Großdemos in Rumänien: Die Regierung gibt nach
Nach heftigem Protest werden die Antikorruptionsgesetze zurückgezogen. Forderungen nach einem Rücktritt der Regierung werden laut.
Am Sonntagabend weiteten sich die Proteste aus: Allein in Bukarest gingen nach Grindeanus Aufhebungsbeschluss etwa 250.000 Menschen auf die Straße. Die Metrostation am Platz des Regierungssitzes wurde geschlossen, um Gedränge in den Unterführungen zu vermeiden. Viele junge Leute waren aus der Provinz zum Protest nach Bukarest gereist. Sie nutzten dabei einen neuen Regierungsbeschluss, dem zufolge Studenten kostenlos Eisenbahn fahren dürfen. In mindestens 20 weiteren Städten gab es Kundgebungen mit jeweils Zehntausenden oder Tausenden Demonstranten.
In den vergangenen Tagen wurden zudem mehrere Verfassungsklagen eingereicht, um die Verordnungen zu stoppen. Darin war vorgesehen Amtsmissbrauch und Vorteilsnahme, wenn der Schaden unter 50.000 Euro liegt, nicht mehr strafrechtlich zu verfolgen. Von den geplanten Änderungen hätten zahlreiche verurteilte Politiker profitiert, darunter auch der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei (PSD), Liviu Dragnea. Dieser gilt als der eigentliche Drahtzieher der umstrittenen Verordnungen, der Ministerpräsident als sein verlängerter Arm.
Die seit Tagen anhaltenden Proteste hatten die Regierung zunehmend unter Druck gesetzt, nachdem es zuvor bereits zu schweren Ausschreitungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen war. Zehntausende forderten am Samstag Abend den Rücktritt der Regierung. In Sprechchören skandierten die Demonstranten „Diebe, Diebe“ und „Annullieren und dann Rücktritt!“.
In der westrumänischen Stadt Temeswar/Timişoara, wo 1989 der Aufstand gegen das kommunistische Ceauşescuregime ausgebrochen war, der zum Sturz der Diktatur führte, verlasen die Mitglieder der so genannten „Initiative Temeswar“ eine Proklamation, in der die Regierung als „volksfeindlich“ apostrophiert wurde. In der aus acht Punkten bestehenden Proklamation werden ein „Antikorruptionsreferendum“, eine aktive Beteiligung aller Bürger an geplanten Regierungsverordnungen und die Entpolitisierung öffentlicher Ämter gefordert.
Gleichzeitig verlangen die Verfasser, die Aufhebung der Bestimmung, wonach die strafrechtliche Verfolgung von Abgeordneten die Billigung des Parlaments benötigt. „Wenn der Rechtsstaat in Gefahr ist“, heißt es in der Proklamation, „haben wir die Pflicht ihn zu beschützen.“ Ministerpräsident Sorin Grindeanu musste am Samstag kleinlaut eingestehen, dass er dem Druck der Demonstranten nachgeben werde, um einer weiteren Polarisierung der rumänischen Gesellschaft zuvorzukommen.
Mobilisierung in sozialen Netzwerken
Wie sehr die Maßnahmen der sozial-demokratisch-liberalen Koalition diesen unübersehbaren Spaltungsprozess beschleunigt haben, kann an den Reaktionen in den sozialen Netzwerken abgelesen werden, die in den letzten Tagen auch maßgeblich zur Mobilisierung der Demonstranten beigetragen haben.
In einem an Präsident Klaus Johannis adressierten Schreiben, das von der über eine Million zählenden Facebookunterstützergruppe „România“ (Rumänien) verbreitet wurde, heißt es wörtlich: „Lieber Klaus, Hunderttausende von Rumänen, die an den letzten Abenden gegen die heimtückischen Verordnungen von Dragnea protestiert haben, sind nicht Deine Rumänen! Sie sind nicht wegen Dir auf die Straße gegangen, sie gehören Rumänien. Sie sind auf die Straßen gegangen, um einen Rechtsstaat vor Verrätern wie Dir und Dragnea, und allen anderen aus der Nationalliberalen Partei (PNL), der Sozialdemokratischen Partei (PSD), der Volksbewegungspartei (PMP), der Liberaldemokratischen Allianz (ALDE), dem Demokratischen Verband der Ungarn aus Rumänien (UDMR), dem Verband Befreit Rumänien (USL) zu verteidigen. Ihr alle seid nichts Anderes als Aasgeier, die noch ein Stückchen Fleisch aus dem Körper dieses seit 27 Jahren erniedrigten Volkes heraus zu picken versuchen“.
In dem Schreiben, das in Windeseile auf Facebook verbreitet wurde, erwähnt der Verfasser die Abholzung der Wälder durch multinationale Konzerne und die Veräußerung landwirtschaftlicher Nutzflächen an zahlungskräftige Ausländer.
Den Rücktritt der Regierung forderte auch der frühere Parlamentarier und Menschenrechtsaktivist Remus Cernea. Er begründet seine Forderung mit dem Hinweis, dass sich die sozialdemokratische Partei sowohl im In- als auch im Ausland völlig diskreditiert habe. Aus diesem Grund dürfe niemand mehr die Vertreter dieser Regierungspartei als Gesprächspartner akzeptieren.
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