: Grauenhafter Lageralltag
■ Zbigniew Fuchs, einer der letzten Überlebenden des KZ Buchenwald, ist Zeuge im Prozeß um die Ermordung des Kommunistenführers Thälmann / Erschütternde Schilderungen
Aus Düsseldorf Janine Rocha
9.10 Uhr im Landgericht Düsseldorf. Noch 20 Minuten bis zum Beginn der Verhandlung. Doch einer ist schon da: Wolfgang Otto, ehemaliger SS–Oberscharführer, pflichtbewußt nun auch in der Rolle des Angeklagten. Irma Gäbler–Thälmann hingegen, die Tochter des ermordeten Ernst Thälmann und Nebenklägerin, erscheint dann, umgeben von ihren Anwälten und Begleitern aus der DDR. In den Verhandlungspausen wird sie belagert von westdeutschen Kommunisten und östlichen wie westlichen Medienvertretern. Doch das Kräfteverhältnis im Verfahren ist eher umgekehrt. Nachdem der BGH das Krefelder Urteil, das Otto als Mittäter am Mord Thälmanns zu vier Jahren Haft verurteilte, aufgehoben hat, sind Otto und seine Anwälte siegessicher. Die Krefelder Richter hatten Otto als einen Schreibtischtäter verurteilt, der allein schon durch seine Funktion in der Schreibstube mitverantwortlich für die Ausführung des Exekutionsbefehls Hitlers vom 14.8.44 war, und hatte deshalb nicht auf eine erwiesene Beteiligung Ottos an der Erschießung abgehoben. Der BGH hingegen bemühte erneut seine skandalöse Theorie, wonach die Grausamkeiten des Faschismus von lauter isolierten Einzeltätern begangen wurden, und fordert nun den Nachweis einer konkreten Tatbeteiligung Ottos. Erinnern muß sich nun Zbigniew Fuchs. Er ist der letzte Überlebende des Leichenträgerkommandos des KZ Buchenwald. An seinem Revers steckt eine Aus zeichnung des polnischen Staates für überlebende KZ–Häftlinge. Fuchs soll die im Sinne des BGH relevanten Zeugenaussagen würdigen helfen, nämlich die des Leichenträgers Marian Sgoda. Sgoda hatte ausgesagt, er habe die Exekution versteckt beobachtet und dabei auch Wolfgang Otto gesehen. Doch in späteren Aussagen hat er widersprüchliche Angaben darüber gemacht, wie er auf den Lagerhof gekommen ist. Deswegen muß Fuchs sich nun an Fenster, Türschlüssel, Luft– und Lichtschächte erinnern, aus denen Sgoda hätte auf den Hof entkommen können. Später werden Lageplan und Lichtbilder vom Ortstermin des Krefelder Gerichts in Buchenwald hinzugezogen. Nr.14 im Lageplan, das sei der Aufzug der Leichen in den Keller des Krematoriums gewesen, erläutert Fuchs. Und Nr.15 und 16, sind das die Öfen?, fragt der Vorsitzende. Ja, lautet die Antwort. In Nr.28 wurden die Sektionen durchgeführt und in der Leichenhalle Nr.38 befand sich ein Lichtschacht. Ob man da hätte hochklettern und auf den Hof gelangen können? Ich weiß nicht, sagt Fuchs, und lächelt freundlich. Welche Bedeutung hat schon die Beschaffenheit eines Luftschachts, wenn man täglich Leichen in Öfen schaufeln muß. Fuchs kann sich auch nicht daran erinnern, daß in der Leichenträgerunterkunft, in der sie eingeschlossen waren, eine Dachluke war. Auch der Name eines SS–Schergen aus der Umgebung Ottos, an den er sich in Krefeld noch mit Sicherheit erinnern konnte, ist ihm inzwischen völlig aus dem Gedächtnis verschwunden. „Vielleicht, weil wir so eine große Angst vor denen hatten“, versucht Fuchs dem Nebenklägervertreter RA Hannover sein überraschendes Vergessen zu erklären. Fuchs ist vorsichtig und zurückhaltend in seinen Aussagen, doch seine Aufgabe als Zeuge ist nicht, wie von dpa fälschlich gemeldet, die Anwesenheit Ottos bei der Exekution Thälmanns zu bestätigen. Er soll die Glaubwürdigkeit des Zeugen Sgoda erhellen. Fuchs bestätigt erneut, daß er persönlich keinerlei Veranlassung habe, an der Glaubwürdigkeit Sgodas zu zweifeln. Doch viel wichtiger und erschütternder als diese Details, an die sich zu erinnern nach so vielen Jahren eigentlich unmöglich ist, sind die leise vorgetragenen Schilderungen Fuchs vom „normalen“ Arbeitsleben des Leichenträgerkommandos. Einen durchschnittlichen Arbeitstag könnte er ihm schlecht schildern, erklärt er dem Staatsanwalt, die Arbeit hätte davon abgehangen, wieviele Leichen angeliefert wurden. In dem noch warmen stinkenden Blut in der Exekutionshalle des Pferdestalls hätten sie gearbeitet wie Automaten. Dimensionen des Grauens, die in der sachlichen Atmosphäre des Schwurgerichtssaals nicht vorstellbar werden. Erst als Fuchs sich von Irma Gäbler–Thälmann, die selbst im KZ Ravensbrück gefangen war, verabschiedet, wird für einen kurzen Moment das gemeinsame Schicksal erschütternd deutlich. Mit einem Handkuß scheint er sich entschuldigen zu wollen, daß er ihr nicht eindeutiger hat helfen können, den Mord an ihrem Vater endlich zu sühnen.
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