Griechischer Künstler zur Staatskrise: "Ein Segen für das Land"
Die politische Elite Griechenlands? Durch und durch korrumpiert, sagt der Kulturschaffende Nikos Veliotis aus Athen. Die Gesellschaft sei von einem System des Nepotismus durchdrungen.
taz: Herr Veliotis, wie lebt es sich in einem Land am Rande des Staatsbankrotts?
Nikos Veliotis: Es fühlt sich seltsam an, muss ich zugeben. Mich beunruhigt die allgemeine Apathie. Aber was ich eine positive Entwicklung finde, ist, dass sich am Platz vor dem Parlament in Athen seit einigen Wochen jeden Tag Bürger friedlich versammeln. Junge wie alte. Sie fühlen sich keiner Partei oder politischer Linie zugehörig. Auf der anderen Seite ist unsere Gegenwart in Griechenland von unerhörten Spannungen geprägt, auch von großer Unsicherheit. Einheimische Medien, Zeitungen, Radio und TV finden auf die rasanten Entwicklungen keine Antworten. Sie verschlimmern die Lage noch. Um mich zu informieren, muss ich ins Internet und auf ausländischen Seiten surfen.
Reden Sie denn beim Bäcker auch über die Entwicklungen?
40, lebt und arbeitet in Athen als Musiker und Peformancekünstler. Dort hat er zwischen 2000 und 2007 auch das experimentelle Filmfestival "2:13" organisiert. Als Cellist ist er international bekannt, spielt solo und in wechselnden Formationen im Grenzbereich zwischen Pop, Elektronik und freier Musik.
Die kleinen Leute haben die Schnauze gestrichen voll. Und sie haben den Respekt vor den Politikern verloren. Deshalb finde ich, auch wenn sie unpolitisch sind, die Proteste vor dem Parlament wichtig. Ich habe noch nie so viele respektlose Griechen gesehen. Die Leute haben nicht mehr so viel Angst. Denn es ist zu befürchten, dass die Modernisierung Griechenlands nicht automatisch zu einer gerechteren Politik führen wird. Die Anhebung der Steuern wirkt etwa eher wie eine Panikreaktion. Vielleicht ist das ja gewollt. Wenn man die Menschen panisch macht, kann man sie leichter regieren.
Wie würden Sie das Parteiengefüge im griechischen Parlament charakterisieren?
Die Politik in Griechenland wird von einem Zweiparteiensystem bestimmt. Es ist dieses System, das in eine fundamentalen Krise geraten ist. Wissen Sie, es gibt ja weitere Parteien, auf der Linken und auf der Rechten, aber alle politischen Gruppierungen unterstützen die Aufteilung der beiden mächtigen Parteien, die seit 40 Jahren in unserem Land Bestand hat. Die Ministerpräsidenten, jeweils gestellt von einer der beiden Parteien, stammen von drei Familien ab. Und sie regieren nach dem Prinzip des Nepotismus. Die politische Elite ist durch und durch korrumpiert. Momentan ist die einzige Hoffnung, dass wir das endlich begreifen.
Können Sie das Prinzip des Nepotismus näher erläutern?
Viele Griechen haben stets nach Aussichten für ihre beruflichen Karrieren gewählt. Umgekehrt wurden, solange ich mich erinnern kann, Stimmen von Politikern gekauft. Das funktioniert, indem man bei einer Wahl Kandidat XY unterstützt, der dann für den Neffen einen Job klarmacht. Ich kenne ungezählte solcher Fälle. Ich meine, es ist nicht so, dass man nur durchs Leben kommt, wenn man dieser Logik folgt. Wenn es so wäre, hätte ich mein halbes Leben arbeitslos sein müssen. Aber es geht einfach leichter, wenn man vorhat, in den öffentlichen Dienst einzusteigen. Und das ist ja die Wurzel des Übels. Der öffentliche Dienst in Griechenland ist ungesund aufgebläht, er hat Tausende mehr Angestellte, als jeder öffentliche Dienst im Rest der Welt benötigt. Das wussten alle, aber es war eben bequem. Dass es jetzt nicht mehr so läuft, ist, man muss es so drastisch sagen, ein Segen für das Land.
Wie das?
Für mich ist Griechenland keine funktionierende Demokratie. Wir brauchen keine Revolution in den Straßen, wir brauchen eine Revolution in den Köpfen. Es muss sich im Spirituellen etwas ändern, ich meine das nicht im religiösen Sinne, ich meine das eher ethisch. Wie sollen Menschen ein Gefühl für demokratische Grundprinzipien entwickeln, wenn es die Regierung nicht vorlebt? Die Regierung hat in einer Grundsatzentscheidung Sparprogramme beschlossen und Entlassungen im großen Stil angekündigt. Das betrifft alle, außer die politische Klasse selbst. Bislang haben sich die Parlamentsabgeordneten nach jeder Wahl immer schön die Diäten angehoben. Erst kürzlich, zum ersten Mal, wurden die Politikerbezüge um 5 Prozent gesenkt. Das ist doch eine Komödie. Als die ersten Anzeichen der Rezession spürbar waren, kam zum Vorschein, dass 14.000 Menschen dem griechischen Staat 36 Milliarden Euro an Steuergeldern schulden. Ich denke also, es gäbe nach wie vor fairere Maßnahmen, als nun diese Malaise der ganzen griechischen Bevölkerung als Sparprogramm aufzuzwingen.
Wie ist es denn um die Steuermoral der Griechen bestellt? Ist sie tatsächlich so schlecht?
Ich glaube, das wird im Ausland ein bisschen zu drastisch gesehen. Unsere Mentalität hat sich schon dahingehend geändert, dass die Menschen viel stärker als früher bereit sind, Steuern zu zahlen. Außerdem wird gerne übersehen, dass es Steuerflucht in allen Sektoren der Gesellschaft gibt, auch bei den Reichen. Und bei multinationalen Konzernen. Nicht nur die kleinen Leute bescheißen. Auf der anderen Seite war es lange vor der Rezession auch schon schwierig, mit einem Kleinbetrieb über die Runden zu kommen. Auch für mich als freier Kreativer war es früher leichter, inzwischen ist es ein beständiger Kampf, die Budgets für Kultur werden stetig gekürzt. Das Problem bleibt nicht auf Griechenland beschränkt.
Gibt es innerhalb Griechenlands große Unterschiede?
Im Norden ist der Wohlstand noch etwas größer. Dort leben viele Menschen von ihren Ersparnissen. Auf dem Land und in den Kleinstädten geht es noch recht beschaulich zu. Athen steht auch deshalb im Zentrum der Proteste, weil es eine Großstadt mit dem ungelösten Problem der Einwanderung ist. Die Politik hat das sträflich vernachlässigt. Rassismus ist in einem ungeheuren Ausmaß im Alltag in Athen verbreitet. Es ist einfach komplettes Chaos.
Haben Sie schon mal daran gedacht, das Land zu verlassen?
Klar. Aber ich mag Griechenland, ich mag die Landschaft, ich mag die Sonne, deshalb fühl ich mich zu Hause. Nur mit der Mentalität will ich mich nicht abfinden.
Finden Sie den Druck, der gegen Griechenland beispielsweise von Deutschland gemacht wird, unfair?
Ich glaube, Deutschland behandelt in erster Linie die Deutschen unfair. Menschen mit Macht bestimmen immer über die Machtlosen.
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