Weltbank: Tanz der Vampire: Ghana: Ein Wunder im Werden?
■ Vorzeigeland von IWF und Weltbank: Hinter der revolutionären Fassade der Rawlings-Regierung verbirgt sich Pragmatismus
Teil 13: Klaus Enderle
Nach dem Putsch des Fliegerleutnants Jerry Rawlings Ende 1981 standen die internationale Finanzwelt und westliche Wirtschaftskreise der neugebildeten „Nationalen Verteidigungsregierung“ mehr als skeptisch gegenüber. Aus einer antiimperialistischen Rhetorik heraus waren Pläne eines Wirtschaftsprogramms bekanntgeworden, das eine Nationalisierung der Banken und eine umfassende Landreform vorsah. Bankiers fürchteten um die Rückzahlung der damals rund 1,5 Milliarden Dollar hohen Auslandsschuld Ghanas Politiker sahen bereits ein neues sozialistisches Modell in Westafrika entstehen.
Den sozialistischen Vorstellungen der neuen Führungsriege folgte jedoch bald eine politische und ökonomische Ernüchterung, die die „Revolutionsregierung“ eine ganz andere Richtung in der Wirtschaftspolitik einschlagen ließ. Die Sowjetunion hatte der Militärregierung ihre finanzielle Unterstützung versagt und die anfängliche Unterstützung Lybiens blieb infolge unbezahlter Ölrechnungen auch bald aus. Demzufolge blieb der Regierung nichts anderes übrig, als bereits 1982 - zunächst noch geheime - Verhandlungen mit dem IWF aufzunehmen, um mit dessen 'Gütesiegel‘ über ausländische Kredite die katastrophale Wirtschaftslage des Landes zu sanieren.
Vom Musterland
zur Wirtschaftsruine
Ghanas wirtschaftlicher Niedergang seit seiner Unabhängigkeit 1957 ist auf dem gesamten afrikanischen Kontinent beispiellos. Die zentrale Grundlage seines relativen Reichtums stellten eine zunächst noch gut funktionierende Exportwirtschaft, Ressourcenreichtum, eine intakte Infrastruktur sowie eine relativ geordnete Verwaltung dar. Ghana galt als Perle Westafrikas. Das Land war bis dato der weltgrößte Kakaoexporteur, besaß Gold- und Diamantvorkommen sowie wertvolle Edelhölzer.
Demzufolge wurde Ghana von dem sich in den sechziger Jahren abzeichnenden Preisverfall für Rohstoffe besonders hart getroffen. Die Exporterlöse fielen zwischen 1960 und 1965 um 50 Prozent, so daß bereits zu diesem Zeitpunkt Kredite im Ausland aufgenommen werden mußten.
Eine verfehlte Industrialisierungspolitik, die zunehmende Verschuldung und eine Reihe von Korruptionsskandalen trugen ein übriges zur wirtschaftlichen Talfahrt bei. So war die Industrie seit 1973 in einem ständigen Schrumpfungsprozeß begriffen. Die Produktion war mit sieben Prozent pro Jahr rücklaufig, stand zeitweilig völlig still. Die Kapazitäten waren nur noch mit durchschnittlich 15 Prozent ausgelastet.
Die Landwirtschaft, welche die Hälfte der Ghanaer beschäftigt, stagnierte und war bei einzelnen Produkten rückläufig. 1982 konnte die Bevölkerung aus eigenen Kapazitäten nicht mehr ernährt werden. In das Agrarland mußten Nahrungsmittel eingeführt werden. Die strukturelle Krise der Ökonomie wurde 1982 noch zusätzlich verschärft: Ausbleibende Niederschläge hatten die Ernten vernichtet, und Nigeria hatte rund eine Million Ghanaer ausgewiesen, die zusätzlich versorgt werden mußten.
Das „Economic Recovery
Programme“ (ERP)
Am 18. März 1983 wurde mit dem IWF ein erstes Bereitschaftsabkommen unterzeichnet, das den Weg zu einem gigantischen Umbauprogramm der Wirtschaft freimachte. Rawlings hatte bereits im Vorfeld zwei rigide Abwertungen der Währung durchgeführt und dadurch die internationale 'Gebergemeinschaft‘ gewonnen. Ghana wurde fortan zum afrikanischen Vorzeigeland Nummer Eins der orthodoxen Anpassungspolitik von IWF und Weltbank auserkoren.
