Grün-schwarze Sondierungen in BaWü: Eine schräge Partnerschaft
In Baden-Württemberg versuchen sich Grüne und CDU an der politischen Quadratur des Kreises: der ersten grün-schwarzen Regierung.
Dass das angesichts erheblicher inhaltlicher Differenzen nicht einfach wird, zeigte sich bereits vor einer Woche: Fünf Stunden intensives Ringen brachten die Koalitionspartner in spe hinter sich, bevor die eigentlichen Gespräche überhaupt aufgenommen wurden. Dabei ging es nicht um die vielen heiklen Themen, sondern allein um die geeignete Location für die Sondierungsgespräche.
Kretschmann hatte dem CDU-Team um Landeschef Thomas Strobl und den gescheiterten Spitzenkandidaten Guido Wolf die Schmach erspart, hoch hinauf in sein Staatsministerium in der Villa Reitzenstein steigen zu müssen. Ausgeguckt war das renommierte Haus der Architekten, weil dort aber vor fünf Jahren die grün-rote Landesregierung ausgehandelt worden war, sperrte sich Strobl so anhaltend, dass Kretschmann schließlich nachgab. Motto: Wenn ihr keine anderen Sorgen habt …
Dabei hat die CDU davon überreichlich: Fünf Jahre lang redete sie die grün-rote Koalition und deren Regierungschef schlecht, torpedierte nahezu alle Reformprojekte. Ihr Wahlprogramm „2016–2021“, das natürlich „Regierungsprogramm“ hieß, schwelgt in Wendungen wie „Grün-Rot hat die Herausforderungen des demografischen Wandels aus den Augen verloren“, „Grün-Rot hat keinen Sinn für Familie“, „Grün-Rot stellt Ideologie über das Wohl der Kinder“, „Innere Sicherheit ist bei Grün-Rot in schlechten Händen“. Kein Wunder, dass jetzt das Abrüsten schwerfällt.
CDU-Basis mag Grüne nicht
„Unsere Basis hält eben wenig von den Grünen“, sagt ein früherer Landrat am Mittwoch in Stuttgart am Rande der Trauerfeierlichkeiten für den früheren Ministerpräsidenten Lothar Späth. Deshalb müsse ein Mitgliederentscheid über Grün-Schwarz „um jeden Preis verhindert werden“.
So weit sind die Verhandler aber ohnehin noch nicht. Jetzt müssen Oberziele, die laut Kretschmann in den bisherigen Runden „vertrauensvoll und sachlich“ definiert wurden, mit Inhalten gefüllt werden. Während Wolf dabei intern der Part zufällt, die Hürden wenigstens schon mal zu benennen, muss Landesparteichef, Merkel-Vize und Schäuble-Schwiegersohn Strobl seine Leidenschaft für die Verästelungen der Landespolitik wachküssen.
Was die großen politischen Linien angeht, liegen Grüne und Christdemokraten in Baden-Württemberg gar nicht so weit auseinander. Geht man aber in die Details, sieht es in vielen Punkten ganz anders aus:
Verkehr: Die Grünen wollen die bestehende Infrastruktur besser nutzen und den Radverkehr weiterentwickeln. Die CDU dagegen setzt im Autoland Baden-Württemberg auf den Straßenbau und will dafür eine Milliarde Euro lockermachen.
Schulen: Die Grünen wollen die Gemeinschaftsschulen stärken, die CDU will Realschulen, Gymnasien und berufliche Schulen besonders fördern – und keine neuen Gemeinschaftsschulen mehr genehmigen.
Integration: Baden-Württemberg solle, was Integrationsangebote für Einwanderer angeht, zum Vorreiter werden, sagte CDU-Landeschef Thomas Strobl jüngst. Das unterschreiben sicher auch die Grünen. Doch was ist, wenn jemand sich der Integration verweigert?
