: Giftgas auf Abwegen
■ Neue Berichte zum Golfkriegssyndrom: Ist Giftgas doch die Ursache für die Erkrankung von Tausenden US-Soldaten?
Eine Wolke des Nervengases Sarin, die während des Golfkriegs 1991 in Richtung der alliierten Stellungen in Saudi-Arabien geweht wurde, ist möglicherweise die Ursache für das „Golfkriegssyndrom“, das immer noch Tausende Golfkriegsveteranen mit rätselhaften Erinnerungs- und Sehschwächen, Hautproblemen und Nervenkrankheiten plagt. Auch von einer erhöhten Krebsrate wird berichtet.
Die US-Regierung hat Zeitungsberichten zufolge neue Informationen, wonach das Giftgas als Folge von Luftangriffen der Alliierten auf irakische C-Waffenfabriken während des Golfkrieges frei wurde. Wie der CIA berichtet, zerstörten US-Bomber im Januar 1991 bei Angriffen auf einen Militärkomplex bei Nassirija westlich von Bagdad irakische Bomben, die mit insgesamt etwa 2,9 Tonnen Sarin gefüllt waren. Bisher seien die Geheimdienstler davon ausgegangen, daß dabei ausgetretene Giftwolken nach Norden in die irakische Wüste getrieben worden seien. Neueste Computerberechnungen zeigen jedoch eine über 240 Kilometer nach Süden gewehte Wolke.
Laut CIA sollen sich die nächsten US-Soldaten zwar erst 400 Kilometer südlich des bombardierten Areals befunden haben. Tschechische Spezialisten machten jedoch schon in der Zeit vom 19. bis zum 23. Januar 1991, kurz nach dem Angriff auf den Militärkomplex, Giftgasspuren in der saudischen Wüste, nicht weit von den Alliierten, aus. Die US-Militärführung wies die Angaben damals brüsk zurück. Nach den jüngesten CIA-Berichten gelten die tschechischen Informationen im Pentagon dagegen als „begründet“. Ein vom US-Präsidenten eingerichteter Ausschuß zur Erforschung des Golfkriegssyndroms bekam die CIA-Informationen am 9. Juli. Öffentlich wurden sie jetzt durch einen Bericht der Zeitung Newsday.
Sarin ist im Umkreis von eineinhalb Kilometern von seinem Austrittsort mit fast hundertprozentiger Sicherheit tödlich. Strittig ist unter Fachleuten, welche Auswirkungen niedrig konzentriertes Sarin hat – beispielsweise in vom Wind davongetragenen Wolken.
Newsday hatte bereits im Juni einen Augenzeugen präsentiert, der berichtete, US-Soldaten hätten bei der Zerstörung eines irakischen C-Waffenkomplexes im April 1991 keine Schutzanzüge getragen. Aus dem Pentagon hatte es zuvor immer geheißen, bei der Zerstörung der Giftgasfabrik bei Nassirija seien nur Soldaten mit Atemschutz und Gummianzügen im Einsatz gewesen. Vergiftungen seien damit ausgeschlossen. Mittlerweile hat man sich im US-Verteidigungsministerium auf die Sprachregelung geeinigt, einige Soldaten „könnten“ während des Einsatzes in Nassirija mit Sarin in Berührung gekommen sein. Thomas Dreger
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