Das ERP-Programm wurde als ein Modell mit drei Phasen entworfen:
-einer Stabilisierungsphase von 1983 bis 1986
-einer Wiederaufbauphase und
-einer Wachstums- und Liberalisierungsphase bis Anfang der neunziger Jahre.
Nach der Krisendiagnose der beiden Bretton-Woods -Organisationen sollte durch die typischen geld- und währungspolitischen Maßnahmen die Umstrukturierung der Ökonomie vollzogen werden. Wie in anderen Ländern galt das Hauptaugenmerk des ERP der Inflationsbekämpfung und dem Zahlungsbilanzausgleich.
Um den Exportsektor zu stimulieren, wurde während der „Stabilisierungsphase“ der Cedi in mehreren Stufen um ingesamt gigantische 5.300 Prozent abgewertet. Die haushaltspolitischen Sparmaßnahmen schlugen sich in Gehaltskürzungen und Massenentlassungen nieder, im gleichen Atemzug ein Teil der industriellen Anlagen und staatliche Kakaopflanzungen privatisiert.
Trotz aller Härte ist es der Regierung dabei gelungen, die einschneidenden Maßnahmen relativ behutsam umzusetzen, indem die Mindestlöhne zwischenzeitlich angehoben wurden, so daß größerer politischer Widerstand ausblieb. Sinnvoll waren die Umstrukturierungsmaßnahmen teilweise im Agrarsektor. Hier wurden die Erzeugerpreise drastisch angehoben, um die Nahrungsmittelproduktion zu forcieren.
Besonderes Augenmerk richtete das Strukturanpassungsprogramm auf die Wiederaufbauphase. Hier sollte mittels einem kräftigen Investionsprogramm (TYIP: Three Years Investment Programme) das brachliegende Produktionspotential wieder nutzbar gemacht werden. Insgesamt sollten gut vier Milliarden Dollar überwiegend im privaten Sektor investiert werden. Die westlichen Geber und die multilateralen Organisationen zeigten sich erwartungsgemäß großzügig. Bereits in der Vergangenheit wurde Ghana gut mit Krediten versorgt: 1987 beispielsweise wurden brutto 818 Millionen Dollar zugesagt, obwohl Ghana nur 575 Millionen beantragt hatte. Die unerhoffte Dollar -Schwemme wurde unter strenger Konditionalität bisher überwiegend in Infrastrukturprogramme investiert, ohne die die erzwungenen Exportanstrengungen sinnlos wären. Ein weiterer Hauptposten im TYIP-Programm ist der Produktionssektor selbst. Für den sozialen Sektor sind vom gesamten Investitionsprogramm gerade noch 4,7 Prozent vorgesehen.
Die Schlagzeile ist unübersehbar. Obwohl sich der Zeitplan des Strukturanpassungsprogramms bereits mehrere Male verschoben hat, scheint mittlerweile die Liberalisierungsphase des Programms anzulaufen. 1988 wurden mehrere Preiskontrollen aufgehoben und die Zölle auf Importe merklich reduziert. Das Besteuerungssystem wird derzeit ausgebaut und effektiviert, Subventionen zunehmend abgebaut. Auch hier wird von den IWF/Weltbankstrategen eine behutsame Vorgehensweise eingeschlagen, um das Ideal einer freien Marktwirtschaft nicht politisch aufs Spiel zu setzen. Sie demonstrieren bei der Umstrukturierung Ghanas durchaus ihre Lernfähigkeit, in anderen Ländern begangene Fehler nicht zu wiederholen. Die prinzipielle Zielsetzung des Programms, Ghana künftig stärker in den Weltmarkt einzubinden und eine möglichst offene Wirtschaftsstruktur zu installieren, läßt auch mittelfristige Umstrukturierungen seitens der Weltbank zu.
