Grenzstreit mit dem Kosovo: Belgrad will das Land nicht aufgeben
Als Reaktion auf den Grenzstreit zum Kosovo verfasst das serbische Parlament eine Erklärung. Mit friedlichen Mitteln soll der serbische Einfluss im Kosovo gewahrt werden.
BELGRAD taz | Alarmierende Medienberichte, fortwährende Krisensitzungen, Hilferufe der serbischen Bevölkerung, deren "Existenz im Kosovo bedroht ist": Nach der jüngsten Eskalation im Kosovo befindet sich der serbische Staat in einer Art Ausnahmezustand.
Man verurteilt unisono den "illegalen" Versuch der kosovarischen Polizeisondereinheit Rosu, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zwei Grenzübergänge zu Serbien zu besetzen und so das serbische Volk in den Enklaven im Norden des Kosovo "vom Mutterland abzuschneiden"; serbische Behörden kritisieren die internationale Schutztruppe KFOR dabei "Beistand geleistet und somit ihr Mandat überschritten zu haben"; Belgrad wirft der Justiz- und Polizeimission der EU, Eulex, vor, dem "Gewaltakt" tatenlos zugeschaut zu haben.
Auf die Zuspitzung der Lage im Kosovo, das Serbien als Bestandteil seines Staatsgebiets betrachtet und in dem es de facto seit dem Rückzug serbischer Streitkräfte und dem Einzug der Nato 1999 gar keine Jurisdiktion mehr gibt, tat die Regierung in Belgrad so ziemlich das Einzige, was sie tun konnte: eine Sondersitzung des Parlaments einzuberufen, das nach einer zehnstündigen hitzigen Diskussion in Anwesenheit des Staatspräsidenten und aller Minister in der Nacht auf Sonntag eine Deklaration über die aktuelle Krise im Kosovo verabschiedete.
Diese Erklärung stellt fest, dass die "vorübergehenden Institutionen" in Prishtina versucht hätten, "mit Gewalt" die bestehende Lage zu verändern, und dass einzelne internationale Missionen die Kosovo-Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats verletzt und so die Rechte und die Existenz des serbischen Volkes im Kosovo bedrohten hätten. Die Deklaration verpflichtet die serbische Regierung, ausschließlich mit friedlichen Mitteln und durch Dialog alles in ihrer Macht stehende zu tun, damit der freie Personen- und Warenverkehr an der "administrativen" Grenze zum Kosovo wiederhergestellt wird. Die Regierung müsse im Rahmen der internationalen Verträge über das Kosovo die Institutionen in Prishtina daran hindern, den Frieden und die Stabilität im Kosovo zu gefährden.
Staatspräsident Boris Tadic warnte vor "Kriegsspielen"
Durch "diplomatische Aktivitäten konnte vorübergehend der brutale Versuch der Behörden in Prishtina gestoppt werden, einseitige Lösungen zu erzwingen", erklärte Serbiens Regierungschef Mirko Cvetkovic, praktisch als Begründung für die Regierungsdeklaration. Staatspräsident Boris Tadic warnte vor "Kriegsspielen" und forderte die internationale Gemeinschaft auf, den vorherigen Zustand im Norden des Kosovo wiederherzustellen.
Er warf "einzelnen Vertretern der internationalen Gemeinschaft" - gemeint waren die USA - vor, die Behörden in Prishtina zur Aktion an den Grenzübergängen ermuntert zu haben. Tadic wiederholte abermals die politische Maxime Serbiens: Sollte Belgrad gezwungen werden, zwischen der EU und dem Kosovo zu wählen -, würde man dazu stehen, das Kosovo nie und nimmer und unter keinen Umständen anzuerkennen.
Belgrad beschuldigte die Behörden in Prishtina auch, das Mitteleuropäische Freihandelsabkommen Cefta grob zu verletzen, indem es den freien Warenverkehr zu blockieren versucht, und kündigte eine internationale Klage an.
Bei der Zollfrage in einer Sackgasse gelandet
Prishtina besteht auf der anderen Seite auf seinem Recht, die Grenzen des eigenen Staats kontrollieren und den Zoll kassieren zu dürfen. Die praktisch offene Grenze zu Serbien ermöglicht den fortwährenden Einfluss Belgrads auf die größte serbische Enklave um die ethnisch geteilte Stadt Kosovska Mitrovica. Die "technischen" Verhandlungen zwischen Belgrad und Prishtina durch die Vermittlung der EU sind gerade bei der Zollfrage in eine Sackgasse geraten. Berichten in Serbien zufolge sollte die Besetzung der Grenzübergänge durch kosovarische Polizeieinheiten nur den Prozess einleiten, die Kontrolle der kosovarischen Regierung im ganzen Kosovo herzustellen.
Die serbischen Enklaven weigern sich nämlich, die Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen, und versuchen, durch die Unterstützung Belgrads einen "Staat im Staate" aufzubauen. Nun besetzt die KFOR die zwei Grenzübergänge zu Serbien im Norden des Kosovo, und die Serben errichten ihrerseits Barrikaden an den Übergängen. In den serbischen Enklaven werden Medikamente und Nahrungsmittel knapp, die ausschließlich aus dem Mutterland kommen und die Serben im Kosovo versorgen. Niemanden fällt es ein, bei den albanischen Nachbarn einzukaufen.
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