Griechenland vor der Parlamentswahl: Griechischer Blues
Am Sonntag wird zum zweiten Mal in diesem Jahr ein Parlament gewählt. Die Syriza-Begeisterung ist verflogen. Profitieren könnten die Rechten.
Fünf Euro zahlt man hier zum Beispiel für Hühnchen in Zitronensoße mit Kartoffeln. Ipermachos war heute schon auf dem großen Markt im Zentrum Athens. Wie jeden Morgen fährt der dreifache Vater dort hin, um frische Zutaten zu kaufen. Mit seiner Vespa, die neben den drei Eisentischen und ein paar Stühlen vor der Taverne steht, ist er schnell dort. Mit zwei mäßig vollen Tüten kam er heute zurück. „Viel kaufe ich nicht mehr“, sagt er. „Wir haben nicht mehr so viele Kunden.“
Seitdem Bargeldabhebungen begrenzt sind, kommen noch weniger Gäste. Auch Touristen, sonst treue Kunden, bleiben weg. Dass sie es so weit kommen ließ, hätte er von der Regierung unter Ministerpräsident Alexis Tsipras nicht erwartet, sagt Ipermachos leise. Er hatte bei den Wahlen im Januar für Tsipras’ Partei Syriza gestimmt. „Ich hatte gehofft, dass sie etwas bewegen kann, weil sie noch jung und unverbraucht war“, seufzt er.
Bei der Volksabstimmung Anfang Juli votierte er mit „Oxi – Nein“ gegen weitere Sparmaßnamen. Doch obwohl das Volk beim Referendum mehrheitlich Nein sagte, stimmte Alexis Tsipras wenig später den Sparbeschlüssen zu, um weitere Kredite zu erhalten. Für viele ein Verrat. Alexis Tsipras trat Mitte August zurück. Am Sonntag wird gewählt.
Wahl in Griechenland
Die Politiker machen im Wahlkampf große Worte, im Volk herrscht verzweifelte Unsicherheit. Wen wählen, wenn selbst Linke ein Referendum missachten? Das Volk ist müde, wahlmüde. Ipermachos und seine Frau wissen auch nicht mehr, wen sie wählen sollen. Er drückt die Zigarette aus.
Das Telefon klingelt. Das Ehepaar bietet auch einen Lieferservice an, der die Gerichte oder auch nur Kaffee nach Hause bringt. Ipermachos verschwindet hinter der offenen Tür und nimmt den Anruf entgegen. Über dem Eingang hängt ein Schild: Welcome to paradise.
Der Wirt notiert die Bestellung. Dann schiebt er einen Stuhl zurecht und setzt sich an einen der vier Tische, die im kleinen Raum verteilt sind. Aus den Musikboxen schallt Blues und er beginnt zu erzählen. Noch bis vor einigen Jahren war der Mann mit dem freundlichen Lächeln Besitzer einer Stofffabrik mit vierzig Angestellten und acht Geschäften, eines davon in Brüssel. Auch eine eigene Kleiderkollektion hatte er. Er kramt kurz in einem Regal, zieht eine hochwertige Broschüre hervor, lässt sich wieder auf den Stuhl fallen und schlägt das Heft auf. Langsam blättert er durch seine Kollektion. Sein Blick wird schwer. Mit eine energischen Bewegung schließt er den Katalog und legt ihn zurück. „Das ist jetzt vorbei“, sagt er mit klarer Stimme.
Die Unsicherheit ist das Schlimmste
2010 habe er die Firma schließen und alle MitarbeiterInnen entlassen müssen. Schrecklich sei das gewesen. Er ist einer der vielen mittelständischen Unternehmer, die sich in der Krise nicht mehr halten konnten. Wer kauft noch Stoffe und Kleider, wenn es am Nötigsten fehlt? Wenn man nicht weiß, was morgen passiert? Das sei das Schlimmste, diese Unsicherheit, die die Leute ständig im Sparmodus hält. „Zwei Jahre habe ich dann alles gemacht, was sich so an Arbeit auftreiben ließ, Taxifahrer und Verkäufer zum Beispiel“, berichtet er weiter. Ein richtiger Arbeitsplatz ließ sich nicht finden.
