Griechische Parlamentspräsidentin: Das linke Gewissen des Chefs
Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou fordert Premier Tsipras heraus. Sie will die Wahlversprechen von Syriza einlösen.
Auf Vorschlag des zuständigen Ministers wird der Medienmanager Lampis Tagmatarchis zum geschäftsführenden Direktor gekürt – aber nur, wenn der zuständige Parlamentsausschuss unter Leitung von Konstantopoulou zustimmt.
Eine heikle Situation. Ausgerechnet Tagmatarchis hatte schon einmal die gleiche Führungsposition inne und machte sich damals nicht nur Freunde bei den ERT-Kollegen. Womit sich die Frage stellt, ob der erhoffte Neuanfang des Staatssenders nach endloser Vetternwirtschaft so aussehen soll. Andererseits: Tagmatarchis hat nun mal den Segen des Ministers, eines Vertrauten des Regierungschefs Alexis Tsipras. Und wer mag schon Tsipras offen widersprechen?
Konstantopoulou, als Parlamentspräsidentin auf Rang drei der Athener Polithierarchie, kann es. Unumwunden erzählt sie, dass sie mit der umstrittenen Personalie nicht einverstanden sei, und bittet Tagmatarchis zu einem Verhör, das insgesamt zehn Stunden dauert.
Festangestellter Klavierstimmer
Währungsfonds: Für Verwirrung sorgte IWF-Chefin Christine Lagarde in der Frankfurter Allgemeinen. Laut einem Vorabbericht vom Donnerstagabend sagte sie: „Der Austritt Griechenlands aus der Eurozone ist eine Möglichkeit.“ In den meisten gedruckten FAZ-Ausgaben und der Onlineversion war das Zitat dagegen entschärft: „Niemand wünscht den Europäern einen Grexit.“ Im Juni muss Griechenland 1,55 Milliarden Euro an den IWF zurückzahlen.
Deutschland: Die Bundesregierung bestätigte ein Telefonat Merkels und des französischen Präsidenten Hollande mit Alexis Tsipras am Donnerstag. Dabei hätten Merkel und Hollande angeboten, „hilfreich zu sein“, damit „wir es schaffen, Griechenland in der Eurozone zu halten“.
Griechenland: Die Wirtschaft rutschte im ersten Quartal wieder in die Rezession, die Investitionen sanken gar um 7,5 Prozent. Von Bankguthaben zogen Bürger im April so viel Geld ab, dass die niedrigste Einlagesumme seit über einem Jahrzehnt verzeichnet wurde.
Oft reden die beiden aneinander vorbei – etwa wenn es um flexible Arbeitsverhältnisse beim Staatsfunk geht: „Wir brauchten mal jemanden, der das Klavier für das ERT-Orchester stimmt, und konnten niemanden finden, da freie Mitarbeit bei uns grundsätzlich verboten war. Das heißt, laut Gesetz hätten wir jemanden für mindestens ein Jahr einstellen sollen, damit unser Klavier endlich gestimmt wird“, moniert Tagmatarchis mit entwaffnendem Lächeln.
Für den vermeintlichen Witz hat Konstantopoulou nicht viel übrig: „Wenn Sie schon ein ständiges Orchester bei ERT haben, dann brauchen Sie auch einen festangestellten Klavierstimmer“, erwidert die Juristin sachlich-nüchtern und weigert sich, dem neuen ERT-Chef ihre Stimme zu geben.
Gewählt wird er trotzdem, aber: Da sind sie wieder, die „roten Linien“ der regierenden Linkspartei Syriza, die den fulminanten Wahlsieg am 25. Januar überhaupt ermöglichten und deren Einhaltung die streitbare Juristin nach bestem Wissen und Gewissen überwacht: Kein Abbau von Arbeitnehmerrechten, keine Marktliberalisierung, Schluss mit der Austeritätspolitik.
Mit der Verteidigung der reinen Lehre gibt sich die 38-Jährige nicht zufrieden. Allzu gern schaltet sie auch auf Angriff um. Ihr bevorzugtes Angriffsmittel ist der parlamentarische Ausschuss. Auf ihre Initiative hin laufen derzeit zahlreiche Ausschussverfahren mit offenem Ausgang: Eine Kommission soll überprüfen, welcher Teil der griechischen Staatsschulden „illegal“ oder „illegitim“ ist und aus diesem Grund auch nicht zurückgezahlt wird.
