: Grüne Einknick-Männchen
Bei den Koalitionsverhandlungen von SPD und Grünen knirscht es gewaltig. Weil sich die Grünen bei ihren Themen bislang nicht durchsetzen, stehen sie besonders in der Kritik
Von André Zuschlag
Das Gesicht des grünen Fraktionschefs Anjes Tjarks bei der gemeinsamen Pressekonferenz am Sonntagabend sprach Bände: Grimmig schaute er drein nach einem sich hinziehenden Verhandlungstag, während sein Gegenüber, SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf, gutgelaunt von einem „sehr, sehr guten Ergebnis“ sprach, das in den Koalitionsverhandlungen zwischen Rot und Grün beim Thema Verkehr erzielt worden sei. Dass auch Tjarks die Gespräche später als „konstruktiv“ bezeichnete, kann getrost als Makulatur bezeichnet werden. Denn die Grünen scheinen sich bei ihren Themen nur bedingt durchzusetzen. Und der Druck auf den eigentlichen Wahlsieger steigt.
Die zu Beginn noch locker gelaufenen Koalitionsverhandlungen sind nun in ihrer trübsten Phase angekommen. Nahezu harmonisch waren zuvor die Themen Kultur, Wissenschaft und Bildung geklärt worden – hier will man einfach die bisherige Politik fortsetzen. Doch jetzt hakt es bei der Verkehrspolitik.
Großspurig waren die Grünen mit der Forderung nach dem jährlichen Neubau von 100 Kilometern Fahrradwegen in die Verhandlungen gegangen. Als „wichtigste Säule einer Verkehrswende“ sehen sie den Radverkehr an. Und mit den geforderten 100 Kilometern hätte sich die angepeilte Zahl an Streckenkilometern gegenüber dem vorigen Koalitionsvertrag verdoppelt. Doch nun einigten sich die Verhandler*innen auf eine lediglich geringe Erhöhung um zehn Kilometer. Und selbst diese Zahl, das wissen auch die Grünen, ist bislang fern jeder Realität. Bei nur 35 Kilometern lag die durchschnittliche Bauleistung in den vergangenen Jahren.
Vertagt hingegen wurde die Frage nach dem Ausbau der Autobahn 26, die die A7 und die A1 im Süden Hamburgs verbinden soll. Die Grünen können mit diesem Projekt nichts anfangen. Auch das Thema Flughafen ist ungeklärt. Dort soll es nach grünem Willen weniger Starts und Landungen geben und die Betriebszeiten insgesamt verkürzt werden. Beide Themen wurden aber am Sonntag einfach ausgeklammert und sollen nun in der Verhandlungsrunde über Wirtschaftsfragen auf den Tisch kommen.
Bislang, so scheint es, hat sich in den Streitfragen meist die SPD durchgesetzt. Das sorgt bei vielen Grünen für Verdruss. Die SPD spiele den „dicken Max“, heißt es im Fraktionsumfeld. Dort tue man so, als habe es bei der Bürgerschaftswahl „die Wahlverluste einerseits und die grünen Zugewinne nicht gegeben“.
Auch die Coronapandemie dürfte für Kraftstrotzen bei den Genoss*innen sorgen. Denn präsent sind seitdem nur die von der SPD geführten Ministerien. Im Unterschied etwa zum sozialdemokratischen Finanzsenator Andreas Dressel haben die grünen Senator*innen derzeit wenig zu melden.
Und nun wächst auch noch der Druck. Denn nicht die SPD wird für die faden Ergebnisse kritisiert – von ihr dürften viele ohnehin wenig Ökologisches erwartet haben –, sondern die Grünen. „Wir fordern nach den bislang eher mäßigen Zwischenergebnissen nun klare Eckpunkte für eine umfassende Verkehrswende“, mahnt etwa Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer des Umweltverbandes BUND. In der Pflicht sieht er vor allem die Grünen: „Wir erwarten jetzt – auch durch die gestärkten Grünen – einen richtigen Schub in den nächsten fünf Jahren“, sagt Braasch.
Die Linksfraktion beginnt derweil schon, den Grünen die Themen streitig zu machen. Sie mahnt, dass Hamburg eine autofreie Innenstadt brauche, um die Luftqualität zu verbessern und die Menschen aufs Fahrrad zu bewegen. Bei den Koalitionsverhandlungen war das bislang ein Randthema. Und auch die Einrichtung einer sogenannten Pop-up Bike Lane, also eines temporären Fahrradweges auf der Straße, die die potenziellen Koalitionäre für eine kurze Strecke in der Hafencity beschlossen haben, hält die Linke für jämmerlich wenig. „Kein Wunder, dass die SPD gestern von guten Verhandlungen sprach: Die Grünen sind mal wieder eingeknickt“, sagt die verkehrspolitische Sprecherin Heike Sudmann.
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