Gründer von neuer Print-Zeitschrift NBIZ: „Online lesen möchte ich nicht“
Inmitten des Zeitungssterbens hat der Artdirector Johannes Beck eine Print-Zeitschrift gegründet. Ist das oldschool oder Avantgarde?
Selbst wer das Handy nur für Tiktok nutzt, hat es mitgekriegt: Auflagenschwund, Zeitungssterben, Stellenabbau, Infantilisierung einst seriöser Marken wie „Spiegel“ mit boulevardesken Überschriften und Ratgeberbeiträgen. Aus Angst, Generation Z und Alpha zu verlieren, werden Entscheidungen an KI deligiert und Social-Media-Redakteure gesucht, obwohl Suchergebnisse bei Meta und Google längst von bezahlter Produktwerbung dominiert werden, egal wie toll man sich bemüht, User von dort zu Onlineangeboten alter Sender oder Medienhäuser rüberzuschaufeln.
In diesem Umfeld und um die 15 Jahre, nachdem – Vorhersagen zufolge – die letzte papierene Zeitung hätte eingehen müssen, landet in Metropolen in Cafés und Galerien ein neues Presseprintprodukt: „Slow Journalism“. Seit Anfang des Jahres die „Neue Berliner Illustrierte Zeitung“. Voller Kritik und Kunst, mit Postern und unvorhersehbaren Beiträgen. Der Blattmacher Johannes Beck hat genügend Freunde und Sympathisanten, von Nick Cave über Neubauten und Kunst- wie Schauspiel-Geeks, um das durchzuziehen. Klingt irre. Ist es natürlich auch.
taz: Zum Launch eines neuen Mediums würde jeder Banker sagen, eher prompt als verlegen: Was ist eure Social-Media-Strategie?
Johannes Beck: Mein erstes Votum war: „Internet? Nö.“ Dann meinten aber auch Freunde, wir brauchen unbedingt eine Onlinepräsenz. Denn als Erstes hören die Leute was, dann gucken sie nach. Deshalb habe ich mich breitschlagen lassen, eine entsprechende Unterseite einzurichten.
Johannes Beck, Jahrgang 1959, ist freier Artdirector und Gestalter. Neben Logoentwicklung und Corporate hat er einen Schwerpunkt in Editorial Design und Zeitschriftenentwicklung.
taz: Schwer zu finden, wo ist die?
Beck: Auf nbiz.minus.de, der Site meiner Agentur. Da kann man zumindest schon mal die Cover sehen.
taz: Als Statement für Papier?
Beck: Exakt. Sodass die Leute hingehen, sich totsuchen – und nichts finden. Trotzdem existiert das. Das hat doch was. Unter dem Radar zu bleiben, ist natürlich schwierig, wenn man eine höhere Auflage fahren möchte, damit auch hochpreisigere Anzeigen geschaltet werden. Doch da gerät man wieder in das alte Modell – das Spiel mit Clicks etc. –, und schon bist du wieder in dieser Schiene drin. Das wollen wir umgehen. Eventuell werden wir ab und zu Inhalte auch online stellen. Wenn jemand kommt, der das gerne macht. Aber erst mal gilt: nicht ich.
taz: Ist das nun oldschool oder Avantgarde?
Beck: Wer weiß. Alle haben CDs und Schallplattensammlungen weggeworfen, dann kam Vinyl wieder zurück. Inzwischen kommen die alten Vinyl-Presswerke bei der Nachfrage gar nicht mehr mit. Dasselbe wird mit Film passieren.
taz: Dabei reden alle vom Zeitungssterben …
Beck: Ich finde es schade, dass viele Zeitungen eingehen oder dichtmachen. Denn online lesen möchte ich nicht, oder wenn, dann nur notgedrungen. Zum anderen findet man in der Zeitung – anders als online – eben auch Sachen, die man gar nicht gesucht hat. Neulich in der FAZ was zum Habermas-Buch. Auch mag ich die Haptik. Ich arbeite am Rechner, seit es Computer gibt, und in meiner Freizeit möchte ich Sachen in die Hand nehmen. Nicht mit dem Laptop auf dem Klo sitzen. Das ist ganz profan. Und was soll an Online besser sein?
taz: Die Frage stellen sich immer mehr Leute, speziell unter denen, die online früh dabei waren.
Beck: Es ist auch nicht umweltfreundlicher. Mit Online findet eine Einsparung von Personal statt. Und ich gehöre zur Generation Babyboomer. Ich mag gedrucktes Papier. Die Auseinandersetzung habe ich ständig mit Leuten, die Kataloge für Künstler machen, online und PDFs. Wenn jemandem der Künstlervater gestorben ist, macht man doch kein PDF. Da will man was im Regal stehen haben. Mit einer bestimmten Wertigkeit. Und das ist mein Ding. Nicht nur als Grafiker.
taz: Mit Grafik hast du angefangen, als fast niemand Computer oder schnurlose Telefone – C-Netz – hatte, die meisten nicht mal Fax oder BTX (Bildschirmtext, ein früher interaktiver Onlinedienst, Anm. d. Red.). Hat man da noch mit Rasierklinge und Klebstoff gearbeitet?
