Kommentar: Grün ist der Wechsel, rot die Mehrheit
■ Wie die Grünen ihre Talfahrt stoppen können
Noch vor vier Wochen hieß eines der größten Probleme für Rot-Grün Gerhard Schröder. Mit dem Automann und Wirtschaftsfreund konnte sich so mancher Grüner kaum einen Politikwechsel vorstellen, der diesen Namen auch verdient. Mittlerweile ist Gerhard Schröder der einzige Garant für Rot-Grün. Denn der Niedersachse sichert der SPD die Zuwächse, die augenscheinlich notwendig sind, um die grünen Ausfälle zu kompensieren. Sympathischer mag er dem Koalitionspartner deshalb nicht geworden sein, nur werden die Grünen bald kaum mehr danach gefragt werden, was und wen sie lieber wollen. Hält ihr Abwärtstrend an, werden sie nehmen müssen, was ihnen die SPD an Platz auf der Regierungsbank übrigläßt – sofern sie die Grünen im September dort überhaupt Platz nehmen läßt.
Denn die Schwäche der Grünen macht auch für die Sozialdemokraten den beschworenen Politikwechsel zu einem riskanten Manöver. In dem Maße, wie die Grünen sich selbst großmäulig zum Garanten einer rot-grünen Reformpolitik stilisieren, diskreditieren sie diese Politik mit einem Gewusel von „Das haben wir nicht so gemeint“-Positionen und „Die anderen waren schuld“-Debatten.
Wenn der Wechsel tatsächlich diese grüne Farbe trägt, wird er vom Wähler nicht gewollt. Wenn die Grünen bei ihrer Haltung bleiben, werden die Sozialdemokraten definieren, wie der Wechsel aussieht, oder sie werden sich mit einem kleinen Wandel in einer großen Koalition bescheiden – so einfach liest sich die Botschaft des schleswig-holsteinischen Wahlergebnisses.
Um die entstandene Kompetenz- und Glaubwürdigkeitslücke zu schmälern, werden die Grünen eine Debatte wiederaufnehmen müssen, die sie um des lieben Parteifriedens willen beendet hatten, bevor sie nach der Niedersachsenwahl richtig aufflammen konnte. Weil der Programmtext nur bedingt Richtschnur dafür ist, was den Wähler in den kommenden vier Jahren erwartet, muß diese Botschaft von Personen getragen werden. Der grassierenden Befürchtung, daß bei den Grünen anscheinend so ziemlich alles möglich ist, muß Verläßlichkeit entgegengestellt werden. Keine Verläßlichkeit der programmatischen Worte, sondern der Personen. Jener, die bereit sind, für das Propagierte auch die Verantwortung zu übernehmen. Die Diskussion darum dürfte ein Prüfstein sein, ob es den Grünen noch ernst ist mit Rot-Grün. Dieter Rulff
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