Ein Untersuchungsausschuss ermittelt gegen „für das Memorandum der Sparpolitik Verantwortliche“ und soll angeblich auch frühere Finanzminister und ausländische Politiker als Zeugen laden. Ein weiterer Ausschuss kümmert sich um „offene Reparationsforderungen“ aus dem Zweiten Weltkrieg. Nicht zuletzt Korruptionsvorwürfe an den Siemens-Konzern werden im Parlament neu aufgerollt, ein außergerichtlicher Vergleich zwischen Siemens und dem griechischen Staat aus dem Jahr 2012 steht somit anscheinend auf der Kippe.
Mächtige Familienclans
Mit diesen Themen und mit harter Oppositionsarbeit hat die Linkspartei Syriza bei den krisengeplagten Griechen in den vergangenen Jahren fleißig gepunktet. Konstantopoulou will weiter punkten. Nicht zuletzt dank Familientradition: Sie ist Tochter des renommierten Strafverteidigers Nikos Konstantopoulos, der sich im Widerstand gegen die griechische Militärjunta (1967 bis 1974) engagierte und elf Jahre lang die linksreformistische Gruppierung Synaspismos, eine Vorgängerpartei von Syriza, geleitet hat. Derartige Empfehlungen sind wichtig in einem Land, dessen Politik traditionell durch mächtige Familienclans bestimmt wird.
Legendär ist der Kommentar des Vaters nach einer Zitterwahl in den neunziger Jahren: Die Leute mögen uns, aber sie stimmen leider nicht für uns. Damals hatte seine Partei den Einzug ins Parlament gerade noch so geschafft, obwohl Konstantopoulos bei allen Umfragen hohe Sympathiewerte erzielt hatte. Die Tochter will es anscheinend genau umgekehrt machen, Wahlsiege sind ihr wichtiger als Sympathiebekundungen.
Allerdings: Das populärste Wahlversprechen der Linkspartei, sie werde das verhasste Memorandum der Sparpolitik per Gesetz und im Schnellverfahren abschaffen, sei natürlich „nur ein Wortspiel“ gewesen und nicht so einfach in die Realität umzusetzen, gab sie kürzlich zu. Ob dieser Spruch auch eine Argumentationshilfe für Linkspremier Tsipras liefert, der gerade verzweifelt versucht, die Schlinge der Gläubiger vom Hals zu nehmen?
Gesucht wird anscheinend eine Kompromisslösung, mit der Tsipras einen Rückzieher von sämtlichen Wahlversprechen machen kann, ohne vor seinen Wählern das Gesicht zu verlieren. Finanzminister Gianis Varoufakis mahnte jüngst, die Kreditgeber Griechenlands sollten gefälligst ein Viertel des Weges zurücklegen, damit ein Kompromiss zustande kommt. Dem Vernehmen nach liegen die Standpunkte bei sämtlichen Verhandlungspunkten allerdings weit auseinander, insbesondere was Renten-, Arbeitsmarkt- und Mehrwertsteuerreform angeht.
Im Parlament durchboxen
Als Stichtag gilt der 5. Juni. An diesem Tag soll Griechenland eine weitere Kredittranche in Höhe von 300 Millionen Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen; bis dahin soll auch eine Vereinbarung mit den Geldgebern unter Dach und Fach sein. Sollte es zu einer Einigung kommen, dann müsste der Linkspremier die Vereinbarung mit den Geldgebern im Parlament durchboxen.
Dann schlägt die große Stunde der Zoe Konstantopoulou: Setzt sich die Parlamentspräsidentin für eine Verständigung mit den Geldgebern ein? Das würde der Linkspartei auch Planungssicherheit geben und Zeit, ihr Wahlprogramm – oder was auch immer davon übrig bleiben wird – in den nächsten vier Jahren ohne Grexit-Drohgebärden umzusetzen. Oder pocht sie weiterhin auf die reine Lehre und will alles sofort ändern?
Derzeit spricht einiges für die zweite Variante. „Dieses Parlament wird keine rezessionsfördernden Sparmaßnahmen verabschieden“, erklärte Konstantopoulou neulich – ohne allerdings zu erläutern, welche Sparauflagen möglicherweise als „nicht rezessionsfördernd“ qualifiziert würden.
Ministerpräsident Tsipras hat kürzlich eine Probe aufs Exempel erlebt: Im Zentralkomitee seiner Partei wurde über den Antrag des mächtigen Syriza-Linksflügels abgestimmt, einen Zahlungsstopp für griechische Schulden beim IWF durchzusetzen. 95 ZK-Mitglieder stimmten gegen den Zahlungsstopp, 75 dafür, weitere 30 waren gerade abwesend oder verhindert. Ein lockerer Abstimmungserfolg sieht anders aus.
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