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Gottesdienst durch Künstliche IntelligenzUnd ChatGPT sprach…

Beim Evangelischen Kirchentag wurde der erste, von Künstlicher Intelligenz erdachte und geleitete, deutsche Gottesdienst gehalten. Ein Erfolg?

Kann eine künstliche Intelligenz bald Pfar­re­r*in­nen ersetzen? In Fürth wird das erstmals probiert Foto: Daniel Vogl/dpa

Fürth taz | Die Gemeinde springt leicht gestresst auf. Die blonde, junge Frau in weißer Bluse legt auf der Leinwand ein ziemliches Tempo an den Tag. Das Bekenntnis des Vater-Unsers, einer der Mitmach-Momente jedes Gottesdienstes, kam etwas unvermittelt. Und zack, ehe die letzten aufgestanden sind, ist es auch schon vorbei. Sofort geht es weiter mit dem nächsten Punkt des Gottesdienstes: Predigt, Gebet, Segen – alles programmiert.

Beim Evangelischen Kirchentag fand der erste Gottesdienst statt, der von einer Künstlichen Intelligenz geschrieben und geleitet wurde. Das Thema interessiert viele Menschen. Die St. Paul-Kirche in Fürth ist voll, auch viele Pres­se­ver­tre­te­r*in­nen sind anwesend. Zu Beginn braucht es eine kleine Einführung. Was erwartet die Menschen hier heute? Nicht allen ist der in den letzten Monaten viel diskutierte Chatbot ChatGPT ein Begriff.

Der 29-jährige Jonas Simmerlein, Theologe und wissenschaftlicher Assistent an der Universität Wien, hat dem KI-Programm ChatGPT den Auftrag für den Gottesdienst gegeben. Er sei vor allem „neugierig“ gewesen, wie und ob es funktionieren könne und welche Reaktionen so ein Gottesdienst bei den Menschen hervorrufen würde.

Kirche in Futur

ChatGPT bekommt von ihm die harten Fakten geliefert: „Schreibe einen Gottesdienst für den Evangelischen Kirchentag in Nürnberg und Fürth, der das Motto „Jetzt ist die Zeit“ hat. Wie viel Aufwand so ein KI-Gottesdienst ist? „Gar nicht so viel, wie man denken würde. Nehmen Sie sich einfach mal einen Tag Zeit“, so Simmerlein gegenüber der taz. Den Text der KI habe er kaum redigiert. „Man kann die KI als Tool benutzen und im Anschluss bearbeiten. Ich wollte aber nicht den bestmöglichen Gottesdienst mit Hilfe einer KI machen, sondern zeigen, was die KI kreiert.“

Hat sich mit einem KI-Gottesdienst beim Kirchentag beworben: KI-Künstler Jonas Simmerlein Foto: Linda Gerner

Zunächst bedeutet ein KI-Gottesdienst erstmal: keine Liederbücher, keine Kerzen, stattdessen eine große Leinwand in der Mitte des Altars. Dort sprechen verschiedene Avatare zu den Menschen. Die Avatare sind amerikanische Schauspieler*innen. Äußerlich sind sie divers, haben aber alle eine ähnlich monotone Stimme. Die Menschen in Fürth zücken ihre Smartphones und machen Fotos. So futuristisch ist Kirche schließlich selten.

Inhaltlich rasselt die KI dann die Bibelstellen nur so runter. Bei der Geschwindigkeit fällt es schwer, über die einzelnen Sätze ernsthaft nachdenken zu können. In der Predigt thematisiert die KI die Gefahren und Chancen von Künstlicher Intelligenz. Ganz nach dem Motto: Sprich, wovon du was verstehst. Auf teilweise spannende Sätze folgen Blöcke, die stark an einen vorgelesenen Wikipedia-Artikel erinnern und die Menschen auf den Kirchenbänken inhaltlich abschalten lassen. Für eine echte Gottesdienst-Atmosphäre fehlt das gemeinsame Singen, es fehlt sogar das Orgelspiel. Denn die von der KI ausgewählte Musik, die mehrfach abgespielt wird, wirkt, so fast es eine Frau später zusammen „einfach nur wie Fahrstuhlmusik“.

Ein Kunstprojekt

Das Echo der Besucherinnen und Besucher der Kirche ist später geteilt. „Zu schnell, zu unpersönlich, nie wieder“, sind einige Reaktionen, die Simmerlein im Anschluss auswerten wird. Andere finden es spannend, „wie weit die KI schon ist und wie viel da bereits möglich ist.“

Im Anschluss an den Gottesdienst sagt ein älterer Mann: „Ich bin sehr beruhigt, weil deutlich geworden ist, wo die Grenzen sind. KIs können nur sagen, was im Netz ist, während ein echter Prediger noch seine eigenen Ideen hat.“ Auf dem Podium bei der anschließenden Reflexionsrunde sagt die 29-jährige Philosophin und Theologin Anna Puzio später spitz: „Interessant, wie wir jetzt vom blöden, langweiligen KI-Gottesdienst sprechen, und der, den es sonst gibt, so glorifiziert wird.“ Die Leute in der Kirche lachen.

Auch Simmerlein beobachtet, dass ähnliche Aussagen, für die der Theologe Heinrich Bedford-Strohm beim Eröffnungsgottesdienst Applaus bekommen hat, bei der KI in der Gemeinde für Lacher sorgen: „Das waren etwa Aussagen zu Gerechtigkeit. Vielleicht war es in gewisser Weise auch ein hilfloses Lachen, weil man merkt: Irgendwie macht mich das unruhig, dass die KI auch solche Sätze sagt.“

Der experimentelle Gottesdienst macht deutlich, dass er mehr Fragen aufgewirft, als er beantworten kann. Das sind insbesondere ethische Fragen wie: „Wer spricht, wenn die KI von ‚Wir‘ und ‚Ich‘ spricht? Gibt es die Gefahr, dass sich die KI zum Gott erhebt? Aber auch Technisch-Praktisches bleibt offen: Wie kann die KI sich besser an den Sprechrhythmus der Gemeinde anpassen? Und kann KI vielleicht eine Lösung für unbesetzte Pfarrstellen auf dem Land sein? In anderen Ländern wird mit KI-Gottesdiensten schon gearbeitet, berichtet Simmerlein.

„Für mich ist es ein Kunstprojekt“, sagt Simmerlein. Schon im Voraus habe er „Abgesänge“ auf seinen KI-Gottesdienst erhalten, obwohl noch gar nichts stattgefunden hatte. Er vermutet, dass einige dieser Menschen generell Innovationen in der Evangelischen Kirche ablehnen. „Sie alle haben jetzt die Möglichkeit, sich eine fundierte Meinung zu bilden“, sagt Simmerlein den Menschen in Fürth. Die angeregten Diskussionen danach zeigen, dass dieser Einladung gefolgt wird.

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