Gnadengesuch abgelehnt: SS-Mann Gröning muss in Haft
Der „Buchhalter von Auschwitz“ versuchte seiner Haftstrafe mit einem Gnadengesuch zu entgehen. Dem wurde vom Gericht nicht stattgegeben.
Danach legten Grönings Anwälte beim Bundesgerichtshof (BGH) Revision gegen das Urteil ein – und scheiterten erneut. Zuletzt lehnte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Beschwerde Grönings gegen seinen Haftantritt ab. Als letztes Mittel legte der ehemalige SS-Wachmann von Auschwitz ein Gnadengesuch ein – und das wurde am Mittwoch von der Staatsanwaltschaft Lüneburg abgelehnt. Dort hat man angekündigt, Gröning zeitnah die Ladung zum Haftantritt zuzusenden. Der Angeklagte gilt als gesund genug, um seine Strafe anzutreten.
Jetzt könnte sich Gröning noch an die niedersächische Justizministerin Barbara Havliza (CDU) wenden und um Gnade bitten. Doch es ist denkbar unwahrscheinlich, dass die Politikerin ihren eigenen Justizorganen widerspricht.
Der Gröning-Prozess hat Rechtsgeschichte geschrieben. Denn es war nach dem Prozess gegen John Demjanjuk in München nicht nur das zweite Verfahren gegen einen NS-Täter, dem kein individueller Mord zur Last gelegt wurde. Vielmehr bewertete das Gericht seine Tätigkeit in Auschwitz, wo der SS-Mann vor allem als eine Art Buchhalter mit der Registrierung und Verwaltung geraubter Gelder und Sachwerte der ermordeten Juden beschäftigt war, als ausreichend für seine Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord.
Die Bestätigung dieses Urteils durch den Bundesgerichtshof im September 2016 hat einer neuen Rechtsauffassung endgültig zum Durchbruch verholfen. Danach kann auch die bloße Anwesenheit eines Wachmanns in einem NS-Vernichtungslager als Beihilfe zum Mord gewertet werden, ist diese doch als generelle Unterstützung für den Betrieb einer Mordfabrik wie Auschwitz zu werten. Die Neubewertung erfolgte freilich reichlich spät, da inzwischen weit mehr als 95 Prozent aller früherer KZ-Bediensteten verstorben sind.
Das Urteil eröffnete den Beginn weiterer Verfahren gegen mutmaßliche NS-Täter in Konzentrations- und Vernichtungslagern. Derzeit ermittelt Staatsanwälte in der ganzen Bundesrepublik gegen etwa 20 frühere KZ-Bedienstete. Gegen drei Männer, die im KZ Stutthof und in Majdanek Dienst getan haben, ist bereits Anklage erhoben worden. Weitere Vorermittlungen laufen derzeit bei der Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott