piwik no script img

Glitzernde Oase im Reich der Finsternis

Echte Entspannung oder nur Devisen für Kim Jong Il? Nirgendwo kommen sich Nord- und Südkoreaner näher als in der Tourismuszone Kumgangsan

Seine Vision: Über Kooperation und Austausch die Spannungen abbauen „Erleben Sie das vereinigte Korea“, wirbt die Firma Hyundai Asan kess

VON MARCO KAUFFMANN

Der nordkoreanische Clown zaubert eine Bombenstimmung herbei. Erst legt er den Südkoreaner aus dem Publikum auf die Bühne. Nun lässt er eine zentnerschwere Metallkugel beinahe auf den Bauch seines Opfers fallen – und tauscht sie im letzten Moment mit einer Attrappe aus. Zuschauer johlen, pfeifen, klatschen. Der Zirkusmann aus dem Norden und der Student aus dem Süden umarmen sich herzhaft, ein Fähnchen mit einem Korea ohne Grenze flattert.

„Erleben Sie das vereinigte Korea“, wirbt die südkoreanische Firma Hyundai Asan kess. In der nordkoreanischen Kumgangsan-Region („Diamantenberge“) hat sie einen märchenhaften Touristenpark erschaffen. Nordkoreanische Serviertöchter umsorgen südkoreanische Wanderer mit Nudeln nach Pjöngjanger Art. Die Gäste erstehen für US-Dollars Heilung versprechende Ginsengwurzeln und lockern ihre Muskeln in heißen Quellen. Die glitzernde kapitalistische Oase inmitten kommunistischer Tristesse ist ein Kind der Sonnenscheinpolitik des früheren Präsidenten Kim Dae Jung. Seine Vision: Über Kooperation und Austausch die Spannungen zwischen den beiden koreanischen Staaten abbauen.

Mit der Aufführung des Pjöngjanger Staatszirkus endet auch die Illusion eines vereinten Koreas. In der einbrechenden Dunkelheit kommt die Trennung vollends ans Licht. Hier die Tourismuszone, mit Supermarkt, einem zollfreien Laden und dem grell violett beleuchteten Hotel Oekumgang. 20 Meter nebenan beginnt das andere Nordkorea – Kim Jong Ils Arbeiterparadies. Ärmliche Bauerndörfer ohne Strom, die abends in der Finsternis versinken. Das Feriendorf bezieht Elektrizität vom eigenen Kraftwerk.

Mauern und Maschenzaun trennen die beiden Welten. An den wenigen Schnittstellen führen Soldaten Regie. Hinter dem Hotel Oekumgang kreuzt ein Dorfsträßchen den Touristenkorridor. Aus dem Dunkeln nähern sich zwei Gestalten, einen Baumstamm hinter sich herziehend. Trotz schneidender Kälte haben sie nur dünne Stoffschuhe an den Füßen. Der bewaffnete Wachtposten hält ein rotes Fähnchen in die Luft und lässt die Nordkoreaner erst passieren, nachdem der ausländische Besucher die Straße überquert hat. In diesem Abschnitt gilt ein rigoros Fotografierverbot und offenbar ein Zwang zum Gehen. Mit scharfen Trillerpfiffen und fuchtelnden Handbewegungen weist uns der Volksarmist an, schneller zu marschieren.

Am nächsten Morgen glänzen die sagenumwobenen Diamantenberge im Sonnenlicht. Vom Balkon des „Familienstrandhotels Kumgangsang“ zeigt sich in Umrissen die nordkoreanische Hafenstadt Kosung. Dumm nur, dass man keine Einzelheiten heranzoomen kann. Feldstecher mussten in Südkorea bleiben, ebenso Kameras mit einer Objektivbrennweite von mehr als 160 Millimetern. Auch Handys wurden an der Grenze eingesammelt. Das Hotel im Chaletstil mit den Zimmertypen „Standard“, „Familie“, „Royal“ und „VIP“ beherbergt eine Gruppe von 30 Südkoreanern, viele im Pensionsalter. Kwak Yong Kwon, ein 34-jähriger Rot-Kreuz-Angestellter, begleitet seine Eltern. „Ich wollte ihnen diesen Wunsch erfüllen – wer weiß, wie lange diese Touren noch möglich sind.“

Seit den Atombombentest vom Oktober ist der Kumgang-Tourismus von vielen Seiten unter Beschuss. Die Standard-Drei-Tages-Tour kostet umgerechnet 250 Euro, davon streicht das Gastgeberland rund ein Viertel ein. 1,4 Millionen Touristen haben diese de facto südkoreanische Exklave seit 1998 besucht. Ein Goldgrube für Diktator Kim, schnauben konservative Kreise in Südkorea und auch in Washington. Südkoreas Regierung unterstützt zwar die UNO-Sanktionen, die auf den Handel mit Rüstungs- und Luxusgütern zielen. Allerdings ist Seoul nicht bereit, dieses „Projekt der Annäherung“ zu opfern.

Die südkoreanische Reiseleiterin repetiert am ersten Ausflugstag die Regeln: Pass und Visumkarte sichtbar im Plastikbeutel um den Hals tragen („Ziehen Sie den nur unter der Dusche ab!“), keine Fotos aus dem Bus, keine politischen Diskussionen mit nordkoreanischen Angestellten. Erst dann setzt sich der Autobus in Fahrt. Links und rechts des eingehegten Tourismuskorridors stehen Soldaten. Alle paar hundert Meter einer, auf Hügelkuppen, am Damm des Baches, auf Feldwegen, die auf den Transportkorridor zulaufen. Stramm und unbeweglich, man könnte sie für Vogelscheuchen halten.

Mitten auf dem Feld steht ein Ochsenkarren. Entlang langer, gerader Fußwege tragen Frauen Stoffbündel auf dem Kopf. Ein lottriger Militärlastwagen, mit den Vorderrädern im Morast eingesunken, wird mit Kohl beladen. An einem der bewachten Kreuzungspunkte wird der Bus langsam. Die Nordkoreaner springen von ihren Fahrrädern, gehen langsam an den Soldaten vorbei. Das freudige Winken der Wanderschar im Bus erwidern sie mit einem zaghaften Nicken. Die Reiseleiterin redet derweil unaufhörlich über Fauna und Flora.

Auf dem Parkplatz schrauben die Touristen ihre Wanderstöcke zurecht, montieren Markenkäppis und Sonnenbrillen. Als Höhepunkt locken die Kuryong-Wasserfälle. Das enge Tal strahlt in goldenen Herbstfarben, umgeben von den Gipfeln des Diamantengebirges, das seit Jahrhunderten koreanische Schriftsteller und Maler inspiriert. Eine Steintafel am Wegrand preist den „Leuchtstern des 21. Jahrhunderts, Marschall Kim Jong Il“. Zwei Denkmalpfleger befreien den Granitstein von herabfallenden Nadeln. Der Fußweg windet sich über Brücken und Stufen das Tal hinauf.

Rascheln im Unterholz durchbricht die Stille – ein frecher Lemming huscht durch das Laub und blickt keck umher. Doch hinter den Bäumen blinzelt noch ein Augenpaar hervor. Die Kopfbekleidung enttarnt ihn als Angehörigen der Koreanischen Volksarmee. „Überall die Militärs – unheimlich“, flüstert Kwak, der Rot-Kreuz-Angestellte, beim Mittagessen. Die Serviertöchter tragen, wie alle Nordkoreaner, eine rote Anstecknadel mit dem „Großen Führer“ im Revers und lächeln, bis jemand den Fotoapparat zückt. „Keine Fotos!“ Sie sind adrett geschminkt und haben ihr Haar alle mit einem gleich aussehenden perlenbestickten Band gebunden. Der Stil der 70er-Jahre kontrastiert seltsam mit den neuesten Outdoor-Kollektionen der Gäste aus dem Süden.

In der Ecke des hellblau-weiß gestrichenen Lokals sitzen zwei Pin-Träger herum. Einer im braunen Mao-Anzug, wie Kim Jong Il sie liebt. Nach der Aufwärmrunde über Natur und Wetter spricht er die politischen Spannungen an und erklärt etwas unvermittelt: „Wir sind stolz auf unser Atomprogramm.“ Im Fernseher läuft in Endlosschlaufe ein Videoclip: Untermalt von flotter Unterhaltungsmusik gehen Jünglinge mit Farbkesseln und Spachteln an einer Baustelle zu Werke. Schnitt. Zu den gleichen Klängen schießen nun Panzer aus allen Rohren. Kampfpiloten, den Helm unter dem Arm, salutieren und steigen mit einsatzfreudig-entschlossener Miene in ihre Maschinen.

