Girls Rock Camps: In der dieterfreien Zone
Immer noch spielen sehr wenige Frauen in Bands. In Zeiten, in denen Jugendliche in Castingshows abgekanzelt werden, bieten die Girls Rock Camps eine angenehme Alternative.
Linda Keith alias Ruby Tuesday war angeblich ein Groupie der etwas anderen Art: Entgegen dem Stereotyp vom weiblichen Fan galt sie als unabhängig, frei und selbstbewusst. So beschreibt es zumindest der berühmte Song der Rolling Stones. "In dem Song geht es um eine toughe Frau, die nicht den Rollenklischees entspricht. Dieses Bild haben wir aufgegriffen", sagt Jule. Sie ist eine der Betreuerinnen des deutschen Girls Rock Camp, das eben "Ruby Tuesday" heißt. Mit solchen Camps wollen Musikerinnen ein Manko angehen, dass jeder und jede sieht, der nur einen kurzen Blick auf die internationale Musikszene wirft: Es spielen kaum Frauen in Bands.
Deshalb konnten eine Woche lang in einem ehemaligen Schwimmbad im brandenburgischen Cottbus Mädchen im Alter von 12 bis 16 Jahren Instrumente ausprobieren, Songs schreiben und eine Band gründen. Gegen das Klischee vom hysterischen weiblichen Groupie geht es bei solchen Camps darum, die Rolle der souveränen Musikerin auf der Bühne einzunehmen.
Ein kleiner Raum, vollgestopft mit Gitarren, Verstärkern und einem Schlagzeug. Die Wände sind mit Konzertplakaten gepflastert, von der Decke funzeln bunt beklebte Neonröhren. Dunkles Wummern erfüllt den Raum. Vier Mädchen lernen bei einer Melodieübung, wie man mit einem Bass umgeht. Wanda hat Probleme beim Anschlag. "Ich glaube, dein Fingernagel ist zu lang", sagt Flora, eine der Betreuerinnen. "Mist, ich wollte den vorm Camp noch schneiden, hab's aber vergessen", antwortet Wanda. Für das Seminar braucht es einen eher pragmatischen Umgang mit Maniküre.
Das "Ruby Tuesday-Rock Camp" fand vom 18. bis 25. 7. 2010 zum zweiten Mal in Deutschland statt. Für nächstes Jahr ist ein Crossover-Camp geplant, auf dem neben Rockmusik auch HipHop-Skills vermittelt werden sollen. Mehr Informationen finden sich unter www.rubytuesdaymusic.de
Das erste Girls Rock Camp fand 2001 in US-amerikanischen Portland, Oregon statt. Heute gibt es auch in England, Schweden, Griechenland und Deutschland Rockcamps für Mädchen und Frauen.
In Deutschland gibt es kaum bundesweit bekannte Frauenbands. Ausnahmen sind Elektroacts wie Chicks on Speed oder Cobra Killer. Selbst auf internationaler Ebene sind reine Frauenbands eine Seltenheit. Zu den bekanntesten zählen The Donnas, die Dixie Chicks und Kittie.
Während des Camps werden Bands von je vier bis fünf Mädchen gebildet, die an den Nachmittagen von wechselnden Teamerinnen trainiert werden. Sie lernen, als Gruppe eigene Songs zu schreiben und zu spielen, sich aufeinander abzustimmen und einen Auftritt zu absolvieren.
Vormittags bekommen die Teilnehmerinnen Unterricht an Schlagzeug, Bass, Keyboard oder der Gitarre. Daneben gibt es Seminare für das Schreiben, Texten und Darbieten von Songs. Aber auch Skateboarden, Sprayen und Punkrock-Aerobic gehören zum Programm. Die Seminare sollen männerdominierte Hobbys auch für Mädchen interessant machen und ihnen helfen, sich durchzusetzen. Um den Teilnehmerinnen weibliche Vorbilder zu bieten, werden sie zum Teil von bekannten Musikerinnen wie Susie Asado, Kat Frankie und Peaches begleitet.
Die 18 Mädchen und 17 Betreuerinnen haben ihre Zelte rund um das große Becken des ehemaligen Schwimmbads aufgestellt. In den Flachbauten, die sich drum herum verteilen, sind vier Proberäume, eine Küche mit Speiseraum und ein Konzertraum mit Bühne untergebracht. Acht Mädchen, die bereits beim ersten Camp im letzten Jahr dabei waren, haben sich diesmal wieder angemeldet. "Ich habe mich schon das ganze Jahr über auf das Camp gefreut", sagt Magda mit leuchtenden Augen. Zu Hause hat sie keine Möglichkeit, ein Instrument zu lernen oder in einer Band Musik zu machen.
Anspruch der Organisatorinnen ist es, das Camp regelmäßig einmal im Jahr stattfinden zu lassen und es langfristig zu vergrößern. Vorbild sind die ersten Girls Rock Camps, die in den USA stattfanden. In Portland, Oregon existiert bereits seit 2003 ein Girls Rock Institute, das Mädchen das ganze Jahr über die Möglichkeit bietet, Instrumente zu lernen und Bands zu gründen. Auch in Schweden hat sich - dort mit staatlicher Unterstützung - die Idee weit verbreitet, und es gibt schon gesonderte Camps für HipHop, Pop und Metal.
In Zeiten, in denen Jugendliche in Castingshows wie in der Kaserne von Dieter Bohlens abgekanzelt werden, Musik fertig durchkomponiert vorgesetzt bekommen, in ständiger Konkurrenz zu den Mitbewerbern stehen, um vielleicht kurzzeitig ein Star aus der Retorte zu sein, bietet das Camp eine angenehme Alternative: Musik selber machen und sich mit anderen in der Band verständigen, das steht hier im Vordergrund. "Wir wollen den Mädchen vermitteln, dass sie alles lernen können; dass sie nur anfangen müssen", sagt Cashy, eine der Betreuerinnen, über ihre Erwartungen an die Girls Rock Camps. Dabei soll es weniger um Arbeit und Drill gehen, wie man es beispielsweise von "Deutschland sucht den Superstar" kennt, als darum, sich etwas zu trauen und Musik selbstständig zu entdecken. Denn das ist das Bild, das den Mädchen auch heute noch im Alltag und in den Medien nicht ausreichend vermittelt wird. Weder Frauenquoten noch Popfeminismus konnten das bisher ändern.
Beim Keyboard-Workshop versuchen die vier Teilnehmerinnen, einen Song von Lady Gaga nachzuspielen. So streng wird es mit der Spezialisierung auf Rockmusik dann doch nicht genommen. Wildes Geklimper ertönt aus allen Ecken. "Wir haben einen Handyklingelton gefunden", rufen zwei Mädchen. Woraufhin sie den Ratschlag bekommen, nach der Hookline des Songs zu suchen. Birte, eine Betreuerin, erklärt: "Das ist eine Melodie, die so catchy ist, dass sie euch verfolgen wird, bis ihr alt und grau seid." Große Augen, verständnisvolles Nicken, und daraufhin bricht wieder das Fiepen, Dröhnen und Pfeifen von allen Seiten los.
Fast alle Betreuerinnen arbeiten ehrenamtlich beim Cottbusser Camp mit. Zum Großteil spielen sie selbst in Bands und können ihr Wissen weitergeben. "Wir wollen den Mädchen aber nicht reinquatschen", sagt Ming, eine der Trainerinnen. Der Impuls für die Organisatorinnen, sich bei dem Camp zu engagieren, kommt aus den eigenen Erfahrungen: "Wir haben letztens auf einem Festival gespielt, auf dem 120 Musiker waren, und nur fünf davon waren Frauen", erzählt beispielsweise Jana.
Der Ansatz des Girls Rock Camp stammt aus der Riot-Grrrl-Bewegung, die zu Beginn der 90er Jahre ihre größte Verbreitung fand. Sie entstand aus dem feministischen Ansatz, sich von der besonders im Hardcore und im Punkrock dominierenden männlichen Attitüde abzugrenzen und die im Alltag vorherrschenden Geschlechterrollen aufzubrechen.
In der Anfangsphase der Bewegung gründeten sich in den USA Frauenbands wie Bikini Kill, Sleater Kinney und Team Dresch, deren Einfluss entscheidend zur Vergrößerung der Szene beitrug. Die Riot Grrrls kritisierten die männliche Dominanz und die Unterdrückung der Frauen nicht nur in ihren Songs, sondern auch in selbst gebastelten Fanzines und eigenen Radiosendungen.
Von den USA aus verbreitete sich die Bewegung in den folgenden Jahren auch nach Europa. In Deutschland entwickelte sich die Bewegung weniger stark, doch mit Bands wie den Lassie Singers und Die Braut haut ins Auge hatte die Riot-Grrrl-Bewegung auch hier prominente Vertreterinnen.
Der anfängliche Schwung der Bewegung flaute allerdings Ende der 90er Jahre wieder ab. Momentan gibt es in Deutschland keine einzige Frauenrockband, geschweige denn eine Riot-Grrrl-Band, die auf bundesweiter Ebene von einem breiten Publikum wahrgenommen würde.
Die Bühne ist in rotes Licht getaucht, oben stehen Kira, Magda und Tara. Die drei sind noch so klein, dass ihre Instrumente überdimensional wirken. "Jeder Mensch ist besonders, aber keiner ist perfekt", brüllt Kira. Für das heutige Abschlusskonzert haben sie sich den Namen Black Diamonds gegeben. Außer ihnen treten die Highlights, Agatha Robot und die Crazy Rubys auf. Alle haben es geschafft, ein oder zwei Songs für den großen Auftritt einzuüben, und stehen selbstbewusst auf der Bühne.
Im Saal mischen sich im Publikum Verwandte und FreundInnen, sie wippen und klatschen bei den Songs mit. Nach der Show versammeln sich alle draußen, um die Mädchen zu feiern und Starfotos zu schießen.
Doch selbst hier hört man schon den ersten Vater drängeln: "Können wir jetzt mal los? Das Fußballspiel fängt gleich an."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers