Grüne Spitzenkandidatur in Berlin: Ein Coup mit langen Folgen
Mit Bettina Jarasch einigen sich die Grünen auf eine unbekannte Überraschungskandidatin. Das ist ein Coup für die Partei. Aber wie sind ihre Chancen?
E ine solche Entscheidung im politischen Berlin geheim zu halten, ist eine Leistung. Schon seit mehreren Wochen diskutiert eine Gruppe von sechs führenden Grünen über einen durchaus kontroversen Vorschlag für die Spitzenkandidatur bei der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2021. Und nichts dringt nach draußen. Das ist ein Zeichen der Geschlossenheit der grünen Alphatiere.
Seit Montag ist es nun ganz offiziell: Bettina Jarasch soll die Grünen ins Rote Rathaus führen. Mit der 51-Jährigen tritt eine Frau an, die bei vielen Initiativen für Geflüchtete einen Namen und einen guten Ruf hat. Darüber hinaus ist sie aber in der Stadt wenig bekannt.
Und sie hat zwar fünf Jahre lang die grüne Partei in Berlin geführt – was kein Zuckerschlecken ist – und ist Vorsitzende des Pfarrgemeinderats der katholischen St. Marien-Liebfrauen-Gemeinde in Kreuzberg. Ansonsten aber hat Jarasch wenig Erfahrung in politischen Ämtern oder gar der Verwaltung.
Das könnte zum Problem werden, denn die direkten KontrahentInnen beim Wettrennen ums Rote Rathaus sind ausgewiesene Politprofis. Für die SPD wird die frühere Neuköllner Bürgermeisterin und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey antreten; für die Linke wahrscheinlich Kultursenator Klaus Lederer.
Wahlkampf offiziell eröffnet
Beide sind aber noch nicht offiziell gekürt. Das gibt Jarasch neben den guten Umfragewerten der Grünen immerhin einen kleinen Vorsprung in jetzt mit ihrer Kandidatur offiziell eröffneten Wahlkampf.
Jarasch muss die nächste Zeit nutzen, um sich zum einen bekannt zu machen. Vor allem aber muss sie zeigen, wofür sie inhaltlich steht: Wer ist diese Frau? Wofür brennt sie noch? Kann sie überhaupt Rotes Rathaus? Was versteht sie unter dem am Montag viel bemühten Begriff der „Brückenbauerin“ konkret? Und ist sie so integrativ, dass sie große Bündnisse auch in der Praxis umsetzen kann?
Mit der Entscheidung ihrer Führungsebene haben es die Grünen souverän geschafft, eine wichtige Personalfrage zu klären. Hätte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop oder Fraktionschefin Antje Kapek die Spitzenkandidatur übernommen, wäre das stets auch als eine Entscheidung gegen die jeweils andere gewertet worden. Darin steckte das Potenzial für einen langwierigen innerparteilichen Konflikt.
Nun haben sich erst mal viele Grüne für Jarasch entschieden. Doch das war ein Coup mit Folgen für die – sollte es nicht so gut laufen – zähe Zeit des Wahlkampfs: Denn sie haben sich gleichzeitig damit verpflichtet, diese Unterstützung durchzuhalten bis zum Wahltag.
Jarasch kann nicht alleine siegen. Sie braucht die Teamarbeit der Fraktion, der SenatorInnen, vor allem der Partei. Wie 2016, als sie Teil des vierköpfigen Spitzenteams der Grünen für die Berlin-Wahl war, steht Jarasch nun wieder an der Spitze. Nur, dass die anderen diesmal nicht neben ihr stehen, sondern hinter ihr. Hoffentlich.
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