Gifhorner Abschiebewirrwar: Abschiebe-Entscheid revidiert

Der Landkreis Gifhorn hatte im Alleingang eine tschetschenische Familie abgeschoben. Nach einem Gerichtsurteil holt er sie nun zurück.

Erzwungene Ausreise: Eine Familie wird abgeschoben Foto: Uwe Zucchi/dpa

HAMBURG taz| Zwar ist sich der Landkreis Gifhorn keiner Schuld bewusst – dennoch holt er eine in der vergangenen Woche abgeschobene Familie aus Russland zurück. Eine Sachbearbeiterin des Landkreises hatte auf einen Antrag der Anwältin der Familie hin den Fall geprüft und festgestellt, dass die Abschiebung rechtswidrig war. Der Landkreis übernimmt nun die Kosten für den Rückflug und hat bei der deutschen Botschaft in Moskau das Einreisevisum für die Familie beantragt.

Dass die Abschiebung rechtswidrig war, hätte der Landkreis schon vorher wissen können. Das Verwaltungsgericht Braunschweig hatte ein entsprechendes Urteil bereits gefällt, als die Familie noch in Deutschland war – allerdings zu spät, um die Abschiebung zu verhindern, wie der Landrat Andreas Ebel (CDU) behauptet. Ein Anruf vom Gericht habe die MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde am Tag der Abschiebung, dem 2. Dezember um 10.25 Uhr, erreicht – da saß die Familie bereits im Flugzeug nach Moskau, das 15 Minuten später abheben sollte.

„Diese Darstellung ist eine gezielte Täuschung der Öffentlichkeit“, hält der Geschäftsführer des niedersächsischen Flüchtlingsrats, Kai Weber, dagegen. Er wirft dem Landkreis eine Verletzung des Völkerrechts vor. Denn der Abschiebebescheid war längst nicht mehr gültig. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hatte zwar im Frühjahr die Abschiebung nach Polen angeordnet, weil die Familie von dort nach Deutschland eingereist war, und nach der Dublin-Regelung in dieses „Drittland“ abgeschoben werden kann. Passiert das aber nicht innerhalb einer Frist von sechs Monaten, verfällt die Zuständigkeit des Drittlands: Das Bamf muss das Asylverfahren aufnehmen.

Im Fall der tschetschenischen Familie war es so – nachdem die BeamtInnen der Ausländerbehörde die Familie zweimal nicht angetroffen hatten, erlosch der Abschiebebescheid. Das Bamf setzte den Landkreis Gifhorn umgehend in Kenntnis – nur zog der keine Schlüsse daraus, oder zumindest nicht die richtigen. Jedenfalls beschloss der Landkreis, die Familie trotzdem abzuschieben – wenn nicht nach Polen, dann eben nach Russland.

Gazale Salame: Ihr Fall hatte 2005 für Aufregung gesorgt. Nach 17 Jahren in Deutschland war die schwangere Kurdin mit ihrer einjährigen Tochter aus Hildesheim in die Türkei abgeschoben worden, während ihr Mann gerade die anderen Töchter zur Schule brachte. Acht Jahre später beschloss der Landtag, sie zurückzuholen.

Tuong Nguyen: Der damalige Innenminister Niedersachsens Uwe Schünemann (CDU) schickte Familie Nguyen 2011 nach Vietnam, nachdem sie 17 Jahre in Deutschland gelebt hatte. Nur die 20-jährige Tochter der Familie erhielt Bleiberecht und blieb allein in Deutschland. Auf Druck von Flüchtlingsinitiativen, der Kirche, der Opposition und selbst der eigenen Partei gab Schünemann nach und holte die Familie 2012 wieder zurück.

Elvira Gashi: Die damals 21-jährige Kosovarin wurde in einer Nacht- und-Nebel-Aktion mit ihren zwei kleinen Kindern aus Wolfenbüttel abgeschoben – auch unter Schünemann. Zehn Monate später kam sie auf Beschluss des Kreistags zurück.

In einer Pressemitteilung gab sich der Landrat unwissend: Der Kreis sei lediglich über das Ablaufen der Frist informiert worden, nicht aber darüber, dass die Zuständigkeit damit an das Bamf übergegangen sei. Weber hält das für eine faule Ausrede: „Das weiß jeder Azubi, dass das eine das andere bedeutet.“ Ein vergleichbarer Rechtsbruch sei ihm in seiner 30-jährigen Berufserfahrung nicht begegnet.

Hinzu kommt, dass das Bamf den Landkreis kurz vor der Abschiebung explizit darauf hingewiesen hat, dass nun ein Asylverfahren in Deutschland laufe – allerdings nur mündlich. Das reichte dem Landkreis nicht. „Bei der aktuellen Flüchtlingssituation läuft alles so durcheinander – da darf nichts auf Zuruf passieren!“, sagte die zuständige Sachbearbeiterin, die nicht namentlich genannt werden will. Als der schriftliche Bescheid kurze Zeit später den Landkreis erreichte, war die Familie schon in Moskau.

Die Anwältin der Familie hofft nun, dass die alleinerziehende Mutter mit ihren Kindern Anfang des Jahres wieder in Deutschland sein kann. Für die Betroffenen dürfte die Abschiebung trotzdem psychisch schwer belastend gewesen sein. Für die eine Tochter liegen mehrere Gutachten über eine schwere psychische Erkrankung vor, die derzeit im Asylverfahren geprüft werden.

Mittlerweile hat sich auch das niedersächsische Innenministerium in den Fall eingemischt und prüft die Akte. Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, UNHCR, hat Akteneinsicht gefordert.

Dass eine Familie, die abgeschoben wurde, zurückgeholt wird, kommt – selbst wenn die Abschiebung rechtswidrig war – äußerst selten vor, wie Kai Weber sagt.

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