: Giften bis an die Wahlurne
Opposition setzt Sondersitzung zu „Giftliste“ durch – für Samstagmorgen, 22 Stunden vor der Wahl. SPD wirft CDU Missbrauch des Parlaments vor. PDS: „Auch für uns günstige Gelegenheit“
von STEFAN ALBERTI
Die Nachricht erreichte die Haushaltsexperten der Fraktionen im Bus – bei einer Baustellenrundfahrt: Samstag, 10 Uhr Sondersitzung des Abgeordnetenhauses, vorher Treffen des Hauptausschusses. Einziges Thema 22 Stunden vor Öffnung der Wahllokale für die Bundestagswahl: Die drastischen Sparideen aus der Finanzverwaltung von Senator Thilo Sarrazin (SPD), als „Giftliste“ bekannt geworden.
Eigentlich hatte nur die Busbesatzung noch vor der Wahl zusammenkommen sollen. Im Hauptausschuss sollte Sarrazin auf Antrag der FDP-Fraktion außerplanmäßig Klartext zur Giftliste reden. Ausschusschefin Hella Dunger-Löper (SPD) aber setzte den Termin auf Montag – angeblich war der Senator vorher verhindert. „Skandalös“, urteilten die Liberalen. Die CDU legte daraufhin nach und verlangte gestern Vormittag mit Unterstützung von FDP und Grünen ein Extratreffen des kompletten Abgeordnetenhauses. Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) setzte den Samstagstermin gegen Mittag an.
Ziel der Sondersitzung sei es, „die Kapitulationsliste von Finanzsenator Sarrazin transparent und sachlich zu behandeln“, sagte CDU-Fraktionschef Frank Steffel. Grünen-Spitzenmann Wolfgang Wieland erinnerte daran, dass seine Fraktion den Senat schon seit Wochen aufgefordert habe, seine Sparpläne noch vor der Bundestagswahl offen zu legen. „Dies gehört zur Ehrlichkeit gegenüber den Wählerinnen und Wählern“, sagt Wieland. Für FDP-Fraktionschef Martin Lindner haben SPD und PDS am Samstag Gelegenheit, „Punkt für Punkt darzulegen, welche Positionen der Giftliste realisiert werden.“
Die Zahlen aus der Finanzverwaltung waren am Wochenende in die Öffentlichkeit geraten. In mehreren Listen sind bis zu 300 Vorschläge aufgeführt, wie sich bis zum Jahr 2008 insgesamt rund fünf Milliarden Euro einsparen lassen sollen. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und PDS-Landes- und Fraktionschef Stefan Liebich wiesen gestern erneut darauf hin, dass es sich dabei nicht um autorisierte Sparvorschläge des rot-roten Senats handele.
SPD-Fraktionschef Michael Müller sprach der CDU das Interesse an einer sachlichen Debatte ab und warf ihr einen Missbrauch des Parlaments vor. Die Union beweise mit ihrem Antrag kurz vor der Bundestagswahl, „dass nicht die Sachpolitik, sondern reine Wahlkampshow im Vordergrund steht“, sagte Müller.
Die PDS gab sich im Vergleich dazu gelassen. „Danke, Opposition“, äußerte sich ihr parlamentarischer Geschäftsführer Uwe Doering. Beide Koalitionspartner hätten mehrfach deutlich gemacht, dass die so genannte Giftliste nicht Grundlage der Politik sei, dass es dazu weder Senatsbeschlüsse noch entsprechende Vorlagen gebe. „Insofern betrachten wir die Sondersitzung einen Tag vor der Bundestagswahl auch für uns als günstige Gelegenheit, unsere Positionen erneut deutlich zu machen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen