: „Gleich Zeit für dich“
Der Salon Beige in Berlins Mitte ist eine spezielle Frisierstube: sehr alternativ, sehr frisch, viel Kitsch. Meister Ollie ist eine Art Udo Waltz für diejenigen, die es gerne anders hätten. Und zur Not spricht der Meister auch über kommunalpolitische Fragen nordrhein-westfälischer Provenienz
von STEFFEN GRIMBERG
Vorn gleich links die üblichen Stapel mittelschwer angefledderten Druckwerks, ein paar Stühle, Blick auf den Innenhof mit – leider abgestelltem – Springbrunnen und – Gitte. Gitte auf dem Stern-Titelbild, Gitte in Quick, Gitte mit Rex Gildo.
Hübsch auf einer Leuchtwand drapiert, dazu in der Vitrine noch allerlei Schallplattiges. Echte Schätze darunter, selbst aus ihrer skandinavischen Frühzeit ist etwas dabei. Mit Gitte im Wartezimmer. Schließlich sind wir nicht beim Zahnarzt, sondern beim Haarschneider. „Mein schwuler Frisör“, das Nachschlagewerk für Vorurteile in allen Lebenslagen, liegt denn auch pflichtschuldigst unter all den Hairstyle- und Modeblättchen.
Das Entrée des Salons Beige gibt sich alle Mühe: Nichts von Frisierstube, kein Wella-Schwungfrisur-Plakat in Sicht, sondern gedämpftes Licht und helle Brauntöne von einer Sorte, die einen an hochfeine, etwas in die Jahre geratene Miederwaren denken lassen. Mitten drin dann doch ein Hinweis aufs ehrbare Handwerk: Das Profiwaschbecken, von einem rüschenstarrenden Raumteiler aus karamellfarbenem Taft halb verdeckt. Ein Salon in jeder Beziehung. Mit kundenfreundlichen Öffnungszeiten: Der letzte Termin wird für neun Uhr abends vergeben. Frisörbesuch als abendfüllendes Programm.
In den anderen Räumen turnt derweil eine Kleinfamilie samt Nachwuchs herum. „Beige“ ist kinderfreundlich: Im Wartezimmer gibt es sogar Bilderbücher und niedrige Stühlchen im Kitaformat. Die Atmosphäre hat eher etwas von „zu Besuch sein“, und das soll auch so sein: Ollie und sein Kollege André praktizieren ganz bewusst in einer Wohnung und nicht im klassischen Ladenlokal mit Schaufenster.
Und eine psychologische Ambulanz obendrein: Die „Angst vorm Frisör“ möchte er – dann doch ganz Zahnarzt – dem Menschen nehmen, erklärt Ollie später. Doch noch ist es nicht so weit: Das „gleich Zeit für dich“ reicht nebst ausführlicher Begehung der Räumlichkeiten noch für die im Wartezimmer ausliegende Kurzbiografie der Karen Carpenter. Drogen, Essstörungen, eine komplizierte Bruderliebe, Nixon als Fan, der frühe Tod mit 33 – eine schlimme Geschichte, dann doch lieber Gitte.
Zum Trost röhren Adriano Celentano und Anverwandtes durch die Wohnung, Prosecco wird angeboten, und plötzlich ist es so weit. Doch schon bevor der peinlichste aller Momente eintritt und der Maître zu wissen begehrt, wie’s denn geschnitten werden soll – „kürzer“, sage ich dann immer – stellt sich die Frage nach dem Raum.
Lieber im neondurchfluteten Gelass mit den Stühlen im Louis-seix-Stil oder in der kongenialen Kombination von DDR-Schrankwand und schwer nach Chicago aussehenden klobigen Frisörsesseln Haare lassen? Die Entscheidung fällt für Chicago, auch wenn die Behandlungsstühle in Wirklichkeit aus Italien stammen.
Die Karat-Schrankwand ist dafür echt, von Künstlerhand und für die Belange des Gewerbes allerdings so verfremdet, dass erstens bisherige Unterteile an der Decke kleben und zweitens die Spiegel und Ablagen Aufnahme finden. Nicht nur für Kämme und Scheren: Auf der VEB-mäßig eingebauten ausklappbaren Schreibplatte wartet eine Hollywoodschaukel im Puppenstubenformat auf ganz kleine Gäste. Schräg darüber sind lederschwule Stoffpüppchen drapiert – Monchichi meets Village People.
Doch vor jedem Schneiden und Legen steht das Waschen. Also ab in die Mitte, den Kopf in fremde Hände gelegt, zum ersten Mal riecht es ein bisschen nach Frisör. Während Ollie – heute Abend wäscht der Chef selbst – die Kopfhaut knetet, kreisen die Gedanken. So viel der Frisörbesuch sonst mit Tratsch und trendgefönter Lebenshilfe zu tun haben mag, die kostbare Zeit des Waschens ist für seriöse wie weniger schwergewichtige Gespräche, jedenfalls bei mir, tabu.
„Mit Waschen“ – das hatte einmal was von unerhörtem Luxus, als es im Salon Ewers in der Dortmunder Nordstadt maximal „mit Nass“ gab. Meister Ewers, dessen „Salon“ ungefähr 1971 in eine Zeitkonservve geraten war und der sich zwanzig Jahre später gerade deshalb (und der Preise wegen) in studentischen Kreisen einer kurzen Blüte erfreute, feuchtete das Haar aus einer giftgrünen Sprühflasche lediglich an. Auch selbst trug er seine spärlichen Haarreste stets wässrig nach hinten gekämmt, „mit Nass“ war offenkundig so etwas wie ein Berufscredo.
