: Glücklich bis zum Speerwurf
Frank Busemann legt in Ratingen einen ganz passablen Zehnkampf hin, allerdings nur neun Disziplinen lang. Dann bricht eine Verletzung im Ellenbogen auf und gefährdet die WM-Teilnahme
aus Ratingen HOLGER PAULER
Ein Aufschrei weckte das verregnete Publikum, und das schmerzverzerrte Gesicht von Frank Busemann ließ nichts Gutes erahnen. Ausgerechnet im letzten Versuch des Speerwurfs, der vorletzten Zehnkampf-Disziplin der WM-Qualifikation von Ratingen, riss die alte Verletzung wieder auf: Der linke Ellenbogen – im Dezember erst operiert – meldete sich mit einem unheilvollen Knacken zurück. Heinz Birnesser, der behandelnde Arzt aus Freiburg, sprach später von einem „massiven Schmerzbild“ und einem „Taubheitsgefühl bis in die Fingerspitzen“ als Folge der unsauberen Wurftechnik. Zur Behandlung der Verletzung gab es eine Salbe, keine Spritze, darauf legte Busemann Wert.
Bis zu diesem Speerwurf war der Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele von 1996 in Atlanta nahezu schmerzfrei geblieben, ohne Medikamente nehmen zu müssen. Deshalb wollte er sich den positiven Gesamteindruck auch durch das Missgeschick nicht zerstören lassen: Den abschließenden 1.500-m-Lauf brachte er mehr oder weniger souverän nach Hause. 8.192 Punkte standen am Ende für ihn zu Buche und damit schlappe zwölf Zähler mehr als die vom DLV geforderte WM-Norm. Da waren die Schmerzen schnell vergessen.
Seit Sydney 2000 hatte Frank Busemann (26) keinen vollständigen Zehnkampf mehr bestritten. Selbst an Training war in der Zeit seit Olympia kaum zu denken, weil diverse Wehwechen und Verletzungen einmal mehr den fragilen Körper immer wieder zur Tatenlosigkeit verdammt hatten. Die 8.180 Punkte, vom Deutschen Leichtathletik Verband (DLV) als Qualifikationsnorm für die WM in Edmonton vorgegeben, schienen für Busemann außer Reichweite, das Jahr 2001 sollte nur noch als Zwischenstation zur EM 2002 in München dienen, die WM in Edmonton würde ohne ihn stattfinden.
Vielleicht war es diese im Vorfeld bewusst niedrig gehaltene Erwartungshaltung, die Frank Busemann und seinen Trainervater Franz-Josef in Ratingen einen wunderbar entspannten und zudem auch noch erfolgreichen Zehnkampf bescherte. Schon beim Auftakt war dem Ruhrgebietsmatador etwas von der Lockerheit anzumerken, mit der er 1996 in Atlanta als Nobody zur Silbermedaille kam. 10,90 Sekunden lief er in Ratingen über 100 Meter, 7,73 m ließ er im zweiten Versuch des Weitsprungs folgen – und diesem wiederum Freudenschreie der Erleichterung. Vater und Sohn lagen sich schon nach zwei Disziplinen in den Armen, auf den dritten Versuch beim Weitsprung verzichteten sie.
„Es ging mir von Anfang an nur darum, einen in sich stimmigen Zehnkampf abzuliefern und dabei eventuell die WM-Norm zu schaffen“, erklärte Frank Busemann hinterher sichtlich zufrieden. Von der Jagd nach den 9.000 Punkten, die ihn seit Atlanta beschäftigte und womöglich hemmte, hat er sich verabschiedet, auch dank des von dem Tschechen Roman Sebrle vor wenigen Wochen in Götzis aufgestellten Weltrekords von 9.026 Zählern. „Das hat mir die Augen geöffnet“, gab Busemann nun zu.
Am deutlichsten wurde der neue Geist beim Hochsprung. Nachdem Busemann 2,04 m übersprungen hatte und damit „vier Zentimeter mehr als das Soll“, ließ er nach zwei Fehlversuchen über 2,07 m die Latte auf 2,10 m legen. „Ich wollte halt mal mit einer neuen Technik improvisieren“, ließ er wissen, Vater Franz-Josef schüttelte nur mit dem Kopf. Und nach den 400 m zum Abschluss des ersten Wettkampftages war Frank Busemann dann richtig platt. „Da ging nichts mehr“, gab er bekannt, die 50,62 Sekunden am Ende des Tagwerks bedeuten aber immerhin 4.223 Punkte, somit Rang drei und – vor allem – die halbe Miete.
Vor Busemann lagen nach dem ersten Tag nur Stefan Schmid (31) von der LG Karlstadt, der ebenfalls nach längerer Verletzungspause ein erfolgreiches Comeback feierte, sowie Sebastian Knabe (23) aus Halle, der mit 4.372 Zählern gleich rund 250 Punkte über seiner persönlichen Bestleistung blieb. Auch der schwierige zweite Tag ließ sich für Frank Busemann recht gut an: Solide Leistungen über 110 m Hürden (14,21 Sek.) und im Diskuswurf (44,37 m), dazu gute 4,96 m im Stabhochsprung – alles lief nach Plan. Bis eben zu diesem vermaledeiten letzten Versuch mit dem Speer.
Gewonnen wurde die WM-Qualifikation von Ratingen von Stefan Schmid, der es auf 8.287 Punkte brachte und sich damit ebenso das WM-Ticket sicherte wie Sebastian Knabe, der acht persönliche Bestleistungen aufstellte und mit 8.151 Punkten auf Rang drei landete. Bei den Frauen schaffte Karin Ertl aus Fürth als Einzige die Norm für Edmonton, ihre 6.365 Punkte reichten locker. Ob Frank Busemann bei der WM in Kanada wird starten können, vermochten weder der Athlet noch der behandelnde Arzt am Wochenende zu prognostizieren. Die Grundvoraussetzung ist mit der Normerfüllung jedenfalls geschaffen. Jetzt müssen nur noch die Knochen halten.
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