Gourmetküche trifft Kreislaufwirtschaft: Viele kleine Schritte in Kopenhagen
Im Spitzenrestaurant Amass wird Müll vermieden, Fleisch und Gemüse komplett genutzt, regional gewirtschaftet. Das ist nachhaltig und schmeckt.
„Wir haben hier viel Platz zum Ausprobieren“, begründet Kim Wejendorp die Standortwahl im Industriegebiet. Zusammen mit einer Gärtnerin ist Wejendorp im Amass zuständig für Innovationen und Zukunftsforschung. Und die beginnt direkt vor dem Restaurant, im 500 Quadratmeter großen Garten. Vor oder nach dem Essen können die Gäste hier herumspazieren, zwischen Dutzenden aus Holzkisten gebauten Hochbeeten im Urban-Gardening-Style. Kräuter und Gemüsepflanzen wachsen hier wild durcheinander, was auch den Insekten gefällt.
Der Fenchel ist zwei Meter hoch geschossen – kein Problem. Blüten und Saat sind ebenfalls schmackhaft: „Wir nutzen die Dinge in ihrem gesamten Lebenszyklus“, sagt Wejendorp, während er hier und da ein Blättchen abzupft und kostet. An vielen Stellen wuchern Beifuß oder Melde. Was die meisten Leute als Unkraut bezeichnen, schätzen die Köche im Amass als interessante Zutat. Und unter dem Holzboden des Gewächshauses schwimmen Karpfen. Das Wasser mit ihren Exkrementen wird nach oben gepumpt und düngt die Minze, die aus senkrechten Metallrohren wuchert.
Beton- und Graffitioptik
Im Gastraum mit den hohen Fenstern gibt sich das Amass urban, verbindet Beton- und Graffitioptik. Die Speisekarte ist klein und wird gewechselt, sobald die Zutaten verkocht sind. Für die Gerichte verwenden die acht Köchinnen und Köche möglichst viel Regionales und Saisonales.
Als ersten Gang vielleicht eine karamellisierte Milch-Karotten-Tarte mit Wasserkresse, Haselnuss und Frischkäse und später gegrillter Spaghetti-Squash mit Muschelsoße, Meerrettich und gesalzener Kürbissaat? Die Küchencrew steht mit vielen ihrer Lieferanten im ständigen Kontakt, um den Kochplan abzusprechen. Bäuerinnen und Fischer können sich darauf verlassen, einen bestimmten Teil ihrer Ernte oder ihres Fangs bei Amass loszuwerden.
Auch Wejendorp ist gelernter Koch. Geboren in Neuseeland, ist er die meiste Zeit seines Lebens durch die Welt getingelt. „Anderswo ist es selbstverständlich, möglichst alles zu verwenden. Hier in Europa haben wir Lebensmittel billig gemacht und die Köche fokussieren sich auf die Teile, die sie gerade für ein Gericht haben wollen. Den Rest schmeißen sie einfach in den Müll.“
Mit einer pantomimischen Armbewegung wischt der 40-Jährige alles vom Tisch. Maximal die Hälfte der Mengen, die in Restaurantküchen angeliefert werden, landen am Schluss auf den Tellern. Bei Amass sind es inzwischen 75 Prozent, schätzt Wejendorp.
90 Prozent der Zutaten sind bio
Haut, Blut und Innereien werden ebenso verwendet wie das Kraut von Möhren. „Wir bombardieren unsere Gäste nicht mit Informationen, schließlich kommen sie vor allem her, um ein gutes Essen zu genießen“, sagt Kim Wejendorp. Doch wer Interesse hat, bekommt Auskunft: 90 Prozent der Zutaten sind bio. Allerdings sei bio kein Garant für Umweltfreundlichkeit, betont Wejendorp und verweist auf weitgereiste Avocados, die den Menschen anderswo das Wasser wegschlürfen. „Wenn man sich überlegt, wo etwas herkommt, dann fängt das eigene Denken an – und das verändert sich dann immer weiter.“
Ein Lernprozess, der aus vielen kleinen Schritten besteht. Schon lange wird etwa das Wasser, das in Karaffen oder Flaschen auf den Tischen des Amass stehen geblieben ist, zum Schrubben des Küchenfußbodens oder zum Wässern der Hochbeete verwendet. Das spart einige tausend Liter Frischwasser und dem Betrieb 2.600 Euro im Jahr.