Nach dem Atombombentest vom 9. Oktober ist vielen die Lust auf Annäherung mit dem Norden vergangen. Auch Kwak Yong Kwon und seine Eltern haben erwogen, die Reise zu annullieren. „Vielleicht geht ein Teil der Tourismuseinnahmen an Nordkoreas Militär.“ Schließlich sind die Kwaks doch gefahren.

Am Nachmittag wird die Gruppe ins Zentrum des Touristendorfes chauffiert. Thermalbaden oder Shopping empfiehlt das Programm. In seinem Containerbüro empfängt Feriendorfchef Kim Young Hyun zum Interview. Auf den Kunstlederfauteuils saß soeben noch eine nordkoreanische Delegation. Eine Holztafel erinnert an den Kumgang-Besuch Kim Jong Ils im Jahr 2000. Doch auch sechs Jahre später gibt es viel zu besprechen, denn Hyundai Asan hegt forsche Ausbaupläne. Die Tourismuszone soll stark vergrößert werden. Als nächstes wird ein 18-Loch-Golfplatz eröffnet. Bedenken, der südkoreanische Konzern alimentiere damit indirekt das Atomprogramm, wischt der Hyundai-Asan-Manager vom Tisch. „Wir beschäftigen 1.600 Nordkoreaner – es sind diese Leute, die von diesem Tourismus profitieren!“ Die Visaerträge würden in die zivile Wirtschaft investiert, hätten ihm die Partner aus dem Norden versichert. Dann kontert Kim Young Hyun: „Wenn wir den Kumgang-Tourismus stoppen, wirft uns dies in den innerkoreanischen Beziehungen 30 Jahre zurück – in Zeiten, in denen wir nur Waffen aufeinander richteten statt miteinander zu reden.“

Doch wurde in den Diamantenbergen nicht ein bizarrer Menschenzoo geschaffen, der ein paar auserwählte Nordkoreaner in die Glitzeroase blicken lässt und den Rest in ihren Dörfern einsperrt? Man müsse die langfristige Entwicklung im Auge behalten, entgegnet Kim. „Als wir hier 1998 anfingen, waren die Regeln viel strikter – in ein paar Jahren werden wir auch Zugang zu den Dörfern haben.“

Nach 48 Stunden auf dieser kapitalistischen Insel im kommunistischen Kernland macht sich die Wagenkolonne mit den Touristen auf in Richtung Süden. In einem Anflug von Ungehorsam winkt Mutter Kwak einem Soldaten zu. Ihr Mann packt sie unwirsch am Arm. Solche Regelwidrigkeiten können mit Dollar-Bußen geahndet werden.

Manche haben in den Diamantenbergen zum ersten Mal mit Nordkoreanern gesprochen, andere wie Kwak Yong Kwon zum x-ten Mal. „Die sind immer zu zweit und kontrollieren sich gegenseitig. Alle, die mit uns in Kontakt kommen, sind trainiert.“ Doch glauben einige der Reisenden an die subversive Kraft ihres Trips ins Diamantenland. „Die Propaganda gaukelte den Nordkoreanern vor, wir würden im Süden darben, von US-Besatzern geknechtet – und wenn sie uns hier sehen, was mögen sie dann denken?“

Am nördlichen Kontrollpunkt müssen alle aussteigen. Die Touristen stellen sich nach einer zugeteilten Nummer in die Reihe, marschieren durch die Kontrollschleusen, wo, wie bei der Einreise, Taschen und Koffer durchleuchtet werden. Der Bus darf weiterfahren, die Reiseleiterin gibt Handys und Kameras zurück. Aus Unterständen in den Hügeln sind Panzerrohre auf die Straße gerichtet. Nur ein zwei Fahrbahnen breiter Pfad führt durch den sandigen Minenkorridor. Der nordkoreanische Wachtposten öffnet ein Tor in die entmilitarisierte Zone, ein von seltsamer Ruhe berührtes Niemandsland. Zwei Minuten Fahrt, dann wieder Soldaten, diesmal südkoreanische. Das Auto wird gründlich mit einem Desinfektionsmittel abgespritzt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen