Greenpeace-Gutachten: Illegale Fischereipraxis im Schutzgebiet
"Es ist verboten, Schweinswale zu vergrämen." Die vom Ministerium vorgeschlage Fischereipraxis in Schutzgebieten verstößt laut Greenpeace gegen EU-Recht.
HAMBURG taz | Die Fischerei in Meeresschutzgebieten in der deutschen Nord- und Ostsee könnte illegal sein. Ein Rechtsgutachten im Auftrag der Umweltschutzorganisation Greenpeace kommt zu dem Schluss, dass die vom Bundeslandwirtschaftsministerium vorgeschlagenen Fischereimaßnahmen gegen europäisches Naturschutzrecht verstoßen. "Nur ein ganzjähriges Verbot der Fischerei" würde den strengen Anforderungen der EU-Richtlinie Flora-Fauna-Habitat (FFH) genügen, schreibt die Hamburger Rechtsanwältin Michéle John in ihrer gutachterlichen Stellungnahme, die am Dienstag in Hamburg vorgestellt wurde.
Ein Hauptgrund sei, dass in den Schutzgebieten "Natura 2000" weiterhin die Fischerei mit Stellnetzen erlaubt sein soll. In diesen Netzen verfangen sich in großer Zahl Schweinswale und ertrinken. "Schutz sieht anders aus", findet Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack. Die Reservate seien eingerichtet worden, um unter anderem den Bestand der einzigen heimischen Walart zu fördern. Zudem solle auch die Fischerei mit Grundschleppnetzen weiter möglich sein. Diese fräst mit schweren Ketten Sandbänke und Steinriffe um und vernichtet somit die Nahrungsgrundlage der kleinen Delfine.
Auch der Einsatz von Pingern sei kontraproduktiv: Diese Geräte warnten Schweinswale zwar vor Netzen, wegen ihrer hohen Frequenzen verscheuchten sie diese aber auch "in einem Umkreis von etwa drei Kilometern", so Maack. "Dadurch werden Schweinswale aus ihren Schutzgebieten vertrieben. Das ist absurd." Nach Einschätzung von John verstößt das alles gegen EU-Naturschutzrecht: "Es ist verboten, Schweinswale in Schutzgebieten zu stören, sie zu vergrämen oder ihnen die Nahrungsgrundlage zu nehmen." Deshalb müsse die Fischerei in den zehn deutschen Meeresschutzgebieten ausnahmslos ausgeschlossen werden.
Bundespolizei stoppt Greenpeace
Nach einer nichtöffentlichen Anhörung aller Interessengruppen im Juli erarbeiten derzeit die Bundesministerien für Landwirtschaft und für Umwelt eine gemeinsame Position. Am heutigen Nachmittag konferieren die Fischereiminister der fünf norddeutschen Küstenländer in Kiel über das Thema.
Greenpeace hatte vorige Woche im Schutzgebiet Sylter Außenriff mehrere große Steinbrocken in 30 Meter Wassertiefe versenkt. Damit soll das Steinriff vor der Fischerei geschützt und der Sand- und Kiesabbau behindert werden. Die Bundespolizei stoppte die Aktion, rechtliche Schritte dagegen prüft Greenpeace zurzeit. Vor dem Verwaltungsgericht Schleswig wird demnächst darüber verhandelt, ob das Steineversenken eine Gefahr für Fischkutter oder eine Naturschutzmaßnahme ist.
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