: Großrechner und Altmeister
Die Ausstellung „Robotron. Code und Utopie“ in der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst nimmt die Technologiepolitik der DDR in den Blick. Sie bringt Kunst seit den 1960ern mit heutiger zusammen
Von Tilman Baumgärtel
Auf der Heimfahrt von Leipzig meldet Spiegel Online, dass nur fünf Prozent der deutschen Industrieunternehmen ohne Software aus den USA und Hardware aus China auskommen würden. Blieben die aus, müssten die meisten Firmen in wenigen Wochen ihren Betrieb einstellen.
Da lobt man sich doch die vorausschauende Technologiepolitik der DDR-Planwirtschaft, die den Ausgangspunkt der Ausstellung „Robotron. Code und Utopie“ bildet, die man gerade in der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) besichtigt hat: Das Kombinat Robotron entwickelte ab Anfang der 1960er Jahre volkseigene Computer inklusive eigener Software.
Diese technischen Entwicklungen setzten zwar auf ihre Weise den berühmten DDR-Slogan „Überholen ohne einzuholen“ um: der Robotron 300, ein riesiger Mainframe-Rechner von 1968, war letztlich eine Kopie des zehn Jahre älteren IBM 1401 aus den USA. Aber dafür war er für den Bedarf der DDR optimiert und lief bald in Fabriken, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Der normale DDR-Bürger dürfte mit den Produkten des Kombinats kaum Kontakt gehabt haben – Personal Computer für den Privatgebrauch sind in der DDR kaum gebaut worden.
Trotzdem haben sich schon in den 1960er und 70er Jahren Künstler in der DDR mit Kybernetik und früher Digitalisierung beschäftigt, wie die Ausstellung zeigt. In essayistischer, assoziativer Manier zeigt sie Kunst von den 1960er Jahren bis zu Auftragsarbeiten aus diesem Jahr, darunter überraschende Positionen.
Da ist zum Beispiel A. R. Penck, der gleich mit mehreren Arbeiten vertreten ist, einmal mit einem ganzen Zyklus von Zeichnungen, in dem seine Strichmännchen schon an etwas hantieren, das wie ein Computerarbeitsplatz mit angeschlossenem Internet aussieht. Die Filzstiftzeichnung „Computermodell“ von 1970 scheint von kybernetischen Diagrammen und Lochkarten beeinflusst zu sein. Auch die Hommage an Claude Shannon, einem Pionier der Informationstheorie, die Ruth Wolf-Rehfeldt mit ihrer Erika-Schreibmaschine tippte, hat man nicht unbedingt kommen gesehen.
Ein weiterer Künstler, den man in der Ausstellung kaum erwartet hätte, ist Werner Tübke, den man für seine altmeisterlichen Historienschinken in Öl kennt. Aber Anfang der 1970er Jahre schuf er für die Leipziger Universität ein riesiges Panoramabild, das Arbeiter, Wissenschaftler und Ingenieure der Gegenwart in intensive Diskussionen vertieft zeigt. Für ein Segment des 14 Meter breiten Bildes macht er Skizzen bei Robotron; im fertigen Bild ist die Szene so hell abgesetzt, dass sie wie ein Fenster wirkt, durch das man die zukünftige utopische Gesellschaft erkennen kann.
Künstler, die schon in den 1960er Jahren den Computer als Medium benutzt haben, wie im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet etwa die Stuttgarter Schule, gab es in der DDR nicht. Erst in den 80er Jahren ließ sich der konstruktivistische Maler Horst Bartnig beim Institut für Informatik in Adlershof ein Programm schreiben, das mithilfe einer sowjetischen Großrechenanlage sämtliche Kombinationsmöglichkeiten einer kleinen Auswahl von grafischen Elementen durchdeklinierte.
Aber in gewisser Weise waren schon das Formsteinsystem der konkreten Künstler Karl-Heinz Adler und Friedrich Kracht aus den 1970er Jahren Vorläufer solcher generativen Bildverfahren. Die acht Steine waren auf eine Weise gestaltet, „die jede vertikale, horizontale, diagonale, geschwungene oder gestreut ornamentale Anordnung zulässt“, wie es im Patentantrag für die viereckigen Blöcke aus Gussbeton hieß. Bald wurden sie in so großem Stil an öffentlichen Gebäuden verbaut, dass sie ein definierendes Element des ostdeutschen Stadtbilds wurden.
Trotz aller Propaganda von der „Mikroelektronik im Dienste des Sozialismus“ hat die Computerisierung das marode System nicht retten können. Die DDR blieb ein Industrieland mit antiquierten Industriemaschinen und zum Ende hin immer abenteuerlicheren Produktionsmethoden, wie die Fotografien von Tina Bara aus den Buna-Kunststoffwerken in Schkopau belegen. Gerade sahen die Arbeiterinnen im Reinraum des VEB Halbleiterwerks Frankfurt/Oder noch selbstbewusst und der Zukunft zugewandt in die Kamera von Marion Wenzel – dann kam die Wende und die meisten DDR-Unternehmen wurden abgewickelt.
Heute versucht der Freistaat Sachsen mit dem Label „Silicon Saxony“ an diese Technikgeschichte anzuknüpfen. Die Fusion von Robotron und Siemens unter dem Markennamen Rosie, von der nach der Wende viele Angestellte des DDR-Kombinats träumten, hat aber nur in der Videoserie von Nadja Buttendorf stattgefunden. Trotzdem sind viele der „Robotroniker“ bis heute stolz auf ihren ehemaligen Arbeitsplatz – und einige von ihnen waren auch schon bei der Ausstellung in Leipzig, die sich mit ihrem untergegangenen Kombinat beschäftigt.
„Robotron. Code und Utopie“. Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK), bis 26. Februar 2026, anschließend bei HMKV Hartware MedienKunstVerein Dortmund
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