: Grüne entschließen sich zum Machtkampf
■ Die Parteisprecherin Antje Radcke will nicht akzeptieren, dass Außenminister Joschka Fischer im grünen Koalitionsausschuss die Führung an sich zieht. Der sieht die Grünen in einer „existenzbedrohenden Krise“
Berlin (taz) – Den Grünen steht der nächste Streit ins Haus. Vorstandssprecherin Antje Radcke sagte im taz-Interview, sie wolle Joschka Fischers Griff nach der Führung im grünen Koalitionsausschuss „nicht einfach so akzeptieren“. Das Gremium soll ihrer Meinung nach wie bisher „im Team“ geführt werden.
Im Koalitionsausschuss sind die Fraktions- und die Parteispitze sowie die drei MinisterInnen der Grünen vertreten.
Auch Fischers Vorschlag, zusätzlich zum Amt des Bundesgeschäftsführers noch das eines Generalsekretärs zu schaffen, wird von vielen Grünen skeptisch aufgenommen. Vor allem gegen-über Fischers Wunschkandidaten, Werner Schulz, gibt es Vorbehalte. Der sächsische Bundestagsabgeordnete hatte bereits als Geschäftsführer der Fraktion keine glückliche Hand bewiesen.
Gunda Röstel, die von Werner Schulz vor drei Jahren in das Amt der Parteisprecherin gehievt worden war, ist inzwischen von der ständigen Kritik an ihrer Arbeit so genervt, dass sie wohl auf dem nächsten Parteitag nicht mehr kandidieren wird. Ihre Kollegin Antje Radcke will jedoch weitermachen – vorausgesetzt, es zeichnet sich auf dem Parteitag eine reelle Chance für sie ab. Voraussichtlich werden die Grünen ihren für März 2000 geplanten Bundesparteitag auf Januar vorziehen. Unklar ist allerdings, ob dort nur über die Änderungen der Satzung oder auch über KandidatInnen für den neuen Bundesvorstand abgestimmt werden soll.
Eine Mehrheit der Mitglieder des Koalitionsausschusses ist dafür, dass die Trennung von Amt und Mandat aufgehoben werden soll.
Sollte es für diese Strukturreform die nötige Mehrheit auf dem Parteitag geben, könnte die Berliner Fraktionschefin Renate Künast für das Amt der Parteisprecherin kandidieren, ohne ihr Mandat hergeben zu müssen. Damit würden die Chancen von Antje Radcke deutlich sinken. Radcke hatte sich bislang für das strikte Beibehalten der Trennung von Amt und Mandat ausgesprochen. Inzwischen hat sie ihre Meinung geändert und plädiert für „das teilweise Aufheben der Trennung“. Ihr Kalkül: So könnte sie neben einem prominenten Mandatsträger wie dem Stuttgarter Fraktionschef Fritz Kuhn in den Parteivorsitz gewählt werden.
Joschka Fischer sieht in einem Interview mit der Zeit seine Partei in einer „existenzbedrohenden Krise“, die auch die Regierungskoalition in Gefahr bringen könnte. Diese Krise werde sich verschärfen, wenn sich die Grünen nicht dazu durchringen, die Trennung von Amt und Mandat aufzuheben. Auch die Doppelspitze halte er „für kein gutes Instrument“ sagte er der Bild-Zeitung: „Aber ich muss es akzeptieren.“ Die neue Parteireform müsse bis zum Jahreswechsel stehen: „Sonst ist es zu spät.“ Der schleichende Machtverlust der Grünen erzwinge seine Rückkehr in die Innenpolitik: „Wenn die Mehrheit verloren geht, kann man nicht sehenden Auges abseits stehen. Dann muss so ein alter Jagdhund wie ich zurück ins Getümmel.“ Die Grünen dürften nicht als „schwächeres Glied der Koalition auftauchen“. Tina Stadlmayer
Patrik Schwarz
Interview und Bericht Seite 7
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