Gipfel der EU-Staatschefs: Selenskyj liest der EU die Leviten
Die EU ist angesichts der baldigen Trump-Regierung abwartend. Die Hilfe der EU sei jedoch nicht genug, sagt Wolodymyr Selenskyj und fordert die Staatschefs auf, mehr zu tun.
Costa will die Treffen reformieren. Bereits vorab machte er in seiner Einladung klar, die Treffen der Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedstaaten effizienter gestalten zu wollen.
Daher begrenzte er den Gipfel auf einen statt zwei Tage – trotz umfangreicher Tagesordnung. Russlands Krieg in der Ukraine, der Machtwechsel in Syrien, die anhaltenden Proteste in Georgien, Migrationspolitik und die kommende US-Regierung von Donald Trump sind Themen des Treffens.
Der Gipfel muss, knapp einen Monat vor der Amtseinführung Donald Trumps, mit einer ungewissen Zukunft planen. Wie und in welchem Umfang werden die USA die Ukraine weiter unterstützen? Wird Trump mit seinen Strafzöllen ernst machen? Und werden diese irgendwann auch Europa treffen? Die EU bereitet sich auf unterschiedliche Szenarien vor – und ist gleichzeitig im Wartemodus gefangen.
Abendessen mit Selenskyj
Währenddessen spitzt sich die Situation in der Ukraine weiter zu. Gegenüber der französischen Zeitung Le Parisien räumte Wolodymyr Selenskyj ein, dass das ukrainische Militär die Krim und den Donbass nicht eigenständig zurückerobern könne.
Bereits am Mittwochabend, vor dem Beginn des Gipfels, lud Nato-Chef Mark Rutte Selenskyj zum Abendessen ein. Neben Selenskyj nahmen auch Bundeskanzler Olaf Scholz und die Staats- und Regierungschefs von Polen, Italien, Dänemark und den Niederlanden daran teil.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron blieb Brüssel indes fern. Er reiste zu Opfern des Zyklons auf der Insel Mayotte. Scholz vertritt ihn auf dem Gipfel. Greifbare Ergebnisse brachte das vertrauliche Treffen in Brüssel offenbar nicht.
EU und USA müssen Ukraine unterstützen
Beim EU-Gipfel am Donnerstag hat Selenskyj den Europäern dann die Leviten gelesen. Die EU leiste nicht genug Waffenhilfe, auch bei der Ausbildung ukrainischer Soldaten hinke sie hinterher, sagte er nach einer mehrstündigen Aussprache mit den Staats- und Regierungschefs. Der Vorschlag, einen möglichen Waffenstillstand mit Russland mit europäischen Friedenstruppen zu sichern, reiche nicht aus.
„Ich glaube nicht, dass europäische Garantien ausreichen werden“, sagte Selenskyj. Um den Krieg zu beenden und Frieden zu sichern, müssten auch die USA mitziehen. „Nur zusammen können die USA und Europa Putin tatsächlich stoppen und die Ukraine retten“, sage Selenskyj mit Blick auf Kremlchef Wladimir Putin. Die Europäer müssten daher das Gespräch mit dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump suchen.
Europäer wollen von Trump nichts wissen
Das dürfte manch einem EU-Chef peinlich sein – denn bisher wollten die Europäer von Gesprächen mit Trump nichts wissen. Der ungarische Ratspräsident Viktor Orban hat zwar angeboten, seine guten Kontakte zu Trump spielen zu lassen, doch die EU schlug dieses Angebot aus. Nun läuft sie der Entwicklung hinterher. Im Entwurf für den Gipfelbeschluß kommt der Name Trump nicht einmal vor.
Ohne Hilfe aus Washington sei es „sehr schwierig, die Ukraine zu unterstützen“, betonte Selenskyj. Auch dies ist unangenehm für die EU. Die Union bemüht sich seit Wochen, die EU-Hilfe aufzustocken, um so einen möglichen Ausfall der amerikanischen Unterstützung zu kompensieren. Es fehle an Luftabwehr, an Waffen und an Geld, betonte Selenskyj nun in Brüssel. Die EU müsse mehr liefern.
Nur Frankreich und Deutschland hätten bisher je eine ukrainische Brigade ausgebildet – dabei habe man mehr als ein Dutzend Brigaden versprochen. Wegen des Mangels an Waffen müssten einige ukrainische Brigaden ohne Ausrüstung in den Krieg ziehen. Das Militär brauche mindestens 19 weitere Anti-Raketen-System, um russische Angriffe auf die Energieversorgung abzuwehren.
Scholz fordert mehr militärische Hilfe
Bundeskanzler Olaf Scholz forderte die EU-Partner indes auf, ihre militärische Hilfe für die Ukraine aufzustocken. Deutschland sei „mit großem, großem Abstand der größte Unterstützer der Ukraine“. Zugleich warnte Scholz davor, jetzt schon darüber zu „diskutieren, was als dritter und vierter Schritt folgen sollte.“ Für Diskussionen über Friedenstruppen sei es noch viel zu früh.
Vor dem Gipfel hatte Scholz betont, dass man „keine Entscheidung über die Köpfe der Ukrainer und Ukrainerinnen hinweg“ treffen werde. Es dürfe keine Eskalation geben, die zu einem Krieg zwischen Russland und der Nato führen, warnte Scholz.
Kallas warnt vor überstürztem Deal
Derweil warnte die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas vor vorzeitigen Verhandlungen der Ukraine mit Russland vor dem Beginn ihres ersten EU-Gipfels.
Die ehemalige estnische Ministerpräsidentin bleibt in Brüssel weiterhin ihrem harten Kurs gegenüber Russland treu. Während die Stimmen für baldige Friedensverhandlungen lauter werden, warnt sie vor einem „schlechten Deal“ für Kyjiw.
„Syrien habe gezeigt, dass Russland nicht unbesiegbar ist und daher sollten wir unsere eigene Kraft nicht unterschätzen“, sagt sie, mit Blick auf dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien, das vom Kreml unterstützt worden war. Bereits zu Beginn der Woche schickte die EU einen Diplomaten, um Kontakte zur neuen Führung aufzunehmen.
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