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■ Großbritannien: Aufsehenerregende PlakateWonderbra mit Falten

Die meisten schauen zweimal hin, freute sich die deutsche Künstlerin Melanie Manchot. Sie hatte auf einer achtzehn Quadratmeter großen Werbefläche vor dem U-Bahnhof South Kensington, einer der konservativsten Gegenden Londons, ein Foto ihrer 66jährigen Mutter in Unterwäsche angeklebt.

In der nahe gelegenen Blue Gallery, wo Melanie Manchot ihre Arbeiten ausstellt, kann man ein 24 Quadratmeter großes Foto ihrer halbbekleideten Mutter für umgerechnet knapp 6.000 Mark erwerben. „Ich wollte zeigen“, sagt Manchot, „daß es verschiedene Wege gibt, um Schönheit darzustellen. Und ich wollte etwas dagegen tun, daß Menschen marginalisiert werden, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben.“

Das öffentliche Bild von Frauen sei eins von ewiger Jugend und Schönheit, sagte Manchot. Ältere Frauen seien unsichtbar. Anne Peck vom Verband älterer Frauen in Groß-London begrüßt die Plakat Aktion. „Viele halten faltenlose Körper für schöner als runzlige“, sagt sie. „Dabei haben Falten viel mehr Charakter und Ausdruckskraft.“ Und Robert Stansfield von „Pensioners Voice“ sagt: „Eine Gesellschaft kann nicht funktionieren, wenn sie nicht alle Altersgruppen respektiert. Selbst Premierminister Tony Blair ist in dieser Hinsicht schuldig, weil er ständig von Bildung und dem jungen Britannien spricht.“ Melanie Manchot lebt in London, ihre Mutter Margarete Manchot kam extra aus Düsseldorf zur Poster-Premiere in die englische Hauptstadt. „Ich glaube an das Anliegen meiner Tochter“, sagt sie, „aber ich bin froh, daß ich in Deutschland lebe, wo niemand die Plakate kennt.“

Die Organisation „Age Concern“ hat das Thema inzwischen aufgegriffen: Ihre Poster, die auf mehreren Reklameflächen in London hängen, zeigen die 56jährige Pearl Read im BH. Daneben der Satz: „Das erste, was manchen Menschen auffällt, ist ihr Alter.“

Die Pose ist der Wonderbra-Werbung mit Eva Herzigova nachempfunden. Der Schockeffekt sei nicht auf den enthüllenden BH zurückzuführen, schrieb die Journalistin Kathy Marks, sondern auf die Tatsache, daß man eine ältere Frau darin abgebildet habe. Das, was Mutterschaft und sexuelle Attraktivität verbinde, sei ein starkes Symbol für Weiblichkeit. Pearl Read sei dafür bestens geeignet, meint Marks: Vor zehn Jahren habe sie eine Londoner Ballnacht zum Stillstand gebracht, als sie mitten im Tanz Kleid und BH ablegte. Auch anderswo scheint man die Sexualität älterer Frauen zu entdecken: Das britische Männermagazin Dazed and Confused druckte in der Januar-Ausgabe Fotos von sechzig-, siebzig- und achtzigjährigen Frauen in ihrer Unterwäsche ab. Ralf Sotscheck

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