Polizei: Die CDU will die Polizei um 1.500 Stellen aufstocken, die Grünen versprechen eine Einstellungsoffensive mit 2.800 Ausbildungsplätzen. Umstritten ist die Pflicht zur anonymisierten Kennzeichnung von Polizisten bei Großeinsätzen und Demonstrationen: Die Grünen wollen sie, die CDU lehnt sie ab.
Haushalt: CDU und Grüne haben bereits unisono erklärt, ab 2020 keine neuen Schulden mehr aufnehmen zu wollen. Denn ab dann gilt die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse.
Direkte Demokratie: Die Grünen wollen Plebiszite stärken. Die CDU hält Bürgerbeteiligung prinzipiell für nicht schlecht – aber nur in Maßen.
Landtagswahlrecht: Bislang hat jeder Wähler in Baden-Württemberg bei der Landtagswahl nur eine Stimme. Die Grünen wollen ein Zweistimmenwahlrecht mit einer Landesliste einführen, um den Anteil von Frauen im Parlament anzuheben. Eine Reform scheiterte in der vergangenen Legislaturperiode vor allem an der CDU.
Bundesrat: Wie stimmt Grün-Schwarz im Bundesrat ab – mit dem Block der CDU-geführten Länder oder mit dem der rot-grünen Länder? Sind sich die Regierungspartner nicht einig, kann sich ein Land enthalten. Die CDU mahnt aber, das dürfe nicht zur Regel werden. (dpa)
Flink reagiere Strobl auf Zahlen und Fakten nicht, plaudert ein Grüner aus. Einem speziellen Thema geht der CDU-Chef öffentlich ganz aus dem Weg: Wird er auf einen Wechsel von Berlin nach Stuttgart angesprochen, umschifft er „diese Fangfrage“. Hinter den Kulissen allerdings lässt er durchblicken, für seine Partei „die Kohlen aus dem Feuer holen zu wollen“. Kohlen, die er selbst munter hineingeworfen hat.
Strobl, einst Grünen-Fresser
Unter dem glücklosen Günther Oettinger und dem brachialen Stefan Mappus war Strobl Generalsekretär. Nach dem Machtverlust 2011 kickte er Tanja Gönner vom Feld, Angela Merkels Favoritin, die neue Nummer eins der Südwest-CDU werden wollte. Gegen Guido Wolf unterlag er zur eigenen und zur Überraschung von Medien und CDU-Fußvolk.
Mittlerweile spricht der einstige Grünen-Fresser viel von staatspolitischer Verantwortung, wendet sich aber auch gegen – nirgends vertretene – Ansichten, Grün-Schwarz werde eine „Liebesheirat“. Hinzu kommt eine in dieser Phase ziemlich seltsame Äußerung: In fünf Jahren werde man sicherlich nicht gemeinsam Wahlkampf machen.
Kretschmann und seine Grünen widerstehen bisher jeder Verlockung, auf solche und andere verbale Ausritte zu revozieren. Die selbst von ihrer Größe überraschte Fraktion mit ihren 46 direkt gewählten Abgeordneten lässt dem Landesvater völlig freie Hand. Auch die Basis verhält sich derart still, dass bei manchen in der Union schon Neid aufkommt. Der Grüne habe eine Beinfreiheit, so ein Bezirksvorsitzender, von der Wolf und Strobl nicht einmal träumen könnten.
Wenn es aber um die Gemeinschaftsschule geht, deren Reform die CDU plötzlich zu ihrem Markenkern zählt, oder um den Abstand neuer Windräder von Siedlungen, um Straßen, Breitband oder die Frauenquote – dann werden die Konfliktpunkte nicht mehr zu verpacken sein unter wolkigen Oberzielen. Wissenschaftlich ist schon belegt, dass es weit mehr Streitpunkte gibt als Schnittmengen. Christian Stecker und Thomas Däubler vom Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) haben in 28 von 38 zentralen Fragen „deutliche Gegensätze“ herausgearbeitet.
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