Golf-Masters: Ermächtigung eines Superstars
Zum ersten Mal gewinnt ein Australier in Augusta. Doch am Ende redet wieder mal alle Welt über den geschlagenen Tiger Woods.
Golf ist der Sport des Konjunktivs. Wäre dieser eine Ball doch nur den einen Millimeter weiter links … Hätte ich doch eine Idee mehr durchgeschwungen … Könnte nicht einmal … Solche Zitate begleiten weltweit Woche für Woche jedes Hobbyspielerturnier und manchmal auch die Szenerie, wenn sich die Besten dieses Sports beim Masters messen.
Martin Kaymer zum Beispiel. Der beendete den letzten Tag mit sensationellen fünf Birdies hintereinander, das (mit einer Ausnahme) beste Sonntags-Finish, seit die Pockenbälle in Augusta zum Fliegen gebracht werden. Alles klappte auf einmal. Hätte Kaymer die 67 Löcher davor nur annähernd so perfekt gespielt, würde er heute vielleicht das hässliche grüne Sieger-Jackett tragen. Aber Kaymer agierte unterwegs zwar konstant und sicher, hatte am Ende aber eine der schlechtesten Putt-Statistiken des gesamten Feldes. Für die berüchtigt schnellen und schiefen Grüns in Augusta fehlte ihm lange jeder Touch. Und so war sein Anspruch schnell geplatzt: „Ich muss einfach oben mitspielen.“ Kaymer wurde 35. und hatte, mal wieder, „viel gelernt“.
Oder Bernhard Langer. Der mittlerweile 55-Jährige, der sonst nur noch Seniorenturniere spielt, lag kurz nach Beginn seiner Schlussrunde plötzlich nur zwei Schläge hinter den Führenden. Es wäre die Sensation schlechthin geworden: Ein Golf-Opa auf dem Thron, auf den Tag genau 28 Jahre nach seinem Masters-Sieg 1985. „Ich will um den Sieg mitspielen“, hatte der Leisesprecher vorher unerwartet selbstbewusst gesagt. Leider gingen die letzten Bahnen daneben, sonst wäre weit mehr als Platz 25 möglich gewesen. Nachher erkannte er nach fast 40 Jahren auf der Tour: „Unglaublich, was bei diesem Spiel alles passieren kann.“
Die Altersüberraschung gelang so dem dürren 14-jährigen Chinesen Guan Tianlang, der als asiatischer Amateurmeister für das Masters qualifiziert war. Er schaffte sensationell den Cut und wurde am Ende toller 58.
Umstrittene Gnade für Tiger Woods
Master des Konjunktivs aber war Tiger Woods. Hätte der Weltranglistenbeste gewonnen, wären noch nachhaltigere, wahrscheinlich hohnstrotzende und wütende Diskussionen die Folge gewesen. Intensiv und giftig waren sie ohnehin. Anlass war ein skurriler Vorfall am Freitagabend an Loch 15. Und wie das oberste Schiedsgericht der 77. Masters damit umging.
Woods hatte einen Ball unglücklich gegen die Fahnenstange geschlagen, von wo er ins Wasser kullerte. Dramatisch ärgerlich. Nun sehen die sehr komplexen, aber konjunktivfreien Golfregeln bei solchen Wassertreffern diverse Varianten vor; Woods entschied sich, mit dem üblichen Strafschlag, von der Stelle des ersten Schlages einen neuen Ball zu spielen. Allerdings tat er das ein Schritt dahinter, wie er vor dem Masters-Komitee selbst zugab, wahrscheinlich um sich einen Vorteil zu verschaffen, weil ihm die Stelle ebener und somit leichter erschien. Das ist nicht erlaubt – die Regeln verlangen „so nah wie möglich“. Am Morgen danach bekam er nachträglich zwei Strafschläge extra verbucht.
Das nun wurde von vielen Beobachtern als Skandal empfunden. Sie verlangten, wie etwa der dreimalige Masters-Sieger Nick Faldo, eine Disqualifikation. Denn jeder Spieler, ob Anfänger oder Weltranglistenerster, ist für sein Spielergebnis verantwortlich, trägt dieses in seine Zählkarte ein und unterschreibt. Eine falsch beurkundete Score-Karte zieht automatisch eine Disqualifikation nach sich. Normalerweise. Es sei denn, die kaum bekannte Regel 33-7 wird eingewechselt.
Diese erlaubt „in besonders gelagerten Einzelfällen“ auf einen Ausschluss zu verzichten, „wenn es die Spielleitung für gerechtfertigt hält“. Als Beispiel wird im Regelkonvolut die Verspätung eines Spielers genannt, weil er auf dem Weg zum Abschlag Erste Hilfe leisten musste. In Augusta wurde die Ausnahme-Klausel als eine Art Ermächtigungsgesetz gehandhabt. Man habe vom Regelverstoß erst verspätet erfahren, argumentierte die Turnierleitung dünn, Fernsehbilder hätten Regeltreue vermuten lassen.
Naheliegend, dass man den medienwirksamen Megastar nicht aus dem Verkehr ziehen wollte. Viele empfahlen Woods, auf ein Weiterspielen zu verzichten und sich also mit Größe selbst zu disqualifizieren. Der Schummler konterte solches Begehr nachher kühl aus. Äußerlich unbeirrt machte er weiter und wurde am Ende mit vier Schlägen Rückstand Vierter wie schon 2010 und 2011.
Jubilierender Caddie
Lange hatte es am Sonntagabend in strömendem Regen so ausgesehen, als würde überraschend der wohlbeleibte Argentinier Angel Cabrera (43) gewinnen, der wegen seines schlurfigen Gangs den Spitznamen Ente trägt. Schließlich musste das Stechen mit dem Australier Adam Scott (32) über den Sieg entscheiden. Cabrera, der mit seinem Sohn als Caddie über den Platz lief, verfehlte das Loch um Haaresbreite, was ihn zum Konjunktiv-Sieger machte. Am zweiten Extraloch lochte Scott mit seinem überdimensionierten Besenstil-Putter entscheidend ein. Damit ist er endlich der erste Masters-Gewinner von Down Under – nach 19 anderen Major-Titeln und acht zweiten Plätzen in Augusta seiner Landsleute. „Ich weiß auch nicht, wie mir das passieren konnte“, sagte er und strahlte.
Während das Ermächtigungsgesetz Woods ein Weitermachen erlaubte, hatte sein Ex-Caddie für Scotts Ertüchtigung gesorgt. Steve Williams, ein neuseeländischer Hitzkopf, war vor zwei Jahren vom Krisen-Woods nach gemeinsamen 14 Major-Titeln kommentarlos aussortiert worden. Das gab viel böses Blut und Williams einen neuen Job bei Scott. Williams gab im Stechen auffallend intensive Tipps, achtete wohl auch auf Regelpetitessen und feierte nach dem entscheidenden Putt den panpazifischen Doppeltriumph mit wilderen Sprüngen als der Champion selbst. Gratulationen von Woods an Steve Williams sind nicht überliefert.
Tiger Woods hat jetzt schon acht Masters nacheinander nicht gewonnen und wartet seit fünf Jahren auf seinen 15. Major-Sieg. Hätte der König des Schwungs seinen Ex-Mann Williams mal behalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!