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Grenzüberschreitende SpaghettiMauergedenken mit Tomatensoße

400 Schüler spielen beim öffentlichen Spaghetti-Essen mitten auf der Straße Gastgeber für ihre Nachbarn - und sie erzählen Mauergeschichten, die sie von Zeitzeugen gesammelt haben.

Der Wind fegt die Heidelberger Straße entlang und zerrt an den Tischdecken. Kinder flitzen herum und versuchen, mit Klebeband ihre Tischdekoration vor dem Wegfliegen zu bewahren. Gleich sollen sie hier, wo vor zwanzig Jahren die Mauer Treptow von Neukölln trennte, Gastgeber an einer Langen Tafel spielen. An jeden, der mag, werden sie Spaghetti mit Tomatensoße verteilen und ihm von den Geschichten über die Mauer berichten, die entlang der Tafel an einer Wäscheleine hängen.

Bereits zum vierten Mal hat der Verein "Lange Tafel" zum gemeinsamen Essen geladen. "Wir wollen Menschen aus der Nachbarschaft, die sich sonst kaum begegnen, miteinander ins Gespräch bringen", erklärt Veranstalterin Isabella Mamatis. Zum zwanzigsten Jubiläum das Mauerfalls hat man zusätzlich ein Geschichtsprojekt gestartet: Schüler von zwölf Schulen haben sich mit Zeitzeugen der Mauer getroffen und deren Geschichten aufgeschrieben. Die 500 Berichte hängen an Wäscheleinen entlang der vier Langen Tafeln in Treptow, Kreuzberg und Neukölln.

Die elfjährige Cara von der Bouché-Grundschule lümmelt auf einer Bierbank und wartet auf ihren Einsatz. "Wie sollen gleich versuchen, uns mit den Gästen zu unterhalten", sagt sie. Dazu hätten sie Spiele wie eine Mauerversion von "Mensch ärgere dich nicht" sowie ein Quiz mit Ereignis- und Fragekarten vorbereitet. Ihre Mitschülerin Annika erklärt: "Wir waren im Altenheim in der Hoffmannstraße und haben uns Geschichten über die Mauer erzählen lassen." Was sie dabei gelernt haben? "Früher war alles besser." Und Cara ergänzt: "Leider kamen alle unsere Zeitzeugen nur aus dem Osten, und keiner von ihnen hat damals in Berlin gelebt." Interessant war es aber trotzdem. "Irgendwie."

Langsam füllt sich die Tafel. Vor einem großen Teller mit blauem Rand sitzt Hannah Neumann und schneidet ihrer zweijährigen Tochter Sophie die Spaghetti klein. "Wir wollten schon immer mal zur Langen Tafel kommen, aber dann haben wir es doch wieder verpasst." Die Idee, Leute zu treffen und mit anderen ins Gespräch zu kommen, gefällt ihr. Ihr Mann Erik schiebt dem einjährigen Sohn einen Löffel Nudeln in den Mund und ergänzt: "Ich habe mir auch ein paar der Geschichten durchgelesen - ich finde das gut, dass sich die Kinder mit der Vergangenheit auseinandersetzen."

In die Geschichten fährt der Wind. Die Zettel tanzen an der Wäscheleine, und man muss sie gut festhalten, wenn man lesen will: über einen Fluchtversuch mithilfe einer Leiter, über Gartenlauben und Segelclubs im jeweils anderen Teil der Stadt - oder auch über ein Mickymaus-Heft im Gepäck, das einst fast die Einreise nach Ostberlin verhindert hätte.

In der Bergmannstraße ziehen und schieben Karlotta und ihre drei Mitschülerinnen aus der 7d des Leibniz-Gymnasiums einen Wagen mit Spaghetti mühsam die endlose Tafel entlang. "Bleiben Sie sitzen, wir kommen schon rum", schickt die 13-Jährige eine ungeduldige Dame zurück. Teller füllen, die Leute bei Laune halten, Presseanfragen bewältigen - die Mädchen sind im Stress. Während Leonie noch Tomatensoße verteilt, ziehen ihr die anderen die Wagen unter der Kelle weg. "Sonst kommen wir gar nicht voran", sagt Karlotta.

Von ihren Erlebnissen mit den Zeitzeugen können sie jetzt kaum berichten. "Es war interessant, und wir haben viel über deren Alltag erfahren", findet Mascha. Ihre kleinen Hände stecken in zu großen Einweghandschuhen; auf dem Kopf trägt sie, wie die anderen Mädchen, eine weiße Haube.

Die Tafel ist voll besetzt, es sitzen Familien neben alten Menschen im Rollstuhl; auch eine Gruppe Hertha-Fans hat Platz genommen. Gegessen wird von Porzellantellern, aus Blechschüsseln und von Pappschälchen. Die Menschen haben mit ihrem Geschirr einen Teil ihrer Wohnung mitgebracht, an dem sich ablesen lässt, wer seit den 70er-Jahren auf psychedelische orange-braune Kreise steht oder wer sich bei Ikea ausstattet.

Kalliopi Cafetzakis ist schon zum zweiten Mal Gast an der Tafel. "Von mir aus könnte man das ruhig öfter machen", sagt die Rentnerin, die vor vierzig Jahren aus Griechenland nach Berlin kam. Eigentlich reiche es auch, einfach ein paar Tische aufzustellen, Kaffee und Kuchen könne jeder selbst mitbringen. "Wir Senioren sind sonst viel zu oft alleine. Aber heute ist es wie mit einer großen Familie."

JULIANE WIEDEMEIER

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