Senatsklausur auf dem Landgut Stober: Investorenethik und Kettensäge

Der Senatsausflug ins Grüne aufs Landgut Stober erinnert unseren Autoren an eine unschöne Begegnung mit dem Besitzer des Landguts in den 90er Jahren.

Die Berliner Senatsriege auf einer Wiese vor roten Backsteingebäuden

Landpartie ganz ohne Säge: Die Berliner Se­na­to­r:in­nen bei ihrer Klausur auf dem Landgut Stober Foto: Annette Riedl/dpa

Der Berliner Senat hat sich am Wochenende in Klausur begeben. Um in Ruhe über die „Zukunftshauptstadt“ und die Wohnungspolitik parlieren zu können, fuhren die Se­na­to­r:in­nen ins Grüne auf das Landgut Stober, kurz hinter Nauen.

Das ist ein symbolträchtiger Ort. Ursprünglich hieß es Landgut Borsig, benannt nach dem Industriellen August Borsig, der sich schon früh für so etwas wie Sozialstaat einsetze. Inzwischen wurde es zu einem Tagungshaus umgebaut. Es bewirbt sich als mehrfach preisgekröntes Bio-Hotel, das dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Das Gut arbeitet mit Bioland und Demeter, wurde als nachhaltigstes Hotel Deutschlands ausgezeichnet und ist Mitglied des Netzwerks Ethic Society, in dem sich Unternehmer austauschen können. All das klingt super für eine rot-grün-rote Landpartie. Vielleicht zu super.

Seinen heutigen Namen hat das Landgut von Michael Stober, der es im Jahr 2000 als Ruine erwarb. „Man kann sagen, ich hatte eine Vision“, sagte er später. Doch ähnlich wie das Landgut hat auch Stober eine Geschichte. Er war mal Punk, mal im Himalaya, mal Fotografie-Student in West-Berlin, hieß in einem Portrait über den heute 63-Jährigen. In den 90ern sanierte er Wohnhäuser in Berlin, eigene und die anderer Investoren, bis er 500 Mitarbeiter und 5.000 Mieter hatte. Irgendwann, hieß es in dem Portrait weiter, merkte Stober, was er nicht wollte: „von windigen Auftraggebern benutzt zu werden.“ So kann man das nennen, wenn man versucht seinen Lebenslauf zu sanieren.

Ich habe Michael Stober im Oktober 1993 kennengelernt. Damals leitete er einen Trupp von rund 40 Männern. Sie brachen eines Morgens mit Kettensägen und Rammböcken die Türen des Hauses Kastanienallee 77 in Prenzlauer Berg auf – um die dort lebenden Be­set­ze­r:in­nen rauszuschmeißen. Ich war einer von ihnen. Wir, die Besetzer:innen, riefen die Polizei, die dann Stobers Räumtrupp vom Grundstück verwies. „Verkehrte Welt in der Kastanienallee“, hieß es damals in der taz.

Rabiater Umgang gehörte zum Alltag

Auch mit Mie­te­r:in­nen anderer Häusern gingen Stober und sein Investor Hans Kirchenbauer rabiat um. „Aufgebrochene Keller, Pfuschmodernisierung und unterlassene Instandsetzungsarbeiten gehören in Kirchenbauer/Stober-Häusern zum Alltag“, hieß es in der taz nach einem Mie­te­r:in­nen­tref­fen im Abgeordnetenhaus, zu dem die Grünen geladen hatten.

Aber sehen wir das Gute an der Geschichte: offenbar kann sich jeder Mensch wandeln. Und das Hausprojekt K77 wurde dank langer Verhandlungen an Runden Tischen legalisiert. Es besteht bis heute und ist auch für das dortige Lichtblick-Kino bekannt. Das Hausprojekt wurde von einem gemeinnützigen Verein in Erbpacht erworben, Spekulationsgewinne sind ausgeschlossen, die Mieten traumhaft niedrig. Kurz gesagt: wenn Rot-Grün-Rot Inspiration für seine neue Wohnungspolitik sucht, sollte es dort Inspiration finden. Jedenfalls eher als beim Kuscheln mit harten Hunden im modischen Schafspelz.

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