Beck: Ja zu allem. Und mit Fixogum, dann Wachsmaschinen. Für eine Schülerzeitung hatten wir einen Matrizen-Drucker benutzt, der war von meiner Mama, bei uns im Keller. Nach dem Abi habe ich beim Pflasterstrand gearbeitet, 1980 bin ich dann von Frankfurt nach Berlin. Die Idee war, ein paar Jahre was mit Medien zu machen, dafür wollte ich nach Hamburg. Zuerst bin ich aber zu meiner Freundin nach Berlin. Die hatte einen Job im Schwarzen Café, eine Wohnung – und so bin ich hier gelandet. So richtig mochte ich die Stadt eigentlich nicht, Berlin war eine Gated Community, zugesperrt auf beiden Seiten. Ein Zoo. Ist es immer noch.
taz: Damit wären wir in der Gegenwart. Ist die Neue Berliner Illustrierte Zeitung gedacht als Wegweiser im Zoo?
Beck: Sie ist überregional angelegt. Die Neue Zürcher Zeitung verkauft sich ja auch im ganzen deutschsprachigen Raum, genauso die Frankfurter Allgemeine und die Süddeutsche. Das ist auch die Idee für die NBIZ. Die dritte Ausgabe erscheint zur Buchmesse, wo wir nach Partnern suchen, die uns beim überregionalen Vertreiben des Blatts helfen. Das Schöne an dieser ganzen Geschichte ist, dass inzwischen die Mindestauflage 1.000 Stück ist. Früher brauchte man für weniger als 20.000 bei einer Druckerei gar nicht erst anzuklopfen.
taz: Das Blatt profitiert demnach von der Zeitungskrise?
Beck: Genau, weil sich die Bedingungen total geändert haben. Und um unaufgeregte Sachen zu bringen. Für die letzte Ausgabe war „50 Jahre No Future“ das Thema. Weil nicht alle Texte rechtzeitig kamen, war das andere Thema der ersten Nummer „Konferenz der Tiere“.
taz: Tiere, Punk, Appelle und Kunstposter: Wie ließe sich die inhaltliche Ausrichtung zusammenfassen?
Beck: Die NBIZ ist ein Pop-Produkt. Die Klammer ist Literatur – Kunst – Gesellschaft, also Philosophie. Alles ist Politik, das muss nicht draufstehen. Im Grunde ist alles politisch. Es geht darum, nicht das zu machen, was andere schon gebracht haben. Und eben nicht wie eine Regionalzeitung mit Lokalteil. Wir haben natürlich ein paar Hefte nach Köln geschickt, auch Frankfurt, Stuttgart, nur noch nicht München. Alle Exemplare sind gut weggegangen, aber von einem richtigen Verkauf kann nicht die Rede sein.
taz: Wegen dem Straßenverkauf durch Obdachlose hielten einige die NBIZ für ein Obdachlosenprojekt.
Beck: Anfangs haben wir mit dem Gedanken gespielt. Aber wenn jemand die Zeitung verkauft, ob obdachlos oder in Buchläden, wird der Aufwand zu kompliziert, genauso Buchhandlungen oder Galerien. Die vorher anzurufen und zu fragen, wollen sie, danach Abrechnung und Remittenden: so ein Aufwand ist nicht drin. Denn dann wollen Verkaufsstellen Mediadaten, dann müssen sie alles Mögliche sehen. Für einen kleinen Betrieb ist das – neben dem redaktionellen Aufwand – einfach nicht zu stemmen.
taz: Der Preis von zwei Euro ist ja auch eine interessante Ansage …
Beck: Das ist natürlich ein Kampfpreis. Der ist dem geschuldet, dass wir über den Verkauf bislang ohnehin fast nichts verdienen. Vielleicht ändert sich das noch. Aber erst mal zwei Euro, da kann man nicht Nein sagen. Und es war auch die Idee dahinter: Man macht ein Ding, das ist eine Überraschung, und es soll jedes Mal überraschend sein. Und das kostet dann zwei Euro. Da lohnt es sich immer neu, reinzuschauen.
taz: Einfach starten, losmachen und gucken, was passiert: fast wie 1981, Berlin?
Beck: Do it yourself. Yeah. Wir sind 2024 mitten in gesellschaftsspaltenden Konflikten, umgeben von Kriegen, und da bleibt einem keine andere Wahl.
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