Zweifelhafte Erfolge
Welche Wirkungen hat das nun mehr als fünfjährige Programm gezeigt? Die Verlautbarungen von IWF/Weltbank wissen zunächst nur positive Trends zu berichten: Sämtliche Grunddaten weisen nach oben, wenngleich auch nicht in dem Maße, wie ursprünglich erwartet. So konnte der Kontraktionsprozeß der Wirtschaft aufgehalten und schließlich umgekehrt werden. Das Buttosozialprodukt Ghanas weist seit 1984 wieder Wachstumsraten auf, und ist 1984 um zehn Prozent, 1985 um rund sechs Prozent gestiegen. Angestiegen ist insbesondere auch die Produktion des Agrarsektors. Die Auslastung der Kapazitäten hat ebenfalls zugenommen und beträgt mittlerweile rund 50 Prozent. Aber schon bei einer näheren Betrachtung erscheinen diese Grobdaten zweifelhaft. So konnte zwar die durchschnittliche Inflationsrate auf rund 25 Prozent herabgesetzt werden, dies aber nur aufgrund statistischer Tricks: Die relativ konstanten Lebensmittelpreise werden im Rahmen des Warenhandels, der der Preisentwertungsrate zugrundeliegt, so stark gewichtet, daß die explosionsartig gestiegenen Preise für Transport, Miete und Energie nicht mehr so stark ins Gewicht fallen.
Die Nahrungsmittelsituation - 1983 der entscheidende Faktor für die Hinnahme des ERP in der Bevölkerung - hat sich zwar nachhaltig verbessert, doch ist das fast ausnahmslos auf die starkten Regenfälle zurückzuführen.
Des weiteren wird verschwiegen, daß die beeindruckenden Wachstumszahlen nur auf Pump finanziert wurden. Der IWF hat sich durch sein Engagement zum Hauptgläubiger des Landes gemacht, der mittlerweile seine Kredite wieder eintreibt. 1987 flossen bereits wieder 140 Millionen Dollar an den Fonds zurück, 1988 werden es über 200 Millionen sein. Ohnehin droht die Schuldensituation das Wachstum der vergangenen Jahre wieder aufzufressen. Die gesamte Auslandsverschuldung, die sich auf 2,7 Milliarden Dollar summiert, verschlingt bereits 63 Prozent der geamten Exporteinnahmen.
An der Wirtschaftsstruktur Ghanas konnte und wollte das schuldenträchtige Umbauprogramm freilich nichts ändern. Die enorme Auslandsabhängigkeit wurde vielmehr zementiert, die binnenwirtschaftliche Produktion bleibt auch weiterhin diskriminiert. Die heutige Wirtschaftsstruktur Ghanas gleicht einem Fossil aus kolonialer Vorzeit. Ähnlich wie im Jahr 1910 ist Ghana heute mehr denn je vom Kakaoexport und damit von den Weltmarktpreisen abhängig. Die forcierte Kakaoproduktion hat dazu geführt, daß inzwischen 70 Prozent der Exporterlöse aus dem Kakaoexport erwirtschaftet werden, also gerade der Teil, der für den Schuldendienst an ausländische Gläubiger verwendet werden muß. Die gesamte Kakaoproduktion Ghanas erfolgt augenblicklich für das Ausland, und das bei gesunkenen Weltmarktpreisen und neuen Anbietern.
Die Archillesferse des ghanaischen 'Wunders‘ liegt auf der Hand. Die weitere Entwicklung hängt an den dünnen Fäden der Weltkakaopreise, den ausländischen Kreditzuflüssen und nicht zuletzt an der inneren politischen Stabilität. Zwar konnten die Maßnahmen bislang noch ohne offenen Massenprotest umgesetzt werden, doch hat sich das Klima zunehmend verschärft. Das bekommen insbesondere die Gewerkschaften zu spüren.
Das Schuldenkarussell droht sich zunehmend auch in Ghana nach dem altbekannten Muster zu drehen: Anpassungspolitik Popularitätsverlust der Regierung - politische Unzufriedenheit. Was letztlich bleibt, ist eine verschärfte Repression.
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