Glamour auf Filmfestspielen von Venedig: Cate Blanchett am Nachbartisch
Indische Ragas und Walfänger in der Beringsee sind auf den Filmfestspielen von Venedig zu sehen – und eine Jurypräsidentin sitzt gleich nebenan.
D urch die Hygieneregeln bei den Filmfestspielen von Venedig muss dieses Jahr auch der rote Teppich leiden. Genauer gesagt, die Fans, die sich sonst vor dem Palazzo del Cinema drängen, um die Stars zu den Premieren aufmarschieren zu sehen. Wo sonst eine niedrige Barrikade den öffentlichen Raum von der Prominenz abgrenzte, stehen jetzt hohe Holzmauern, die jede Sicht versperren.
Ansonsten wäre es wohl kaum möglich, die Abstandsregeln einzuhalten. Glamour begegnet einem da schon eher beiläufig. Etwa wenn im Restaurant am Nebentisch eine blonde Frau im roten Hosenanzug sitzt, die sich bei diskretem Hinsehen als die Jurypräsidentin Cate Blanchett entpuppt.
Wie sie und ihre Juroren über diesen Wettbewerb entscheiden werden, bleibt bisher eine spannende Frage. Überragende Höhepunkte waren noch keine zu erleben, dafür viele gute und eigene, wenngleich wenige außergewöhnliche Filme. Chaitanya Tamhanes Hommage an die klassische indische Musik „The Disciple“ zum Beispiel ist die Biografie des fiktiven Musikers Sherad, der sich jahrzehntelang um Meisterschaft in dieser fast ausgestorbenen und wenig ertragreichen Musiktradition bemüht.
Allerdings kommt er nie ans Ziel, nie schafft er es, sich so vollkommen auszudrücken wie sein Lehrer – oder dessen „Guru“, die Musikerin Maai. Was einen Film von sehr gleichförmigem Fluss ergibt, mit scheinbar aus der Gegenwart gefallenen Momenten wie den nächtlichen Fahrten Sherads auf dem Motorrad in Zeitlupe, unterlegt mit Raga-Drones. Zugleich ist der Protagonist durchaus vertraut mit Facebook und Youtube. Sherad wird übrigens von Aditya Modak gespielt, einem hoch dekorierten indischen Musiker.
Sozialisten und das weibliche Geschlecht
Ein lediglich moderat modernisiertes Biopic bietet „Miss Marx“ von Susanna Nicchiarelli. Ihr Kostümfilm erzählt aus dem Leben von Eleanor „Tussy“ Marx, der jüngsten Tochter des Verfassers von „Das Kapital“. Modern ist vor allem Nicchiarellis Blick auf den auch unter Sozialisten noch verbesserungsfähigen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht.
Eleanor Marx ist zu erleben als Aktivistin in der Nachfolge ihres Vaters, die sich den Männern um sich herum als mindestens intellektuell emanzipiert erweist, gleichwohl aber von ihrem Partner Edward Aveling regelmäßig betrogen wird. Das Erstaunlichste daran ist, mit welch britischem Understatement diese Eleanor Marx in der Darbietung von Romola Garai selbst heftige Konflikte meistert.
So verabschiedet sie eine Affäre ihres Mannes mit einem nüchternen „Merry Christmas“. Die Punksongs der Band Downton Boys im Soundtrack hingegen wirken eher aufgesetzt als produktiv verfremdend.
Erotik-Chats und Walfang
Überraschungen gibt es dafür auch diesmal in den Nebenreihen. „The Whaler Boy“ von Philipp Yuryev, in der Sektion Giornate degli Autori, ist eine Coming-of-Age-Geschichte aus Russland, die an der Küste der Beringsee spielt, an jenem östlichsten Punkt, der gut 80 Kilometer von Alaska entfernt liegt. Der junge Lyshka (Vladimir Onokhov) hat dort vor kurzem Bekanntschaft mit Erotik-Chats im Internet gemacht. Eine der Frauen auf dem Bildschirm hat es ihm so angetan, dass er sie immer wieder im Netz aufsucht.
Er lernt Englisch, fasst den Plan, die Meerenge zu überqueren, um seine „Freundin“ endlich treffen zu können. Der 1990 geborene Yuryev erzählt diese tragikomische Romanze mit so trockenem Witz, hat dabei ein so gutes Gespür für Timing und lakonisches Erzählen, dass man sich diesen real fernen Menschen auf der Tschuktschen-Halbinsel sehr nah fühlt. Trotz vermutlich real gefilmter Walfangszenen inklusive anschließender Zerlegung.
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