piwik no script img

Grüne fordern besseren HitzeschutzMehr Geld für Kommunen und Pflege

Die Grünen wollen, dass die Bundesregierung den Schutz vor Hitze verbessert. Ex­per­t*in­nen gehen die Vorschläge jedoch nicht weit genug.

Die Grünen fordern mehr Abkühlung, Vorzugsweise durch grüne Foto: Jens Kalaene/dpa

Berlin taz | Aufgrund der zunehmenden Hitze durch den Klimawandel fordern die Grünen, das Recht auf Hitzefrei gesetzlich zu verankern und für jede pflegebedürftige Person 200 Euro zur Verfügung zu stellen, um Pflegeeinrichtungen an die Erderhitzung anzupassen. Das geht aus einem Papier hervor, das die Abgeordneten Johannes Wagner und Julia Schneider verfasst haben, und das der taz vorliegt.

„Anstatt nur Ratschläge zum Umgang mit der Hitze zu geben, müssen endlich strukturierte Lösungen und ausreichende finanzielle Mittel bereitgestellt werden“, sagte Schneider der taz. „Wenn wir nicht heute in den Hitzeschutz investieren, werden die Folgekosten für die gesamte Bevölkerung in Zukunft ein Vielfaches höher sein.“

Das Grünen-Papier enthält zehn Forderungen, zum Beispiel nach mehr Schatten, Trinkbrunnen und kühlen Bibliotheken und Rathäusern, nach begrünten Fassaden und fünf Milliarden Euro, um Krankenhäuser mit Solaranlagen sowie klimafreundlicher Wärme- und Kälteerzeugung auszustatten.

Schneider warnt, nicht die Ursache für die nötigen Hitzeschutzmaßnahmen aus den Augen zu verlieren: „Ohne konsequente Klimapolitik werden sich die Hitzewellen weiter verschärfen und Schutzmaßnahmen langfristig an ihre Grenzen stoßen.“

Bedrohungslage noch größer, kritisiert Experte

Dem Robert-Koch-Institut zufolge sind in Deutschland bis Anfang August zwischen 700 und 2.450 Menschen aufgrund der Hitze gestorben, die meisten davon waren über 65 Jahre alt. 2022 waren es zwischen 3.000 und 6.000, in ganz Europa waren es 76.000. Die Hälfte davon war einer Studie zufolge auf die Erderhitzung zurückzuführen.

„Es ist sehr zu begrüßen, dass die Grünen das Thema Hitzeschutz auf die Agenda setzen“, sagt Max Bürck-Gemassmer, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit. Auch die Forderung nach ausreichender Finanzierung von Hitzeschutzmaßnahmen der Kommunen sei wichtig. Dafür sollten den Grünen zufolge auch Mittel aus dem 100 Milliarden Euro starken Sondervermögen Klimaschutz verwendet werden.

Im Papier fehle aber die Klarstellung, dass Hitzeschutz mehr sein muss als die Anpassung an „geringfügige Hitzebelastungen wie 2024 mit 3.000 Toten“ bedeute, sagte Bürck-Gemassmer der taz. Es gehe auch um extreme Hitzewellen, wie sie aktuell im Mittelmeerraum herrschen, die fünf, sechs oder sieben Grad heißer sind, mit Temperaturen über 40 Grad.

„Auf solche Temperaturen ist Deutschland katastrophal vorbereitet. Im Papier fehlt der Bezug auf solche extremen und gefährlichen Hitzewellen“, sagt Bürck-Gemassmer. Auch dieser Sommer sei bislang glücklicherweise mild gewesen.

Finanzierung bleibt etwas vage

Elisabeth Olfermann von der Arbeiterwohlfahrt Awo lobt, dass die Grünen den Hitzeschutz als Gerechtigkeitsthema betrachten. „Menschen haben sehr unterschiedliche Ressourcen, um sich vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen“, sagte sie der taz.

Auch die 200 Euro, die die Grünen pro pflegebedürftige Person an die entsprechenden Einrichtungen geben wollen, hält Olfermann für einen „spannenden Vorschlag“. Nur werde der Betrag für die Pflegeheime nicht ausreichen.

Gleichzeitig fehle die Frage der Finanzierung, weil die Grünen primär die Kommunen in der Pflicht sehen. Viele Sozialverbände und Kommunen fordern seit Jahren, dass Klimaanpassung als Gemeinschaftsaufgabe ins Grundgesetz aufgenommen wird.

Dadurch könnte die Bundesregierung Maßnahmen mitfinanzieren. Bislang ist das nicht möglich, weil Katastrophenschutz laut Grundgesetz Aufgabe der Kommunen ist und dementsprechend auch die finanzielle Verantwortung dort liegt.

Dass diese Forderung nicht im Grünen-Papier auftaucht, begründet Co-Autor Johannes Wagner damit, dass die Partei das Thema noch im Austausch mit dem Gesundheitswesen, den Kommunen und anderen Beteiligten diskutiere.

Nachbarschaftshilfe müsste größere Rolle spielen

Bürck-Gemassmer vermisst zudem die soziale Dimension des Hitzeschutzes im 10-Punkte-Plan, zum Beispiel die Nachbarschaftshilfe: „Wir brauchen auch Leute, die zu älteren Menschen nach Hause gehen, sich vor Ort kümmern und sie notfalls in kühle Räume bringen. Das wird in einer Hitzewelle nicht der Rettungsdienst tun können.“

Das Papier fokussiere sich stark auf die Anpassung von stationären Einrichtungen wie Pflegeheimen und Krankenhäusern. Die sei zwar wichtig – und noch nicht weit genug fortgeschritten -, aber „die Todesgefahr ist im häuslichen Bereich am größten“, warnt Bürck-Gemassmer. „Wir müssen größer denken.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare