Grüne Spitzenkandidatin im Wahlkampf: Die Mühen der Straße
Bettina Jarasch will Franziska Giffey als Regierende ablösen. Fünf Wochen bleiben ihr, die Wähler*innen zu überzeugen. Es wird ein knappes Rennen.
Während die Regierende Bürgermeisterin und SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey am Freitagmorgen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (auch SPD) dekorativ eine Feuerwehrwache im von der Randale besonders betroffenen Bezirk Neukölln besucht, kämpft die Verkehrssenatorin und grüne Spitzenkandatin Bettina Jarasch etwas später an der Frankfurter Allee gegen den Lärm der vorbeirauschenden Autos und Laster an. Hier ist das letzte Stück der vor allem zu Beginn der Coronapandemie entstandenen Pop-Up-Radwege an dieser Straße verstetigt worden.
Ganz frisch glänzt der rote Belag entlang der vielspurigen Bundesstraße 1, die an dieser Stelle mitten durch ein dicht bebautes Wohngebiet führt. „Ein Stück mehr Verkehrssicherheit“ sei die neue Radspur, sagt Jarasch und betont, dass dies nicht nur für Radler*innen gelte. Schließlich werde die Gefahr eines Unfalls reduziert, den sich auch keine Autofahrer*in wünsche.
Ein gutes Jahr ist Jarasch nun Verkehrssenatorin. Ihr Wahlerfolg am 12. Februar und der ihrer Partei, die erstmals in ihrer Hochburg Berlin stärkste Partei werden und Jarasch so zur Regierenden Bürgermeisterin machen möchte, dürfte wesentlich davon abhängen, ob Jarasch vermitteln kann, dass unter ihrer Führung endlich die Verkehrswende vorankommt. „Schritt für Schritt“ würden die Veränderungen umgesetzt, sagt Jarasch an diesem Freitag, sprich es werden Straßen umgebaut, Kreuzungen sicherer gemacht, bisherige Autoparkplätze fortan anders genutzt.
Bettina Jarasch, Verkehrssenatorin
Weil die 54-Jährige aber weiß, dass die oft detaillierte Kritik von Initiativen, Aktivist*innen oder einfach Anwohner*innen gerade hier im links-grünen Friedrichshain-Kreuzberg oft auf dem Fuß folgt, fügt sie hinzu: „Wir wollen schneller werden mit den Radwegen.“ Immerhin habe man im vergangenen halben Jahr so viele Maßnahmen umgesetzt wie im ganzen Jahr 2021; Radwege mit rund 26 Kilometer Streckenlänge seien gebaut worden. Ein Fortschritt, der darin begründet sei, dass sie ihre Verwaltung anders organisiert habe. „Ich habe geschaut, was mit dem derzeitigen Personal machbar ist.“ Und wie die Zusammenarbeit mit den Bezirken, die die Veränderungen baulich umsetzen müssen, besser funktioniere.
Will sie aber die Ziele des ambitionierteren eigenen Radverkehrsplans bis 2030 erreichen, reicht das nicht aus, auch das ist Jarasch bewusst. Der nächste Haushalt der rot-grün-roten Landesregierung werde da Schwerpunkte setzen, kündigt sie an. Doch selbst das würde nicht alle Probleme lösen. Die Verkehrswende umzusetzen ist aufwändige Feinarbeit mit vielen Beteiligten und Betroffenen.
Ein halbes Jahr habe es gedauert, dieses überschaubare Stück Radstreifen an der Frankfurter Allee umzusetzen, berichtet Jarasch. Das sei fix. Andere Pop-Up-Radwege harren derweil ihrer Verstetigung, etwa der an der nahen Petersburger Straße, ebenfalls im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Dort soll die Straße in der gesamten Breite umgestaltet werden samt Innenstreifen, zudem würden dann neue Wasserrohre verlegt. Daher mache eine kurzzeitige Umgestaltung allein des Radstreifens keinen Sinn, sagt Annika Gerold, grüne Verkehrsstadträtin im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Doch so dürfte bei vielen Radler*innen auf diesen Strecken das Gefühl bleiben, es verbessere sich nichts.