Was die Frage aufwirft: Wohin gehen Frisöre eigentlich, wenn sie zum Frisör wollen beziehungsweise müssen? Bei Udo Waltz sei er auch schon mal gewesen, sagt Ollie, als wir wieder vor der beigefarbenen Schrankwand sitzen. Nicht beim Meister persönlich, doch das ganze Waltz-Team arbeite unheimlich professionell. „Das Problem ist aber: Gebe ich mich zu erkennen?“ Irgendwann kommt es anscheinend immer heraus. Berufskollegen gucken sich auf die Schere, während der Durchschnittskunde sein Konterfei im Spiegel anschmachtet: Das wird es sein.
Mittlerweile haben wir uns auf einen Haarschnitt geeinigt, „kürzer“, eben, aber nicht zu kurz. Die Ohren frei, dafür den Nacken keinesfalls ausrasiert. Ollie schneidet staccato mit atemberaubender Geschwindigkeit. Kein bedächtiges Aufnehmen der Haarsträhne und dann ein langes, langsames „Schnnnnipp“, wie ich es gewohnt bin. Die Schere trifft in derart spitzem Winkel, dass sich die Sorgen von selbst einstellen: Natürlich habe er wie jeder Frisör Narben an den Fingern, sagt Ollie.
Weil er aus Hagen stammt, wechseln wir das Thema und sprechen bestimmt fünfzehn Minuten über die Finanznöte der Ruhrgebietsmetropolen. Ollie weiß eben auf jedes Herzensthema seiner Kunden einzugehen. Und dieser Kunde will nun auch erfahren, was es mit dem Namen des Salons auf sich hat. Weil nach langem Suchen der geeigneten Wohnung alles fürchterlich schnell ging, musste zur Eröffnung im Oktober 2000 fix einer her. „Die meisten Sachen waren eben beige.“
Wieso aber das Wartezimmer? Überhaupt die Wohnung? Gitte? „Ich konnte mich lange nicht entscheiden, ob ich ein Schlagermuseum oder einen Frisörladen haben wollte“, sagt Ollie und fragt nach Musikwünschen. Jetzt ist es beides geworden, dazu Galerie: Vom 21. September an stellt der Hamburger Fotograf Andreas Lang aus, im Oktober übernimmt die Abschlussklasse der Hamburger Kunstakademie den Laden komplett.
Ein klassisches Frisörgeschäft mit Schaufenster war für Ollie und André von Anfang an ausgeschlossen, auch wenn sich so keine Laufkundschaft einstellt. Mundpropaganda und ein eher bescheidenes Schild an der Hofeinfahrt müssen reichen. Noch im ersten Hof, wenn man unmittelbar vor der Tür steht, verrät nichts den Salon.
Diese vertrauliche, intime Atmosphäre mindert offenbar vorhandene Schwellenängste: „Natürlich“ hätten manche Menschen „Hemmungen“, andere an ihre Haare zu lassen, bekräftigt Ollie. Hier helfe auch das Wartezimmer: Es verhindert, dass man – wie sonst üblich – als Wartender mitten im Frisiergeschehen der anderen sitzt. Für nervöse Geister ebenfalls von unschätzbarem Wert dürfte da der Blick auf den gepflegten Innenhof sein.
Überhaupt verströmt das Ensemble eine wohltuende Ruhe, ganz im Gegensatz zu touristischen Rennstrecken wie der Oranienburger Straße in unmittelbarer Nachbarschaft. Nach der Wohnung mit Gewerbenutzung und Sondergenehmigung in Sachen Geschäftszeiten hat Ollie anderthalb Jahre gesucht; insofern ist sein Salon Beige nun ein „Glücksgriff“.
Der Vermieter selbst lässt sich zwar nicht hier frisieren (das sei vielleicht auch besser so, findet Ollie), hat dem Salon aber einen halbantiken Fön geschenkt. Dafür kommt seine Mutter. Und ein 97-jähriger Herr aus dem Haus, der eine stark nach Technikmuseum aussehende Höhensonne zur Ausstattung beigesteuert hat. Doch die will Ollie aus Angst um Kabel und Sicherungen nicht anschließen; stattdessen lockt er mit der Kopfmassage.
Die zweite Ruhephase, Entspannung bei zunehmender Verdunstungskälte. Welch ein Stilbruch, jetzt an Haarwasser zu denken. (Ich tue es aber, mein Haar wird in letzter Zeit immer dünner.) Das sei ganz normal, frustriert mich Ollie, der sein Drahthaar hell blondiert trägt, anschließend gut gelaunt. Alle sieben Jahre verändert sich also die Haarstruktur, doch dicker wird’s nimmermehr.
Zum Trost wenigstens kurz die Höhensonne? Ollie hat den Stecker zwar schon in der Hand, entwirrt dann aber doch nur einen Knoten im Kabel. Die Sonne bleibt aus. Dafür, sagt Ollie, machen wir dir beim nächsten Mal etwas Farbe in die Spitzen.
STEFFEN GRIMBERG, Jahrgang 1967, taz-Medienredakteur, lebt in Berlin.Der Salon Beige liegt im Hinterhof der Auguststraße 4, Fon (0 30) 27 59 40 51, U- oder S-Bahn Oranienburger Straße; Termine ab 12 Uhr und bis 21 Uhr.
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