: Große Themen, kleine Lösung
■ „Proof/Der Beweis“ an den Hamburger Kammerspielen
Es fing so verheißungsvoll an: Auf der Veranda eines langsam vor sich hin schimmelnden Hauses lehnt eine junge Frau an einer abgenutzten Gartenbank und stiert depressiv ins Nichts. Das Licht von drinnen reicht nur bis zur Frau, der Rest liegt im geheimnisvollen Dunkel. Aus dem Schatten spricht plötzlich der Vater zu ihr. Oder vielmehr sein Geist, schließlich findet morgen seine Beerdigung statt.
Sofort ist man mitten in den großen Themen Tod, Verlust, Liebe und einer symbiotischen, reichlich schrägen Vater-Tochter-Beziehung. David Auburns Stück Proof/Der Beweis, das vergangenes Jahr diverse Auszeichungen erhielt und am Broadway einen Riesenerfolg landete, macht aber auch vor dem Evergreen „Genie und Wahn“ nicht halt. An den Hamburger Kammerspielen, die sich die deutsche Erstaufführung sicherten, kämpft Na-thalie Wörner als hochintelligenter Spross Catherine gegen den Irrsinn als mögliche Erbinformation. Durch die jahrelange Pflege ihres umnachteten Vaters Robert (Peter Franke), einstmals mathematischer Genius, erliegt Catherine einem klassischen Frauenschicksal: Sorge für andere statt Sorge um sich.
Schwierig sind auch die Beziehungen zur großen Schwester Claire (Susanna Kraus), die Catherine weg von Demenz und Verfall nach New York bringen will, und zum unbeholfenen, aber gutmeinenden Freund Hal. Schließlich taucht der Beweis auf – für irgendetwas mit Primzahlen, was der Autor nicht weiter ausführt, in jedem Fall aber bahnbrechend ist. Tragischerweise glauben weder Claire noch Hal daran, dass Catherine die Urheberin ist. Mädchen und Mathe sind eben auch im 21. Jahrhundert noch kein perfektes Paar.
Die Inszenierung von Siegfried Bühr setzt auf das Ausloten psychologischer Tiefe, was den äußerst authentisch agierenden Schauspielern – allen voran der facettenreichen Nathalie Wörner als 25-Jährige – sehr gut gelingt. Gerade deshalb ist es nicht recht überzeugend, dass das anfangs mit so gewichtigen Themen daherkommende Stück letztlich eine Auflösung im Liebes- und Vertrauensbeweis von Seiten Hals sucht. Ob sein Glaube an Cathe-rines Genialität den Vater-Geist ausgetrieben hat? Jedenfalls sitzen Hal und Catherine am Ende ganz brav auf der alten Veranda, gehen den Beweis durch und lassen ihre Mathematiker-Herzen für einander schlagen. Liv Heidbüchel
weitere Vorstellungen: 6.-11., 13.-18., 22.-25. November, jeweils 20 Uhr, Hamburger Kammerspiele
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