Glauben an den Weihnachtsmann: Die Magie des „dennoch“
„Ich weiß zwar, dass es keinen Weihnachtsmann gibt, dennoch aber ...“. Sind es nicht die Kinder, sondern vor allem die Erwachsenen, die an Knecht Ruprecht glauben?
Wir alle glauben an den Weihnachtsmann – zumindest wenn es nach dem französischen Psychoanalytiker Octave Mannoni geht. Das ist ein ziemlich erstaunlicher Befund. Dass wir Mannonis Meinung nach nur an den Weihnachtsmann glauben, weil wir eben nicht an ihn glauben, ist noch erstaunlicher. Es gibt nämlich unterschiedliche Arten des Glaubens.
Kinder etwa haben Überzeugungen, die ihnen von den Erwachsenen garantiert werden – beispielsweise, dass der rauschebärtige Mann im roten Gewand eben der Weihnachtsmann sei. Erwachsene hingegen wissen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Ihr Glaube bedarf also einer komplizierteren Konstruktion: Er muss sich gegen ihr Wissen behaupten. Dazu diene uns, so Mannoni, die Formel: „Ich weiß zwar, dennoch aber.“ Also etwa: Ich weiß zwar, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt, dennoch aber glaube ich an ihn.
In dieser Konstruktion wird der Glaube im „ich weiß zwar“ aufgegeben und gleichzeitig im „dennoch aber“ behalten. Der erwachsene Glaube ist also ein gespaltener Glaube, man glaubt gewissermaßen nur „halb“. Tatsächlich kann dieser Glaube aber nur aufrechterhalten werden, wenn er sich verändert. Im Hinblick auf den Weihnachtsmann heißt das: Ich weiß zwar, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt, dennoch aber ist etwas Magisches anwesend, wenn er auftritt. Durch das „dennoch aber“ tritt das Magische in unsere aufgeklärte Welt. Diese Magie entsteht erst dann, wenn wir nicht mehr glauben, wenn wir nicht mehr wie die Kinder glauben. (Es sind nicht die Kinder, die an Magie glauben, wir sind es!) „Ich weiß zwar, dennoch aber“ ist die Formel der Magie, die Form, in der Aufgeklärte – eben dennoch – glauben können.
Die Magie, die im „dennoch“ in unser Leben tritt – ein Dennoch, das wir gar nicht ausformulieren müssen, das sich in einem Wohlgefühl angesichts von Gerüchen, Klängen oder Bildern wie eben jenen des Weihnachtsmanns einstellt, diese Magie hält den Glauben aufrecht, nachdem er durch die Wirklichkeit widerlegt wurde. Im „dennoch aber“ verleugnet der Erwachsene das „Dementi der Realität“, wie Freud es genannt hat, das sein Kinderglaube erfahren hat. Magie ist, wenn man dennoch glaubt – auch ohne es zu wissen.
Damit das funktioniert, braucht es jedoch ein entsprechendes Setting. Damit wir rationale Wesen uns der Magie hingeben können, brauchen wir jemanden, der direkt, der naiv glaubt – einen „crédule“, so Mannoni. Mit leichtgläubig, gutgläubig oder vertrauensselig ist das Wort jedoch zu negativ übersetzt. Und diese Figur ist das Kind.
Die Kinder, die einfach an den Weihnachtsmann glauben, direkt, naiv, die Kinder, die ihn mit leuchtenden Augen ansehen – diese Kinder haben eine zentrale Aufgabe: Sie stützen unseren Glauben, sie sind die Träger des erwachsenen Glaubens. Wer kennt nicht den Satz: Weihnachten – das feiern wir doch nur für die Kinder. Das ist nicht einfach eine Ausrede, das ist vielmehr die Konstruktion, deren die Verzauberung der Eltern bedarf. Dazu müssen das noch nicht mal die eigenen Kinder sein – es reicht schon die Figur des kindlichen „crédule“. Es braucht nur eine Figur, der man Verzückung unterstellt. In deren, durch deren leuchtende Augen tritt die Magie auf.
Was aber geschieht in Zeiten wie den unseren, wo es immer schwerer wird, leuchtende Augen zu finden, an die wir glauben können? Schauen wir uns unsere Kids, wenn sie über drei sind, einmal an! Leuchtende Augen? Also keine Magie mehr für uns?
Es gibt sie noch – dennoch aber! Denn die Figur des Gutgläubigen, die ist längst zum imaginären Bestandteil eines Weihnachtsmilieus geworden. All das Brimborium aus Lichtern und Düften bildet ein Milieu, in dem der magische Glaube existiert, in dem er auftreten kann, flottierend, auch jenseits von realen glänzenden Augen. Deren Funktion wird zunehmend von Dingen übernommen, von edlen Dekos, feinstem Essen oder von Punschständen, Kaufhausmusik und Kitsch – je nach klassenspezifischem Magiemilieu. Das mag ein downgraden des Magischen bedeuten, eine Schwundstufe – ein Ankommen im Entzauberten ist es keineswegs.
Dieser Überschuss an Magieangebot – in der Erzählung, in den Bildern, in den Riten und Dingen – ist die Stärke des Weihnachtsfestes, aber zugleich auch dessen Achillesferse (wenn das keine blasphemische Formulierung ist). In den trüben Wintermonaten bietet es Verzauberung ohne Zugehörigkeit, spirituelle Fülle ohne Verpflichtung, Magie ohne Religion. Da können auch Andersgläubige und sogar Nichtgläubige andocken. Als spirituelle Versorgung von Atheisten wird Weihnachten aber zum Verlustgeschäft für die christlichen Kirchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!