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Gläsernes Multikulti-Volk

Bei MigrantInnen ist der Datenschutz allenfalls ein Papiertiger: Institutionen aller Art können sich beim Ausländerzentralregister in Köln detailliert über ausländische Mitbürger informieren  ■ Von Franco Foraci

Ayse Güleç aus Kassel ist mit einer Frauengruppe im Rahmen einer Studienreise einige Tage in Istanbul unterwegs. Am Abend vor dem Rückflug nach Deutschland stellt die Studentin fest, daß ihr Paß weg ist. Um wieder ausreisen zu können, braucht sie Ersatzdokumente. Die deutsche Botschaft erklärt sich für die Kasselerin nicht zuständig. Ayse Güleç sucht das nächste Polizeirevier auf und meldet das Verschwinden ihres Passes. Ohne neue Ausweispapiere – deren Ausstellung würde hier Wochen dauern –, aber mit einer Verlustbescheinigung in der Hand, hofft sie der Bürokratie genügt zu haben. Doch weit gefehlt.

Der zuständige Grenzbeamte am Istanbuler Airport erkennt das offizielle Schreiben nicht an. Er stellt sich stur. Erst nach zwei Stunden zäher Diskussion gibt der Mann schließlich nach und macht von seinem Ermessensspielraum Gebrauch. Ayse Güleç darf zusammen mit den anderen Frauen in die Maschine einsteigen. In Frankfurt gelandet, befürchten die Frauen erneut Aufregung. Zu ihrer Überraschung aber reagiert der Mann an der deutschen Paßkontrolle gelassen: „Kein Problem!“ Der Bundesgrenzzschutzbeamte tippt den Namen der Studentin und ihre deutsche Adresse in seinen Computer ein, es rattert ein paar Sekunden, dann winkt er sie durch. Das Zauberwort für das ungewöhnlich kundenfreundliche Verhalten des BGS heißt AZR, Ausländerzentralregister. Das mit dem AZR verbundene System hatte ausgespuckt, daß Ayse Güleç über eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis verfügt. Die Kehrseite der Medaille: dies ist so ziemlich der einzige Fall, bei dem das AZR zugunsten der MigrantInnen verwendet werden kann.

Das Ausländerzentralregister nämlich, das jetzt gesetzlich legitimiert werden soll, wurde schon vor fast einem halben Jahrhundert für eine denkbar andere Aufgabe geschaffen. Der umfassende Kölner Datenkatalog dient dem Staat – zuerst dem Naziregime und dann der Republik – seit eh und je als Instrument zur perfekten Erfassung und Kontrolle der nichtdeutschen Bevölkerung. Hier ist, um mit den Worten eines Datenschutzexperten zu sprechen, „zusammengefügt, was nicht zusammengehört“.

Aus dem großen Topf von detailliert aufgeschlüsselten persönlichen Daten der Ausländer schöpft, zum Teil per automatischer Fernabfrage, nahezu jede deutsche Behörde. Gespeichert werden nicht nur die üblichen Name-Adresse- Beruf-Kategorien, sondern auch Fahndungsmerkmale, Erkenntnisse polizeilicher Beobachtung und Daten für die Einreisepolitik. Die Ausländerbehörden wie die Standes- oder Arbeitsämter, der Bundesgrenzschutz wie die Staatsanwaltschaften und last but not least die Geheimdienste haben quasi freien Zugriff darauf.

Der verfassungsrechtlich verbriefte Grundsatz der informationellen Selbstbestimmung gilt in der Theorie auch für die MigrantInnen, praktisch aber ist der Daten„schutz“ für Ausländer und Asylsuchende ein Papiertiger. Zwar gibt es einen Anspruch auf Löschung und Korrektur von Daten, aber die Form der Unterrichtung über die gespeicherten Angaben bestimmt das Bundesverwaltungsamt selbst. Es ist zudem auch nach dem im Parlament Anfang Juni vorgelegten Gesetzentwurf nicht verpflichtet, alle Kenntnisse der Behörde mitzuteilen, sofern „dies den Speicherzweck gefährden würde“. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Bei einem kürzlich stattgefundenen Datenschutzforum im Hessischen Landtag in Wiesbaden klagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessen (AGAH) zu Recht: „Vor Ihnen steht jemand, der aufgrund der bestehenden Gesetzeslage zum gläsernen Menschen erkoren wurde. Ohne mein Einverständnis und meine Einwilligung werden meine persönlichen Daten staatlichen Stellen ausnahmslos offenbart. Jeder Deutsche würde dagegen mit Anwälten und Gerichtsverfahren Sturm laufen. Uns sind jedoch die Hände per Gesetz gebunden.“ Persönlichkeitsbezogene Datenverarbeitungsmaßnahmen könnten, meint der Türke Murat Çakir, zu Arbeits- und Aufenthaltsverboten, zu Aus- und Zurückweisungen, zur Vernichtung der räumlichen, persönlichen und materiellen Lebensgrundlagen der Nichtdeutschen führen. Dies alles erfolge im Rahmen einer „völlig uferlos“ verstandenen Gefahrenabwehr. „Nichtdeutsche sind aber per se keine Kriminellen, sondern zuallererst Menschen.“

Der Staatssekretär im hessischen Innenministerium, Heinz Fromm (SPD), nannte es in derselben Veranstaltung „bedenkliche Tendenzen“, die Rechte von Ausländern mit der Begründung einzuschränken, dies sei zur Verhinderung von Rechtsmißbrauch und Rechtsbruch notwendig. Das AZR-Gesetz gehe ihm viel zu weit. Fromm: „Es werden für die einzelnen Behörden in dem Gesetz keine klaren Voraussetzungen für das Abfragen von Daten geschaffen. Es wird lediglich gesagt, wenn sie etwas brauchen, das im Rahmen ihrer Institution ist, kriegen sie es.“ Wer solche Gesetze mache, verhindere Integration auch in den Köpfen. Konsequenterweise hat Hessen als einziges Land im Bundesrat gegen den Gesetzentwurf gestimmt.

Wie mit sensiblen Informationen gerade auch aus den Asylverfahren umgegangen wird, ist laut Datenschützer himmelschreiendes Dunkelfeld. Bekannt ist jedoch, daß beispielsweise im Zirndorfer Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen gleich neben der Antragsstelle die Geheimdienste residieren und dort ungehindert die Möglichkeit haben, Akten einzusehen und Kopien von Antragsunterlagen zu fertigen oder ahnungslose Asylbewerber ein weiteres Mal zu „interviewen“. Über die erlaubte Weitergabe an befreundete Geheimdienste können so Informationen über die Antragsteller, Verfolgungsgründe mithin, leicht in die Hände von Verfolgerstaaten geraten. Welche Behörde – selbst wenn sie gutwillig ist – kann schon richtig überblicken, ob beispielsweise Daten von Kurden auf diese Art letztlich nicht doch an den türkischen Geheimdienst weitergegeben werden?

Der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Helmut Bäumler sieht das Hauptproblem des effektiven Datenschutzes für Ausländer im mangelnden Wissen der MigrantInnen über ihre Beschwerde-Rechte. Es gebe nicht viele diesbezüglich seiner Behörde bekanntgewordene, praktische Fälle. Oft hätten die Migranten andere Sorgen, als sich um die Verletzung ihrer Datenschutzrechte zu kümmern. Wo Häuser brennen oder bei Menschen, denen die Abschiebung drohe, sei Datenschutz „so ziemlich der letzte Gedanke“, äußerte Bäumler gegenüber der taz. Die Ausführungsvorschriften seien derartig weit gefaßt, daß den Behörden ein unangemessen großer Spielraum übrigbleibe. „Die beteiligten Ämter dürfen hier sehr viel, ich würde sogar sagen, fast alles. Aus dem Ausländerzentralregister in Köln wird sich nahezu schrankenlos bedient.“ Das „wirklich“ Kritische an dem AZR sei, daß ganz unterschiedliche Verarbeitungszwecke in einer Datensammlung vereinigt seien: „Diese gefährliche Bündelung, die auch wegen des unzulässig großen Zugangs der Geheimdienste totalitäre Züge trägt, ist bei Deutschen nicht erlaubt, bei Ausländern jedoch im geplanten AZR-Gesetz vorgesehen.“

Er bezweifle, sagte Bäumler, ob das Bundesverfassungsgericht bei einer möglichen Durchsicht des AZR-Gesetzes die Vereinbarkeit der diversen Speicherzwecke bejahen würde. Bäumler formulierte es während des bereits erwähnten Forums im Wiesbadener Landtag noch schärfer: „Brandfackeln fangen im Kopf an“, deshalb sollte es auch im Datenschutzrecht endlich keine Menschen zweiter Klasse mehr geben. Niemand sei gut beraten, so Bäumler, wenn er das Problem abtue, das nur die Ausländer betreffe. Als Datenschutzbeauftragter könne er nicht ausschließen, daß man Datenanwendungen, „die sich im Ausländerbereich aus der Sicht der staatlichen Institutionen bewährt haben, irgendwann auch in anderen Bereichen einführen möchte“.

In der Ausformulierung des AZR-Gesetzes erkennt der hessische Datenschutzbeauftragte Winfried Hassemer einen weiteren Beleg dafür, daß „die Zeit für grundrechtsorientierte Gesetzesänderungen in Deutschland schlecht“ sei. „Wir entfernen uns jedenfalls zusehends von unseren rechtsstaatlichen Traditionen. Das wäre vor der verheerenden Asyldebatte niemals denkbar gewesen.“

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