Gorleben: Unerwünschte Erkundung
Umweltminister Röttgen will den Salzstock weiter als Endlager für radioaktiven Müll untersuchen lassen. Die Erkundung soll nach dem Bergrecht erfolgen, das weniger Mitwirkungsrechte der Öffentlichkeit vorsieht.
Greenpeace war am schnellsten. In der Nacht zum Sonntag demonstrierten Aktivisten der Umweltorganisation am Gorlebener Endlagerbergwerk. "Gorleben: Für Atommüll ungeeignet, Herr Röttgen", projizierten sie auf den Förderturm über dem Salzstock. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) Gorleben weiter auf seine Eignung als Endlager untersuchen lassen will. Nach Medienberichten soll der verhängte Stopp der Erkundung des Salzstocks auf seine Eignung als atomares Endlager (Moratorium) aufgehoben werden. Eine Ministeriumssprecherin wollte die Berichte am Wochenende weder bestätigen noch dementieren.
Der endgültige Beschluss, die von der damaligen rot-grünen Bundesregierung gestoppten Arbeiten in dem Salzstock wieder aufzunehmen, soll in der vergangenen Woche gefallen sein. Röttgen steht in Sachen Gorleben unter Zeitdruck. Der alte Rahmenbetriebsplan von 1983, nach dem der Salzstock bis 2000 untersucht wurde, läuft im Herbst aus. Es dauert ein halbes Jahr oder länger, bis einer Verlängerung stattgegeben werden kann. Die Erkundung in Gorleben soll wie vor dem Moratorium nach dem Bergrecht erfolgen, das im Gegensatz zum Atomrecht weniger Mitwirkungsrechte der Öffentlichkeit vorsieht.
Die abschließende Erkundung des Salzstocks dauert selbst nach optimistischen Einschätzungen rund zehn Jahre. Erst wenn sich Gorleben als ungeeignet erweisen sollte, will die Bundesregierung andere Standorte untersuchen. Mehrere Unions- und FDP-Politiker haben allerdings schon verlauten lassen, dass sie den Salzstock für tauglich halten. Diese Bewertung ist umstritten. Mehrere Wissenschaftler haben auf Grundwasserkontakt und ein teilweise nur dünnes Deckgebirge hingewiesen. Die SPD verlangt deshalb, dass bereits jetzt parallel zu Gorleben auch Gesteinsformationen in anderen Landesteilen unter die Lupe genommen werden. Von seiner Behauptung, Gorleben sei "tot" und komme gar nicht mehr als Endlager in Betracht, war Parteichef Sigmar Gabriel in der vergangenen Woche allerdings abgerückt.
Die Grünen haben sich vehement gegen die Absicht gewandt, den niedersächsischen Standort Gorleben wieder als Endlager für radioaktiven Müll erkunden zu lassen.
Die Parteivorsitzende Claudia Roth warf Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) vor, er ignoriere geologische Realitäten und die Sorgen der Bevölkerung.
Die Grünen-Landtagsfraktion bewertet die geplanten Arbeiten "als Beginn der Errichtung eines Endlagers nach dem Atomgesetz". Sollten Bundesumweltministerium und Landesregierung "nach Bergrecht weitermachen, verstoßen sie gegen das Gesetz", sagte Fraktionschef Stefan Wenzel.
Am Standort Gorleben gebe es erhebliche fachliche und juristische Zweifel, sagt die atompolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Sylvia Kotting-Uhl. "Scheitert er aus geologischen Gründen oder vor Gericht, steht schwarz-gelb mit leeren Händen da." Einige Grünenpolitiker (siehe Kasten) wie die Europaabgeordnete Rebecca Harms aus dem Wendland und zahlreiche Bürgerinitiativen fordern, die Endlagersuche völlig neu aufzurollen und Gorleben dabei ganz außen vor zu lassen. "Ein Salzstock, der direkten Kontakt zum Grundwasser hat, ist völlig unbrauchbar für die Lagerung hochradioaktiver Abfälle", sagt Jochen Stay von der Anti-Atom-Initiative "Ausgestrahlt". "In Gorleben droht ein zweites Asse-Desaster - mit unabsehbaren Folgen", warnte Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler bei der nächtlichen Demo. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg verweist darauf, dass die Entscheidung für Gorleben in den 1970er Jahren nicht nach wissenschaftlichen Kriterien, sondern aus politischen Gründen erfolgte. Später habe die Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) ein Gorleben-kritisches Gutachten der damals federführenden Physikalisch-technischen Bundesanstalt "geschönt". Diesem Vorwurf geht demnächst ein Untersuchungsausschuss im Bundestag nach, dessen Einsetzung SPD, Grüne und Linke durchgesetzt haben.
Röttgen wirbt um Akzeptanz für seine Pläne, indem er Transparenz und eine offene Informationspolitik verspricht. Ähnlich wie bei der Schließung der Asse, soll auch in Gorleben eine Begleitgruppe aus Kommunalpolitikern, Behörden und Umweltverbänden die Arbeiten begleiten. Die Atomkraftgegner im Wendland pfeifen jedoch auf eine solche Begleitgruppe und wollen sich keinesfalls daran beteiligen. Die Umweltbewegung werde stattdessen "mit massenhaften Protesten auf der Straße" in die Auseinandersetzung eingreifen, kündigt Stay an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen