piwik no script img

Gianni Jovanovic über Drag-Kunst„Raus aus der Unsagbarkeit“

Gianni Jovanovic ist Co-Host der neuen Show „Drag Race Germany“. Ein Gespräch über die Kunst, eine Dragqueen zu werden und Widerstandsmomente in der Familie.

Drag Race Metamorkid nimmt bei der Drag Race Germany teil Foto: Paramount+
Jan Feddersen
Interview von Jan Feddersen

Wir sind per Zoom verabredet. Als die Kamera einen Blick auf Gianni Jovanovic freigibt, stellt sich die Frage: Was trägt er unter dem Auge?

taz: Gianni, seit Anfang September bist du Co-Host der Show „Drag Race Germany“, also einer der Gastgeber. Gehört das schwarze Pad unter den Augen zu deinem showangemessenen Look?

Gianni Jovanovic (lacht): Nein, das sind Augenpads, sie sind kühlend – und (lacht weiter) die sind in meinem Alter gut gegen Falten und Ermüdung überhaupt, die Tränensäcke gehen mit diesen Pads zurück.

Bild: Carolin Windel
Im Interview: Gianni Jovanovic

wurde 1978 in Rüsselsheim geboren. Der ausgebildete Zahnarzthelfer versteht sich als Aktivist, Comedian, Autor und Coach. 2015 war er Mitbegründer der Gruppe Queer Roma.

Der US-Vorgänger von „Drag Race Germany“ hat durch die Dragkünstlerin RuPaul jede Menge Ruhm gesammelt.

Umso stolzer bin ich, dass man mich gefragt hat, ob ich als Co-Host dabei sein möchte.

Ich sehe gerade, dass deine Nägel lackiert sind …

… in Gold-Chrom, ja, sehr schick, oder?

In der Tat. Ist das neu an dir?

Absolut nicht. Das mache ich schon seit zehn Jahren. Meine Enkelin war damals noch sehr klein und wollte, dass ich ihr die Nägel lackiere.. Und dann hat die Zweijährige das bei mir gemacht … vor den Augen meines konservativen und strengen Vaters. Für mich war das ein krasser Widerstandsmoment.

Wenn Männer sich die Nägel lackieren – ist das subversiv?

Ich finde es völlig okay, wenn Männer das machen, aber man darf nicht vergessen: Du kannst lackierte Fingernägel tragen – und trotzdem ein patriarchalisches Arschloch sein.

Du bist nun ein Aushängeschild der deutschen Dragkultur. Hast du dich selbst mal in Drag probiert?

Ja, früher. Da war ich noch mit einer Frau verheiratet und lebte mit ihr und meinen zwei Kindern. Vor meiner traditionellen Familie hatte ich mich noch nicht geoutet und ich musste mich im Drag ausprobieren.

Was bedeutet das?

Sich den ganzen Körper zu rasieren, Arme, die bei mir üppigen Brusthaare … und sich in eine, ich sag mal in Anführungszeichen, „Transformation“ zu begeben. Man nimmt eine andere Rolle an, trägt einen anderen Namen und schlüpft in eine andere Identität. Dieses Spiel ist eine Kunstform.

Erklär uns dieses Spiel?

Es hat viel damit zu tun, mit Konventionen und Tabus zu brechen. Wenn ich früher heimlich mit meinem Mann in Kölner Clubs ging, konnte ich endlich eine Rolle spielen, die mir gefiel. Ich musste das allerdings heimlich tun, denn ich lebte ja noch zu Hause und war nicht geoutet, schwul zu sein war verboten. Ich hatte irgendwann das Privileg, eine eigene Wohnung zu haben – endlich unabhängig von meinem Vater zu sein, gab mir viel mehr Freiheit.

Es gab vorher keinen Raum für dich?

Ich bin buchstäblich in einer männlich-toxischen Umgebung groß geworden, und das war gar nicht meins. Ich bin ein sehr zärtlicher, weicher und liebevoller Mann – und der wollte ich auch immer sein.

Die Attribute, die du nennst, werden ja eher Frauen zugeschrieben.

