Graphic Novel über Boris Pahor-Roman: Schattenrisse aus dem KZ
Jurij Devetak hat aus Boris Pahors Roman „Nekropolis“ eine Graphic Novel gestaltet. Es geht um den Alltag eines Freiheitskämpfers unter den Nazis.
Spätestens seit Art Spiegelmans berühmter „Maus“ wissen wir, dass Comics die Welt verändern können. Spiegelman, dessen Protagonist einen KZ-Überlebenden darstellt, erhielt für sein Werk 1992 einen Pulitzer-Sonderpreis. Seine Bildergeschichte trug wohl mehr zum Verständnis des Räderwerks eines Konzentrationslagers sowie des Leidens derjenigen, die darin gefangen waren, bei, als mehrere Regalmeter wissenschaftlicher Fachliteratur.
An Adaptionen zur „Maus“ hat es danach nicht gefehlt. Jetzt, mehr als 30 Jahre später, ist ein Werk ähnlicher Qualität erschienen, das aber doch ganz anders erzählt und ganz anders gezeichnet ist. Jurij Devetak heißt der slowenische Autor, und er hat eine Graphic Novel veröffentlicht, deren Komplexität über Spiegelmans „Maus“-Geschichte weit hinausreicht. Und es ist verflucht real, was da erzählt wird.
Aber ist Graphic Novel überhaupt der richtige Begriff für dieses Buch? Dieser setzt voraus, dass es sich um eine fiktive Geschichte handelt, die aus der Fantasie entstanden ist.
Devetaks Grundlage dagegen ist so furchtbar wie real. Sein Buch basiert auf dem autobiografischen Roman von Boris Pahor. Dieser slowenische Freiheitskämpfer durchlitt 1944 und 1945 vier deutsche Konzentrationslager. 1965 schrieb er sich die nicht enden wollenden Torturen in Dachau, Natzweil-Struthof, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen von der Seele.
Besuch einer Gedenkstätte
Sein Buch „Nekropolis“ ist keine einfache Lektüre, für Schulkinder wohl nicht geeignet. Auf der einen Ebene besucht sein Protagonist lange nach Kriegsende das zu einer Gedenkstätte umgewandelte KZ Struthof, auf einer zweiten kehren die Erinnerungen an die Qualen dort und in den weiteren Lagern in sein Gedächtnis zurück. Pahor schont seine Leser nicht. Er gibt Einblicke in das alltägliche Sterben in der Krankenbaracke, entführt ihn in die Welt des Hungers, beschreibt den Verbrennungsofen.
Boris Pahor und Jurij Devetak: „Nekropolis“. Aus dem Slowenischen von Barbara Anderlič. Schaltzeit Verlag, Berlin 2023, 167 Seiten, 25 Euro
Sein Buch zählt zu den wichtigsten Werken der Literatur über das System des nationalsozialistischen Menschenquälens weltweit, auch wenn es in Deutschland erst spät übersetzt wurde und relativ unbekannt geblieben ist. Für das kleine Land Slowenien ist es von überragender Bedeutung, denn Boris Pahor gehörte zu den Menschen, die schon im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auf ihrer nationalen Identität beharrten und dafür unendlich leiden mussten.
Pahor ist 2022 im biblischen Alter von 108 Jahren in seiner Heimatstadt Triest verstorben. Jurij Devetak ist Jahrgang 1997, also Mitte zwanzig. Beide Autoren haben sich noch kennengelernt, Devetaks grafische Version von „Nekropolis“ sollte ursprünglich zum 109. Geburtstag Pahors erscheinen. Nicht umsonst sind auf dem Titel der Graphic Novel – wir bleiben bei dem Begriff, weil kein besserer zur Hand ist – die Namen von Boris Pahor und Jurij Devetak genannt.
Würde bleibt bewahrt
Wenn man Pahors „Nekropolis“ liest, bevor man sich an Devetaks „Nekropolis“ macht, fragt man sich mit jeder weiteren umgeblätterten Seite umso dringlicher, wie denn diese Geschichte des Elends, der Unterdrückung und des Mordens ein Comic werden soll, ohne dabei die Menschen zu bloßen Folterfiguren zu erniedrigen. Aber Devetak hat bewiesen, dass dies möglich ist. An keiner Stelle müssen die Menschen in dieser Geschichte Gewaltfantasien befriedigen. Ihre Würde bleibt gewahrt.
Erreicht hat das der junge Illustrator, in dem er einerseits so nah wie möglich an der Ursprungserzählung von Boris Pahor geblieben ist. Die Reihenfolge der Geschehnisse entspricht nicht immer dem Original, was aber in diesem Fall nur die Lesbarkeit erhöht. Die Texte auf den Seiten – es sind keine Schnipsel, sondern wirkliche Textausschnitte – sind dem Buch Pahors entnommen.
Sie stehen, gesetzt in American Typewriter, so da, als seien es Dokumente – was sie in gewisser Weise ja auch tatsächlich sind.Jurij Devetaks Zeichnungen erscheinen andererseits strikt und ausschließlich in Schwarz-Weiß. Man sieht den Erzähler, stets mit einer Schiebermütze auf dem Kopf, so wie sie Pahor tatsächlich gerne trug, zu Beginn an der Schreibmaschine beim Abfassen des Manuskripts und dann, die Geschichte nimmt Bewegung auf, im Auto auf dem Weg zur KZ-Gedenkstätte.
Von Erinnerungen eingeholt
Dabei übermannen den Protagonisten die Erinnerungen, er sitzt wieder auf dem Lastwagen auf einer Kiste, in der sich Verstorbene aus dem KZ befinden. Und so geht die Geschichte hin und her zwischen den beiden Zeitebenen, zwischen Einlass begehrenden Touristen im Museum einerseits und den Gedanken an die Krankenbaracke, Typhus, die Ruhr und die toten Mithäftlinge.
Der Mann mit der Schiebermütze kehrt zurück in die Baracken von damals, in die eine, die als Gefängnis diente, und in die andere, gedrungenere, in der der Verbrennungsofen untergebracht war. Er sieht die Touristen, die sich vor dem Krematorium stauen, und er erinnert sich der französischen Mädchen, die im Krematorium verbrannt wurden.
Und der Protagonist sieht einige Seiten weiter ein junges Pärchen, dass sich in der Gedenkstätte zärtlich küsst. „Unsere Dimension war die apokalyptische Endgültigkeit des Nichts. Die der beiden hingegen ist die der Liebe, die genauso unendlich und unergründlich über alle Dinge waltet“, ist dazu ein Zitat aus dem Roman gesetzt.
Der deutsche Wehrmachts-Stabsarzt taucht auf, stark, groß und blond. Er geht oberflächlich und desinteressiert an den Kranken in der Baracke vorbei, deren Betreuer der Mann mit der Schiebermütze geworden ist. Es ist derselbe Mann, der sich später Vorwürfe macht, keinen Widerstand geleistet zu haben im Konzentrationslager.
Devetaks Bilder sind strenge und minimalistische Schattenrisse, sie erlauben keine Missinterpretationen. Am Ende kehrt die Geschichte zu der Schreibmaschine in Triest zurück, auf der der Überlebende Boris Pahor seinen Text geschrieben hat. Devetaks Buch aber ist noch weniger ein Comic als es die Geschichte der „Maus“ von Art Spiegelman war.
Nicht nur, weil hier absolut nichts komisch ist. Nicht, weil hier keine Blasentexte aus Mündern und Hirnen auftauchen. Auch nicht, weil dieses Werk ohne einen Tropfen bunter Farbe erscheint. Sondern deswegen, weil dies hier einem Dokument sehr nahekommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!