktischem Splitting der Erst- und Zweitstimmen zwischen SPD und B90/Grüne. Die Menschen, die noch zur Wahl gehen, sind ja nicht doof.

  • TE
    Thomas Ebert

    Die hohe Kompetenz der Grünen in Sachen Atomendlager wage ich doch anzuzweifeln. Das einzige was die GRÜNEN hinbekommen haben war doch die zeitweise Beendung der Endlagersuche, also das genaue Gegenteil einer Lösung. Hieraus eine besondere Kompetenz abzuleiten ist mehr als abenteuerlich, zeigt aber das die alten Muster immer noch funktionieren. Eine Lüge muss nur oft genug wiederholt werden ...!