Michalis Ipermachos, Gastwirt
Um sich und seine Familie über Wasser zu halten, kam ihm und seiner Frau die Idee mit der Taverne. „Denn wenn die Leute ausgehen und überhaupt noch Geld ausgeben, dann hauptsächlich fürs Essen.“ Er lächelt. Vor drei Jahren öffnete das Ehepaar die Taverne. Dafür hatten sie all ihr Erspartes gegeben und sich von Freunden und Bekannten Geld geliehen. Das Geschäft wurde gut angenommen und auch im Tripadvisor geführt.
Üppig war es nie, aber das Paar kam über die Runden. Als die Wahlen im Januar angekündigt wurden, ging die Zahl der Gäste merklich zurück. Dann kam das Referendum und jetzt, wo wieder Wahlen stattfinden, sind alle noch mehr verunsichert, erzählt er. Es komme oder bestelle kaum noch jemand.
Die Goldene Morgenröte flimmert
Eleni Peribaba wischt ihre Hände am Geschirrtuch ab, stellt den Herd auf kleine Flamme und setzt sich zu ihrem Mann. „Wir sind sechzehn Stunden am Tag hier, aber es reicht einfach nicht“, seufzt sie. Seit Monaten zahlen sie nur noch die wichtigsten Rechnungen, berichtet sie. Das ist nicht okay, aber was sollst du machen? „Wir sind seit über einem Jahr nicht mehr versichert“, verrät sie. Stattdessen zahlen sie Miete, Strom und Gas, damit das Geschäft läuft. Peribaba schaut auf das Telefon. Es bleibt stumm. Im Fernseher über der Küchenzeile flimmert Wahlwerbung der faschistischen Partei Chrysi Avgi, zu Deutsch: Goldene Morgenröte.
Ilias Kounelas sitzt am Schreibtisch in seiner Wohnung nahe der Metrostation Larisis. Der Stadtteil ist bekannt für die vielen Anhänger der Chrysi Avgi. Auch die Zentrale der Partei ist hier. „Wenn die Chrysi Avgi sich auf der Straße vor der Parteizentrale versammelt, höre ich das bis hierher“, erzählt der 32-jährige Schauspieler. Wahlumfragen zeigen, dass die Chrysi Avgie am Sonntag drittstärkste Partei werden könnte. Ich glaube, so sagt er leise, eigentlich nur noch an Gott, nicht an irgendwelche Politiker.
„Ich weiß hier auch nicht mehr, was links bedeutet“, seufzt Kounelas, der aus einem kommunistischen Elternhaus stammt. Schon früh hat er gemerkt, das es einen großen Unterschied gibt zwischen Linkssein in der Theorie und Linkssein in der Praxis. Er lacht auf. Alle, die im Parlament sitzen, bekommen mindestens 6.000 Euro im Monat. Das entfremdet vom Volk. Über achtzig Prozent der Bevölkerung kann von so viel Geld nur träumen. „Aber gut, das ist, was wir haben. Lebe vom Gegebenen, wie die Christen so schön sagen.“
Die unbeschwerte Ehrlichkeit fehlt
Als Schauspieler habe er gelernt, auf die Körpersprache zu achten. Das hat er auch bei Alexis Tsipras getan. „Er wirkte ehrlich, schien das zu meinen, was er sagte. Meine Sympathie hat er.“ Allerdings habe Tsipras, als er in Brüssel den Sparbeschlüssen zustimmte, diese unbeschwerte Ehrlichkeit verloren. „In den ersten Monaten unter Tsipras habe ich Hoffnung verspürt. Das ging hier vielen so.”
So habe er sich zum Steuerzahlsystem in 100 Dosierungen angemeldet, das Syriza geschaffen hat. Viele haben lange Zeit keine Steuern gezahlt. Die Tsipras-Regierung bot jedem an, sich ohne Strafzahlung für diese Steuernachzahlung anzumelden. Das sei eine gute Idee gewesen. Durch solche volksnahen Gesetze fühlten sich viele verstanden.
„Früher bin ich oft gar nicht zur Wahl gegangen, ich konnte mit keiner Partei etwas anfangen“, betont Kounelas. Doch am Sonntag wird er für die Syriza stimmen. „Nicht weil ich ein Anhänger bin. Aber ich stimme damit gegen die Faschisten.“
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