Nach Ruanda abschieben, aber sicher

Ein neuer Vertrag zwischen London und Kigali soll mit zusätzlichen Rechtsgarantien die juristischen Hürden gegen die geplanten Deportationen von Asylsuchenden aus Großbritannien überwinden. Aber der politische Streit bei den britischen Konservativen vertieft sich

Als erstes besuchte der britische Innenminister James Cleverly in Kigali die Gedenkstätte für den Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 mit einer Million Toten – eine Ermahnung an internationale Verpflichtungen  Foto: Ben Birchall/ap

Von Daniel Zylbersztajn-Lewandowski,
London, und Dominic Johnson, Berlin

Großbritannien hat einen neuen Vertrag mit Ruanda geschlossen, der Ruandas Status als sicheres Drittland für Asylsuchende garantieren soll. Mit der Unterzeichnung durch Innenminister James Cleverly, der dafür am Dienstag eigens nach Kigali reiste, will die britische Regierung den vom Supreme Court als rechtswidrig verworfenen Plan wiederbeleben, ohne Erlaubnis aus Frankreich eingereiste Bootsflüchtlinge nach Ruanda zu fliegen, statt sie Asyl in Großbritannien beantragen zu lassen.

Der Vertrag beinhaltet neue Garantien Ruandas: Berufungsinstanzen für Asylverfahren, denen internationale Rechts­ex­per­t:in­nen beisitzen; eine unabhängige Stelle, die alle Verfahren und das Wohl der Abgeschobenen überwachen; ein absolutes permanentes Bleiberecht in Ruanda für Schutzbedürftige, egal ob ihr Antrag auf Asyl dort erfolgreich ist oder nicht – für andere wäre nur eine eventuelle Rückführung nach Großbritannien möglich, nicht in ihr Heimatland.

Hintergrund ist, dass der konservative Premierminister Rishi Sunak in London seine Glaubwürdigkeit bei der eigenen Basis an das Versprechen geknüpft hat, die Einwanderung nach Großbritannien zu senken und insbesondere den Zustrom von Bootsflüchtlingen zu stoppen. Die legale Einwanderung liegt auf Rekordniveau, mit einer Nettozuwanderung von 745.000 Menschen im Jahr 2022. Was die nicht erlaubte Einreise betrifft, überquerten 2022 45.755 Personen mit Booten den Ärmelkanal, um Asyl zu beantragen. Verschärfte Kontrollen an der französischen Küste und ein Abkommen mit Albanien sollen dieses Jahr zu einem geschätzten Rückgang um ein Drittel führen, aber dennoch bleibt der Druck groß. Selbst die Labour-Opposition spricht inzwischen laut darüber, wie sie die Einwanderungszahlen mit der ganzen Macht der Polizei und Nachrichtendienste viel effektiver senken wolle als die Konservativen, deren Ruanda-Modell sie ablehnt.

Aus Sicht der Regierung soll das Vorhaben, Asylsuchende sofort nach Ruanda zu fliegen, die Bootsreisen unattraktiv machen und somit das Geschäftsmodell von Schleusern zerstören. Eine erste entsprechende Vereinbarung trafen die beiden Regierungen im April 2022. Den ersten britischen Deportationsflug nach Ruanda stoppte aber im Juni 2022 der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in letzter Minute per einstweiliger Verfügung. Das zog ein Verfahren durch das gesamte britische Rechtssystem bis hinauf zum Obersten Gerichtshof nach sich.

Vor wenigen Wochen bestätigte schließlich der Supreme Court, dass Ruanda für Asylsuchende kein sicherer Drittstaat sei, da das Land nicht garantieren könne, dass die Asylsuchenden von dort nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt würden. Auch generell gebe es Mängel beim Schutz der Menschenrechte und im ruandischen Asylrechtssystem.

Diese Mängel schaffe der neue Vertrag aus der Welt, behauptet Innenminister Cleverly. Neben Ruandas Garantien bezüglich Asylverfahren und Bleiberecht sei geregelt, dass sogar spätere Straftäter:innen, die ihr Bleiberecht in Ruanda verspielen, allerhöchstens zurück ins Vereinigte Königreich geflogen werden, auf Kosten der britischen Regierung. Ruanda hat auch das Recht, manche Leute gar nicht erst anzunehmen. Wer in Ruanda landet, hat die Freiheit, das Land zu verlassen.

Die britische Regierung übernimmt sämtliche Kosten in Ruanda für alle Verfahren, Ausbildungen und Unterbringung für mindestens fünf Jahre. Bisher hat sie Ruanda 140 Millionen Pfund (160 Millionen Euro) gezahlt. Weitere Summen stehen nun in Aussicht.

Bemerkenswert: Darüber hinaus verpflichtet sich die britische Regierung, im Gegenzug Flüchtlinge aus Ruanda aufzunehmen – das Land nimmt regelmäßig Schutzsuchende aus anderen afrikanischen Ländern auf, die das UNHCR aus Lagern in Libyen ausfliegt. Rechte Kritiker in Großbritannien höhnen bereits, am Ende würden mehr Flüchtlinge von Ruanda nach Großbritannien reisen als umgekehrt.

Ruanda hat wiederholt unter Verweis auf seine Zusammenarbeit mit dem UNHCR Kritik an seinen Asylverfahren zurückgewiesen und auch moniert, dass das UNHCR einerseits Flüchtlinge aus Libyen nach Ruanda bringt, andererseits vor britischen Gerichten Ruanda als untauglich bezeichnet hat.

Ruandas Regierung lobte den neuen Vertrag und sagte, damit würden bisherige Zusagen „verbindlich erneuert“. Regierungssprecherin Yolande Makolo erklärte: „Jeder, der unter diesem Abkommen nach Ruanda kommt, wird willkommen geheißen und erhält die nötige Sicherheit und Unterstützung, um in unserem Land ein neues Leben aufzubauen.“

Großbritannien nimmt im Gegenzug Flüchtlinge aus Ruanda auf, die das UNHCR dorthin bringt

Wie der Vertrag nun umgesetzt wird, ist nicht klar. Die britische Regierung könnte ein Gesetz im Eilverfahren ins Parlament einbringen, das die Gerichte zwingt, Ruanda jetzt doch als sicheren Drittstaat anzuerkennen, oder die Anwendung bestimmter Klauseln der Europäischen Menschenrechtskonvention oder der UN-Flüchtlingskonvention auf den Ruanda-Deal aussetzt. Das könnte noch an diesem Donnerstag geschehen.

Berichten zufolge stößt dieser Plan aber auf massive juristische Bedenken und politischen Widerstand – zahlreiche konservative Abgeordnete würden dagegen stimmen und auch Ministerrücktritte stehen im Raum.

Wahrscheinlicher ist deshalb, dass das Parlament einfach eine Erklärung verabschiedet, wonach Ruanda als sicherer Drittstaat anzuerkennen sei. Doch dies wäre für den rechten Parteiflügel nicht hart genug. Die Polarisierung erinnert an den Streit um den Brexit.