Eben – und bei Frauen ist das erlaubt: weich, nicht hart zu sein. Deshalb hat die Figur der Dragqueen auch so eine Attraktivität. Sie ist die Antwort auf die toxistische Männlichkeit der Brutalität.

Eint diese Einstellung, diese Perspektive auch die Teilnehmenden bei „Drag Race Germany“?

Ich würde vermuten: ja. Alle Dragköniginnen treten an, gegen die heteronormativen Üblichkeiten zu performen. Sie wollen Bilder vom Männlichen brechen: Ein Mann darf, ja kann auch weiblich zugeschriebene Züge haben und sie ausleben.

Die Dragqueens wirken ausgesprochen selbstbewusst – oder täuscht der Eindruck?

Nein, die Kunstform des Drags kommt bei den Beteiligten einem Akt der Selbstermächtigung gleich. Sie setzen der heteronormativen Welt ihr Statement entgegen: Hier sind wir – und wollen nicht anders sein. Das hat uns RuPaul über so viele Jahre gepredigt und vorgelebt: Sei du selbst, verleugne dich nicht – geh an die Öffentlichkeit.

Ist die Show auch politisch zu verstehen?

Wer das möchte, kann sie so lesen. Ich verstehe sie so, klar. Wir wissen aktuell nicht, wo es politisch hingeht. Rückt alles nach rechts, wie ich befürchte? Oder pendelt sich das wieder in der Mitte ein? Das ist alles gerade sehr schwammig. In dieser Zeit zeigt uns „Drag Race Germany“ kulturelle und subkulturelle Traditionen. Das ist sehr entertaining, aber ernsthaft …

In New York City waren ja Dragshows, wie in dem Film „Paris is Burning“ aus dem Jahre 1990 überlebenswichtig: eine Szene migrantischer Drags, die zumal während der Aids-Epidemie alleingelassen wurden.

Um solche Traditionen geht es, ja, und wir sagen auch: Raus aus der Unsagbarkeit.

Männer im Drag gab es ja auch in Deutschland: Lilo Wanders oder ganz früher Peter Alexander in „Charleys Tante“, auch Mary des Duos „Mary & Gordy“, die in den Neunzigern gar schon Mainstreamwerbung für Marmelade machte.

Lilo Wanders ist eine aus unserer Tradition, über die anderen kann ich nichts sagen, nur: Dass das heteronormative Publikum manchmal Männer in Frauenkleidern lustig fand – das war das Gegenteil unserer Performances, die gerade gegen die toxische Männlichkeit angeht.

Gibt es nicht auch Männer in Lederdrag, also Lederkerle, deren hartmännlich gelesene Äußerlichkeit auch die Kunstform der Rollentransformation nutzt: tagsüber Angestellter in Schlips und ordentlichen Hosen, nach Feierabend auf dem Bike in Leder?

Das würde ich ganz klar voneinander trennen. Drag als Kunstform ist Entertainment und setzt ein politisches Statement. Die Lederszene wiederum, die du vermutlich meinst, verbindet ein gewisser Fetisch. Beides hat seine Daseinsberechtigung, ist aber nicht das Gleiche.

Drag Race Germany“ bringt elf Kandidatinnen zusammen. Pro Folge der Show scheidet eine aus. Ist das gemein?

Warum?

Weil du quasi eine Solidargemeinschaft schilderst, die doch nicht unbedingt eine Siegerin braucht.

Eine gewinnt, so ist das Spiel. „Mensch ärgere Dich nicht“ kann man auch nicht spielen, ohne dass am Ende jemand gewinnt. Es ist ein Spiel, kein Ernst für alle Zeiten. Eine Momentaufnahme, nichts weiter.

Die Show läuft jetzt auf Paramount+. Ist das Ziel der ersten Staffel, die jetzt läuft, in die erste Reihe der TV-Sender zu kommen – RTL oder öffentlich-rechtlich etwa die ARD?

Wir fühlen uns gerade sehr wohl beim Streamingdienst – und wir sind jetzt schon, kurz nach der Premiere, hochzufrieden mit der Resonanz. This ist the beginning, würde ich sagen, und dann: Fly me to the moon …

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!