Unzufrieden mit der Verkehrssenatorin ist auch die Initiative, die sich für Tempo 30 auf der Frankfurter Allee einsetzt. Knapp zehn ihrer Mitglieder sind ebenfalls zu dem Pressetermin mit Jarasch gekommen, auf Schildern mahnen sie schnelle Verbesserungen an. Seit einem Jahr seien sie aktiv, berichtet ein Mitglied der taz. Jarasch wirft er vor, die Initiative zu ignorieren. Die widerspricht. Natürlich kenne sie das Anliegen, auch sei ihre Verwaltung mit der Gruppe im Gespräch, auch sie möchte viel mehr Tempo-30-Zonen.
„Machen Sie weiter Druck“
Doch das einfach anordnen könne sie an dieser Straße nicht. Es handle sich schließlich um eine Bundesstraße, da sei das derzeit nur für kleine Teilstrecken möglich, etwa aus Lärmschutzgründen oder bei besonderer Gefährdung. „Das Absurde ist: Da muss der Unfall aber erst passiert sein“, sagt Jarasch. Sie hofft auf die von der Ampel-Regierung im Bund angekündigte Veränderung des Straßenverkehrsrechts, die von der FDP blockiert werde. „Wir löchern den Bund auf allen Ebenen“, berichtet die Senatorin. Der Initiative rät sie derweil: „Machen Sie weiter Druck, wir brauchen den auch.“ Das soll keineswegs hilflos klingen, kann aber so ankommen.
Druck auf die Grünen macht derweil auch die SPD. Der größte Koalitionspartner, der mit Franziska Giffey die Regierende Bürgermeisterin stellt, hat die Verkehrswende als Thema im Wahlkampf für sich entdeckt und will so den Grünen Stimmen abjagen. „29-Euro-Ticket für alle“, heißt es auf den Plakaten. Die Sozialdemokraten hatten im vergangenen Herbst in einem Überraschungscoup verkündet, nach dem Auslaufen des in Berlin besonders beliebten bundesweiten 9-Euro-Tickets für den öffentlichen Nahverkehr eine berlineigene Übergangslösung anzubieten – ohne dass dies jedoch mit dem Verkehrsverbund, den Grünen oder Brandenburg abgesprochen war.
Nun gibt es seit Oktober und bis zur Einführung des 49-Euro-Tickets durch den Bund ein 29-Euro-Ticket in Berlin – das die SPD gerne fortsetzen möchte. „Ich freue mich, dass die SPD etwas will, das ich umgesetzt habe“, kommentiert Jarasch die plakative Forderung knapp und fordert damit zumindest einen Teil der Urheberschaft für das – erneut sehr erfolgreiche – Ticket ein. Doch verlängern wollen es die Grünen nicht: Sie setze sich für ein 29-Euro-Ticket ein, mit dem auch in Brandenburg und darüber hinaus gefahren werden kann, und zwar für jene, die sich das 49-Euro-Ticket nicht leisten können, so die Senatorin. Überhaupt arbeite sie mit dem Verkehrsverbund Berlin Brandenburg an einem komplett neuen Tarifsystem. Diese Argumentation ist komplexer als das Gießkannenprinzip der SPD – aber findet sie auch Gehör?
Nach einer knappen halben Stunde Termin schwingt sich die Verkehrssenatorin auf ihr neues schwarzes Dienstrad – explizit kein E-Bike, wie sie betont – und radelt weiter Richtung Alexanderplatz. Auf der Verlängerung des frisch eingeweihten Radstreifens geht es an einigen holprigen und anderen recht gefährlichen Stellen vorbei, obwohl die Karl-Marx-Allee hier fast unendlich Platz bietet. Zu tun für die Verkehrswende, das zeigt sich selbst hier, mitten in der Innenstadt, gibt es noch viel. Die Wahl aber ist schon in fünf Wochen.
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