Griechenland und die EU-Süd-Allianz: Tsipras greift in die Trickkiste
Mit vollmundigen Versprechungen will der griechische Premier punkten. Umfragen zeigen, dass er sich wohl noch mehr einfallen lassen muss.
Noch weiß niemand so genau, ob die in Hellas viel beschworene Allianz der EU-Südländer wirklich steht und wozu sie überhaupt gut ist. Aber es war schon ungewöhnlich, was sieben Mittelmeerländer neulich verkündeten: Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Zypern, Malta und Griechenland sollen in Brüssel mit einer Linie auftreten, vor allem in der Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik.
Den Grundstein dafür legte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras, als er am Freitag in Athen Amtskollegen aus sechs südeuropäischen Staaten zu Gesprächen traf, die in eine gemeinsame Deklaration voller Versprechen mündeten. Schließlich haben alle EU-Südländer mit Sparzwängen und steigenden Flüchtlingszahlen zu kämpfen. Nur der konservative spanische Regierungschef Rajoy hatte sein Kommen „aus innenpolitischen Gründen“ abgesagt und seinen Europaminister nach Athen geschickt.
Natürlich betreibe die Allianz keine Spaltung, sondern, im Gegenteil, die Einheit Europas. Klar ist natürlich auch: Nur gemeinsam können die Mittelmeerländer dem Sparzwang Paroli bieten und auf Solidarität in der Flüchtlingspolitik drängen. Tsipras feiert sich als Vorreiter der neuen Allianz.
Der Athener Gipfel war „ohne Zweifel ein Erfolg Griechenlands, der international ein starkes Echo ausgelöst hat“, befand die linke Zeitung der Redakteure. Sie mahnt aber auch, beim bevorstehenden EU-Gipfel in Bratislava käme die Südallianz auf den Prüfstand.
Für Tsipras kam der Realitätscheck schon wenige Stunden nach der Gipfelfreude: Bei der Eröffnung der Handelsmesse im nordgriechischen Thessaloniki am Samstagabend empfingen ihn Tausende Demonstranten mit Protestplakaten und Anti-Austeritäts-Parolen. Beamte, Rentner, Ärzte, Polizeioffiziere und die kommunistische Gewerkschaft Pame erinnerten den Linkspremier an unerfüllte Versprechen. Erst mit einer Stunde Verspätung konnte Tsipras seine Eröffnungsrede halten.
Zu schön, um wahr zu sein
Die wirtschaftspolitische Grundsatzrede in Thessaloniki gilt als viel beachtetes Ereignis: „Im zweiten Halbjahr 2016 kehren wir zu Wachstum zurück“, versicherte Tsipras und sprach ungewöhnlich deutlich von der Notwendigkeit, neuen Reichtum zu generieren – etwa durch innovative Geschäftsideen.
Seine Strategie fasste er in fünf Schritten zusammen: die Überprüfung aktueller Reformfortschritte durch die Geldgeber zügig abschließen, Schuldenerleichterungen unter Dach und Fach bringen, beim EZB-Liquiditätsprogramm mitmachen, 2017 hohe Wachstumsrate erzielen, Wachstum nachhaltig und sozial gestalten. Schafft Tsipras die seit sieben Rezessionsjahren erhoffte Wende?
Im Moment klingt das zu schön, um wahr zu sein. Zumal die EU-Überweisung der nächsten Teilrate in Höhe von 2,8 Milliarden Euro nach Athen verzögert wird. Von den erforderlichen 15 Reformauflagen sind bisher nur zwei umgesetzt worden. Nicht nur der griechische Staat braucht Geld; auch die private Verschuldung wächst auf neue Rekordhöhen: Nach jüngsten Daten verzeichnet der Fiskus erstmals unbezahlte Verbindlichkeiten in Gesamthöhe von 90 Milliarden.
In Thessaloniki wollte Tsipras kein Wort darüber verlieren. Aber er hatte auch ein Ass im Ärmel: Infrastrukturprojekte kämen voran, versicherte der Premier. Sogar die ewig im Bau befindliche U-Bahn in Thessaloniki würde im Jahr 2020 fertig. Eine Kostprobe seines Tatendrangs lieferte Tsipras bereits letzte Woche, als er den ersten Abschnitt einer Autobahn eröffnete, die ab 2017 die Bergregion Epirus mit dem Peloponnes verbinden soll, ein technisch anspruchsvolles Projekt, das alle Regierungen in den vergangenen 50 Jahren nie zu Ende führten.
Wenn es so weitergeht, dann klappt’s auch mit den Wählern. Im Moment sieht es allerdings düster aus. Nach einer Umfrage der Zeitung To Vima liegt die konservative Opposition in der Gunst der Wähler vier Prozentpunkte vor der regierenden Syriza. Eine frühere Umfrage ergab sogar eine Führung von 10 Punkten für die Konservativen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland