Gipfeltreffen in China: Kim Jong Un ist zurück auf der Bühne der Weltpolitik
20 Stunden mit dem Zug: Nordkoreas Machthaber hat von allen Staatschefs die längste Anreise nach Peking. Doch der Trip dürfte sich für ihn lohnen.

In der chinesischen Hauptstadt ist es fünf Uhr Nachmittag, als der grün bemalte Zug in den ikonischen Hauptbahnhof von Peking einfährt. Hinaus steigt Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un. Trotz 20-stündiger Anreise steht ihm die gute Laune ins Gesicht geschrieben. Sein kugelsicherer Privatzug ist zwar mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde ziemlich behäbig, aber dafür umso komfortabler: In den Waggons finden sich geräumige Konferenzzimmer mit Plüschsofas, eine medizinische Notfalleinrichtung, und natürlich darf der nordkoreanische Parteivorsitzende überall nach Belieben qualmen.
Man könnte den ersten Peking-Besuch von Kim seit 2019 als triviale Angelegenheit abtun. In vielen südkoreanischen Medien wird genau das getan: Da ist die Rede von Kims eigens angefertigter Zugtoilette, die verhindern soll, dass seine Exkremente nach draußen gelangen und dort von Geheimdiensten analysiert werden könnten. Auch wird der wahnsinnige Luxus des Machthabers in allen Details beschrieben – etwa, dass sein Privatzug auch stets eine schwarze Mercedes-Limousine mit sich führt.
Doch der Hintergrund von Kim Jong Uns Rückkehr auf die internationale Bühne der Politik ist ernst. Der nordkoreanische Führer reist zu einer Militärparade am Mittwoch. Das ist seine erste Teilnahme an einer multilateralen Veranstaltung seit 2011. Damals hatte er die Macht von seinem verstorbenen Vater Kim Jong Il übernommen.
Kommt es zu historischem Treffen?
Noch historischer wäre die Reise, sollte es – wie erwartet – zu einem Dreiertreffen mit Chinas Staatschef Xi Jinping und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kommen. Dann nämlich wären die Staatsoberhäupter aus Peking, Moskau und Pjöngjang erstmals seit 66 Jahren wieder vereint.
Traditionell hat Nordkorea seine zwei großen Nachbarn gegeneinander ausgespielt, um für die eigenen Bedürfnisse maximale Zugeständnisse herauszuholen. So oszillierte Pjöngjang stets zwischen den Einflusssphären Chinas und der Sowjetunion – je nachdem, welche Großmacht die interessanteren Konzessionen bot.
In den letzten Jahren war dies zweifelsohne Moskau. Der Ukrainekrieg hat nämlich auch in Ostasien für eine Zeitenwende gesorgt. Nordkoreas Kim hat sich so radikal wie kein zweiter Staatschef an die Seite Putins gestellt: Pjöngjang lieferte Munition und Artillerie im großen Stil, entsandte rund 13.000 Soldaten zur „Befreiung von Kursk“ und weitere 10.000 Arbeiter, die sich auf russischen Baustellen verdingen.
Im Gegenzug lieferte Putin seinem neuen Verbündeten Sicherheitsgarantien, Militärtechnologie und jede Menge Auslandsdevisen. Für Nordkoreas Staatsführung stellte sich der Ukrainekrieg als diplomatischer Jackpot heraus. Sie kann so ihre Volkswirtschaft ebenso wie ihr Nuklearprogramm weiterentwickeln, ohne auf eine Lockerung der westlichen Sanktionen hoffen zu müssen.
Was Kim Jong Uns Ziel ist
Doch wie der südkoreanische Geheimdienst NIS am Dienstag mitteilte, dürfte der Machthaber im Norden der Halbinsel das geopolitische Gleichgewicht wieder etwas austarieren wollen. In Seoul vermutet man: Kim Jong Un wird die Reise nutzen, um Xi Jinping nach wirtschaftlicher Unterstützung zu bitten, damit Nordkoreas erdrückende Abhängigkeit von Russland gemindert werden kann. Denn das hochparanoide und risikoscheue Pjöngjang ist sich darüber im Klaren, dass der Ukrainekrieg eines Tages enden – und Nordkorea dann für Russland keinen Wert mehr haben wird.
Innerhalb Chinas dürften Kim Jong Uns Avancen jedenfalls auf fruchtbaren Boden stoßen. Insbesondere die nordöstlichen Provinzen Liaoning und Jilin, die für chinesische Verhältnisse ökonomisch abgehängt sind, hoffen auf einen Aufschwung ihres Bruttoinlandsprodukts durch günstige Arbeitskräfte und Waren aus Nordkorea.
Zudem könnte Peking durch gesteigerte Zusammenarbeit wieder stärkeren Einfluss auf den Paria-Staat nehmen. Dass Pjöngjang und Moskau zu nahe aneinanderrücken könnten, war China stets ein Dorn im Auge. So zumindest beschreiben es Nordkorea-Experten mit Sitz in Seoul, die zuletzt die Volksrepublik besucht hatten.
Zudem dürfte Kim bei seinen Treffen mit Xi auch ein paar heikle diplomatische Fragen ausloten: ob er nämlich von Peking das grüne Licht für Verhandlungen mit Washington erhält. US-Präsident Donald Turmp hatte zuletzt Ende August bei einem Gipfel mit dem südkoreanischen Präsidenten Lee Jae Myung Interesse bekundet, Kim Jong Un noch in diesem Jahr zu treffen.
Doch im Gegensatz zu den historischen Zusammenkünften in Singapur (2018) und Hanoi (2019), als Nordkorea noch massiv unter Druck stand, sitzt das Land nun am längeren Hebel. Es ist keineswegs mehr darauf angewiesen, dass die USA ihre Sanktionen lockern. Aber um Trumps narzisstisches Bedürfnis zu befriedigen, einen Friedensnobelpreis zu ergattern, könnte Kim versuchen, wirtschaftliche Konzessionen zu erhalten.
Neue Raketenfabrik
Und um seine Verhandlungsposition zu verbessern, hat Kim kurz vor seiner Peking-Reise noch eine neue Raketenfabrik sowie eine weitere Anlage inspiziert, in der Festbrennstoff hergestellt wird – jenes Material also, mit dem Nordkorea seine Interkontinentalraketen betreiben möchte. Zudem geht der südkoreanische NIS davon aus, dass Pjöngjang eine weitere Mobilisierung von 6.000 Militärpersonen nach Russland vorbereitet.
Wie es aussieht, dürfte sich also die Peking-Reise für Kim Jong Un mehr als lohnen – trotz der 20 Stunden, die er auch für seine Rückreise benötigen wird. Dass er nicht seinen Jet gewählt hat, hat übrigens weniger mit Flugangst zu tun, wie es bei seinem Vater Kim Jong Il der Fall war. Es überwiegen Sicherheitsgründe: Kims Maschine ist mehr als 40 Jahre alt und nicht mehr auf dem neusten Stand.
Und dass er mit einem „Air China“-Flugzeug in Peking landet? Das wäre für den nationalistischen Kim natürlich keine Option.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Herbst der Reformen
Wenn jemand immer wieder Nein sagt
Söder will regionale Erbschaftsteuer
In Bayern soll das Sterben am günstigsten sein
Shanghaier Organisation für Kooperation
Autoritäre Internationale trifft sich in China
Klimaaktivistin über langen Atem
„In diesem Sinn bin ich wohl eine Staatsfeindin“
Ukrainischer Historiker über Selenskyj
„Die Ukraine kauft Zeit für Europa“
Israel und Mathias Döpfner
Bild dir deinen Freund