Grüne im Wahlkampf: Wir wollen nicht nur spielen
Zahlen Gutverdiener freiwillig höhere Steuern? Ein internes Strategiepapier zeigt, dass die Grünen mit Umverteilung sogar Wähler hinzugewinnen können.
BERLIN taz | In der Berliner Grünen-Zentrale atmete man auf. Die Partei legte am Dienstag in der Wählergunst um einen Punkt zu, sie käme laut Stern-RTL-Wahltrend auf 15 Prozent.
Einige Leitmedien hatten sich über die Steuererhöhungs-Pläne für Besserverdiener entrüstet und teilweise den Eindruck erweckt, die Grünen trieben die komplette deutsche Mittelschicht in die Armut.
Doch dieser Dreh kommt bei den Befragten nicht an. Zwei Drittel befürworten die von den Grünen geplante Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent für Jahreseinkommen über 80.000 Euro. Unter den eigenen Anhängern bejahen sogar 88 Prozent den Aufschlag für Gutverdiener, mit dem die Grünen unter anderem bessere Schulen und Entlastungen für schlechter Verdienende finanzieren wollen.
Die Grünen sehen darin den Beleg, dass ihre Wähler eine maßvolle Umverteilung akzeptieren. Sie erwarteten, dass die Partei etwas gegen die wachsende Ungerechtigkeit tue, sagt Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke. „Und dafür sind sie auch bereit, ihren Beitrag zu leisten.“
Die Vielleicht-Wähler
Ein internes Strategiepapier für Wahlkämpfer, das der taz vorliegt, zeigt die Chancen dieser Taktik auf. Hierfür wurden sowohl Grünen-Anhänger als auch das enge und weite Wählerpotential befragt. Das enge und weite Potential sind Menschen, die sich vorstellen können, grün zu wählen, aber noch nicht entschieden sind.
Die Vielleicht-Wähler. Diese Gruppen wollen die Grünen erschließen, um ihr Ergebnis im September zu maximieren.
Das interne Papier schlüsselt die Themenpräferenzen dieser Wähler auf und kommt zu sehr interessanten Ergebnissen. Das enge und weite Potential misst sozialer Gerechtigkeit eine größere Bedeutung zu als die überzeugten Grünen-Wähler.
30 Prozent des weiten Potentials nennen etwa Armutsbekämpfung und Renten als wichtigste Themen, 23 Prozent Arbeitslosigkeit und Beschäftigung. Die Klassiker Energiewende und Klimaschutz nennen 12 beziehungsweise 6 Prozent als Topthema.
Klima? Nicht so wichtig
Einfach gesagt spiegeln die Tabellen einen Trend: Je weiter man von dezidierten Grünen-Fans in potentielle Wählergruppen hinaus geht, desto wichtiger wird den Menschen soziale Gerechtigkeit. Gleichzeitig nimmt die Wichtigkeit von Klima-, Energie- und Ökothemen ab.
Nun gilt bekanntlich: Gute Sozial- und Schulpolitik ist kostspielig. Man kann deshalb vermuten, dass wichtige Zielgruppen der Grünen sehr offen für Belastungen von Gutverdienern sind.
Das Wahlziel ist jedenfalls ehrgeizig. Mehr als sechs Millionen Wähler wollen die Grünen im September für sich gewinnen. Bei einer ähnlichen Wahlbeteiligung wie 2009 entspräche das 13,6 Prozent. Damals schaffte die Partei 10,7 Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär