Glück im Spiel: Hannovers brotlose Kunst
Der HSV hatte Glück beim 2:1 gegen die nahezu perfekt spielenden Hannoveraner. Die Tore fielen durch kurios abgefälschte Schüsse.
HAMBURG taz | Was passiert, wenn in einem Derby zwei Mannschaften aufeinandertreffen, die ihre engagiertesten Fans vergrault haben? Dann ist es leise. Sehr leise. Dann kommt keine Stimmung auf.
Zu beobachten war diese Versuchsanordnung am Samstagabend beim mit knapp 52.000 Zuschauern nicht ausverkauften Bundesliga-Fußballspiel zwischen dem Hamburger SV und Hannover 96 mehr als 20 Minuten lang. Und es wäre wohl dabei geblieben, hätte nicht Marcelo auf dem Platz gestanden.
Hannovers Innenverteidiger wurde zweimal angeschossen, einmal von Zoltán Stieber und einmal von Marcell Jansen – und beide Male senkte sich der Ball unter dem erstaunten Blick von Keeper Ron-Robert Zieler ins Tor.
Plötzlich konnten sie wieder jubeln in Hamburg. Der chilenische Neuzugang Marcelo Díaz staunte nach seinem gelungenen Heimdebüt im defensiven Mittelfeld, wie viele die Mannschaft „unterstützt“ hätten. Er, der gerade erst vorige Woche aus der Schweiz kam, kann ja nicht wissen, wie die Atmosphäre früher war, noch vor ein paar Monaten, als die Ultra-Gruppe „Chosen Few“ dem Volkspark noch nicht aus Protest den Rücken gekehrt hatte.
Der Unterschied zu damals ist, dass die verbliebenen Fans die Mannschaft nicht von sich aus nach vorn treiben, wenn sie es am dringendsten braucht, sondern sich bestenfalls mitreißen lassen, wenn es ohnehin gut läuft.
Wobei man in diesem Fall sagen muss, dass bis auf jene durch die Mitwirkung von Marcelo veredelten Szenen wenig Mitreißendes am Spiel der Hamburger war. Vor der mittlerweile ganz ordentlich stabilisierten Deckung blieb fast alles dem Zufall überlassen.
„Das war so geplant“, behauptete HSV-Trainer Joe Zinnbauer hinterher. Er habe schließlich fünf verletzte Stammspieler ersetzen müssen. „Wir wollten auf Fehler warten. Die sind dann zwar nicht gekommen, aber wir haben sehr viel Glück gehabt.“ Das Glück des Tüchtigen, wie er betonte, denn schließlich sei seine Mannschaft insgesamt 129 Kilometer gelaufen – so viel wie seit mehreren Jahren keine Bundesliga-Mannschaft mehr.
„Ich hätte gerne anderen Rekorde“, sagte Zinnbauer, wollte sich für den zweiten Sieg in einer Woche aber „nicht entschuldigen“. Auch wenn er mit Hannovers Coach Tayfun Korkut einer Meinung war, dass der Fußball sich von seiner ungerechten Seite gezeigt hatte.
Hannover war, wie beide Trainer meinten, „spielerisch in allen Belangen überlegen“, hatte aktiver begonnen und durch einen schwachen Strafstoß von Joselú die Führung verschenkt. Auch nach dem 2:0 für Hamburg hatten die Gäste genug Chancen, mehr als nur den 1:2-Anschlusstreffer durch Artur Sobiech zu erzielen.
Korkuts Analyse klang dennoch streckenweise wie die eines Siegers: „Wir haben heute genau den Fußball gespielt, den wir uns vorstellen: Kombinationsfußball, mit hoher Intensität, haben uns gute Chancen herausgespielt.“ Mit ihrem schnellen, präzisen Passspiel hatten die 96er die Hamburger oft ratlos zurückgelassen.
Nur am Nachsatz war zu erkennen, dass aus Hannoverscher Sicht doch nicht alles perfekt war: „Wir müssen jetzt zeigen, dass wir hinter dieser Idee stehen“, sagte Korkut fast beschwörend und man konnte sich denken, dass der Adressat seiner Rede der chronisch ungeduldige Clubpräsident Martin Kind war.
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