Vor zwei Jahren hat das Amass seine Forschungsabteilung gegründet und Kim Wejendorp steht nicht mehr mit am Herd, sondern recherchiert und hat Zeit, gründlich nachzudenken. Im Vergleich zu den ersten Jahren haben sich die Abfallmengen um 75 Prozent reduziert. Die Kopenhagener Uni bekommt sämtliche Verbrauchsdaten, Studierende errechnen daraus den ökologischen Fußabdruck und machen Verbesserungsvorschläge.
Rind- und Lammfleisch sind tabu
Vor Kurzem hat das Restaurant entschieden, ganz auf Rindfleisch zu verzichten, nachdem klar war: Zwei Prozent aller Zutaten waren für 25 Prozent der Klimabelastungen verantwortlich. „Fleisch ist sehr wertvoll und es sollte das kosten, was seine Herstellung tatsächlich kostet. Wir setzen es deshalb nur noch sehr sparsam ein“, sagt Wejendorp.
Fünf Gerichte sind immer vegetarisch oder vegan, nur je ein Angebot gibt es mit Fisch und eines mit Hühner-, Enten- oder Schweinefleisch; Lammfleisch ist schon seit vier Jahren tabu. „Als Nächstes gucken wir uns Käse, Milch und Milchprodukte genauer an.“
Das Amass arbeitet viel mit Universitäten zusammen, Besitzer Matt Orlando sitzt auch im Beratergremium für das EU-Projekt „Foodshift 2030“, das die Ernährungswende in Europa vorantreiben will. Gerade läuft die Bewerbung für ein Forschungsvorhaben zum Thema Fischfutter. Die Idee: Die Restaurants liefern den Züchtern sämtliche Fischabfälle, diese füttern damit die nächste Generation.
Kaffee ist eine Ausnahme
In der Küche herrscht strenge Mülltrennung, alle organischen Abfälle werden entweder kompostiert, als Hühnerfutter weitergegeben oder zu Biogas verarbeitet. Vieles lässt sich sogar unmittelbar weiterverwenden. Das Aroma von Kaffeesatz eignet sich gut für gebackene Rote Bete, verrät Kim Wejendorp. Außerdem lassen sich auf dem nährstoffreichen Abfall Edelpilze züchten. Denn, ja: Während schwarzer Tee von der Getränkekarte gestrichen wurde, gibt es im Amass weiterhin Kaffee. Der ist zwar bio und fair, aber auch weit gereist. „Kaffee nicht mehr anzubieten, hätten die Kunden nicht akzeptiert“, sagt Wejendorp.
Die Politökonomin Maja Göpel hat mit „Unsere Welt neu denken“ einen Besteller geschrieben. Wir haben mit ihr über mögliche Zukünfte, das Befreiende von Verboten und eine Kindheit unter Hippies gesprochen – in der taz am wochenende vom 31. Oktober/1. November. Außerdem: Ein Blick auf die letzten Tage vor der US-Präsidentschaftswahl. Und: Das Wichtigste zum Corona-Teil-Lockdown. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
In den Regalen des Restaurants stehen große Weckgläser, in denen fermentierte Möhren, Rote Bete, Kürbisse und eingelegte Pflaumen in allen Farben leuchten. „Auch im Winter soll es ja nicht nur Kohl und Kartoffeln geben“, sagt Kim Wejendorp und grinst. Seine zentrale Botschaft: Ein Restaurant nachhaltig zu betreiben, kostet am Ende nicht mehr.
Zwar ist die Entwicklung neuer Abläufe zeitaufwändig und mühsam – aber nach der Umstellung wird es an vielen Stellen billiger. Weil mehr auf den Tellern und weniger im Müll lande, gleichen sich die Kosten für erhöhten Arbeitsaufwand am Ende aus. „Und das wird die Zukunft sein, ob es den Leuten gefällt oder nicht“, sagt Kim Wejendorp, erwähnt kurz seine kleine Tochter – und lächelt zufrieden.
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