Grüne Berlin: Arbeiten am Rollenwechsel
Macht weg, Posten weg, Personal weg: Die Grünen-Fraktion findet sich auf ihrer Klausurtagung bei Nauen in ihre neue Position als Opposition hinein.
Bei dieser Partei wird oft vergessen, dass sie eigentlich an der Bewahrung der Schöpfung arbeitet – die Grünen haben also durchaus ein konservatives Element. Und so ist ihre Abgeordnetenhausfraktion zur Klausurtagung auch wieder ins Landgut Stober gefahren, rund 15 Kilometer südlich von Nauen, wo auch der rot-grün-rote Senat einmal tagte. Irgendetwas muss ja Bestand haben nach all dem Verlust an Macht, Posten und Personal nach der Abgeordnetenhauswahl vom Februar und dem Regierungswechsel zu Schwarz-Rot.
Zur Tradition der Tagung gehört auch die Joggingrunde am Sonntagmorgen. Doch selbst dort macht sich die neue Situation bemerkbar: Meike Niedbal, die bei der Fraktionsklausur im Mai 2022 noch als Staatssekretärin mitlief, ist nicht mehr dabei – Oppositionsparteien haben keine Staatssekretärinnen. Ex-Verkehrssenatorin Bettina Jarasch, nun Fraktionschefin, kommt hingegen gut gelaunt zum Treffpunkt um acht – wobei Jarasch sowieso eher selten anders zu erleben ist. Daran ändert auch der viel kritisierte Radweg-Planungs- und Baustopp ihrer CDU-Nachfolgerin im neuen Senat nichts.
Der Vorstoß von CDU-Verkehrssenatorin Manja Schreiner ist auch immer wieder Thema, als die Fraktion in den inhaltlichen Teil der Klausur startet – und sei es nur kopfschüttelnd angesichts des Kommunikationsdesasters, das Schreiner bislang nicht in den Griff bekommt.
Es geht eingangs darum, Klimaschutz und die Bereitschaft zu Veränderungen breiter zu vermitteln. Mehrere Gäste beschreiben dabei, wie wichtig Anknüpfungspunkte sind. Eine Ökologie-Professorin erinnert daran, dass auch die Kirchen mit dem Ziel der Schöpfungsbewahrung in die gleiche Richtung gehen wie die Grünen – sie erwähnt sogar Papst Franziskus, in dessen erstem Rundschreiben, der Enzyklika „Laudato si“, es um Umweltschutz ging.
Auch Gewerkschafter zu Gast
Zu Gast ist zunächst ein Industriegewerkschafter, den Jarasch mit den Worten einführt, man habe sich ja schon kennen gelernt, „als Grüne und Gewerkschaften noch Lieblingsfeinde waren“. Als Grünen-Spitzenkandidatin hatte Jarasch im Januar, noch kurz vor der Wahl, ein gemeinsames Papier mit der IG Metall vorgestellt und von „Berlin-Brandenburg als Kern einer Re-Industrialisierung Ostdeutschlands“ gesprochen. Und so referiert vor der Grünen-Fraktion ein Mann, der laut Jarasch nicht nur Gewerkschafter, sondern auch Sozialdemokrat und Dieselfahrer ist. Auch ihm ist wichtig, gemeinsame Punkte zu finden – „man muss nicht immer einer Meinung sein, aber man muss ordentlich miteinander umgehen“, sagt er.
Zu Besuch ist an diesem Morgen auch eine Frau, an der sich der Rollenwechsel der Berliner Grünen besonders gut zeigt: Petra Budke, die Fraktionschefin der Brandenburger Grünen. Die waren über Jahrzehnte quasi die arme Verwandtschaft der so lange erfolgreicheren Hauptstadt-Grünen – und liehen sich 2004 sogar den früheren Berliner Fraktionschef Wolfgang Wieland als Spitzenkandidaten für die Landtagswahl aus. Erfolg hatte das allerdings damals zunächst nicht: Noch bis 2009 mussten die Grünen warten, um nach 15 Jahren überhaupt wieder ins Potsdamer Parlament zurückzukehren, geschweige denn in die Regierung.
Nun aber gehört Budke einem Landesverband an, der seit 2019 in einer Kenia-Koalition mitregiert, während die Berliner Nachbarn seit Ende April in der Opposition sind. Sie nimmt die durch den Krieg in der Ukraine so plötzlich entstandene Debatte um die Schwedter PCK-Raffinerie als Beispiel dafür, wie schwierig abrupte Veränderungen zu vermitteln sind. Der Pankower Abgeordnete Andreas Otto knüpft daran an und erinnert an einen Tag im Jahr 2022 in Schwedt, „als morgens Greenpeace demonstrierte, weil denen der Wandel nicht schnell genug ging, und nachmittags die Gewerkschaft, der das zu schnell ging“.
Mehr Abgeordnete
Der Blick in den Tagungssaal im Landgut Stober, einer Ansammlung von aufgehübschten Backsteinbauten am idyllischen Groß Behnitzer See, zeigt dabei das Besondere, ja Widersprüchliche an der neuen Rolle des Grünen. Denn in dem Raum sitzen nicht weniger, sondern mehr Abgeordnete als bei Tagungen zu Regierungszeiten: Im neuen Parlament hat die Fraktion 34 statt zuvor 32 Mitglieder und damit so viele wie nie zuvor.
Auch das sorgt dafür, dass nicht gerade Demut oder etwa Kleinmut herrscht angesichts des verpassten klaren Wahlziels – Jarasch ins Rote Rathaus zu bringen. In einem einstimmig beschlossenen Papier zur Oppositionsrolle ist nichts von Fehlern im Wahlkampf zu lesen, die zu berichtigen wären. Allein die Ankündigung, „noch mehr“ mit möglichst vielen Berlinern zu sprechen, lässt sich als Korrektur einer teils auf die eigene Blase konzentrierten Politik verstehen. Selbstbewusstsein hat die Fraktion weiterhin genug. Ein zentraler Satz des Papiers lautet: „Berlin geht nur grün und gerecht.“
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