Gezi-Proteste und Kunst: Die Revolte am Leben halten

Viele türkische Künstler haben sich vom Gezi-Protest, der sich am Wochenende zum ersten Mal jährte, inspirieren lassen. Eine Galerie zeigt ihre Werke.

So sehen sie aus, die Terroristen, von denen Erdogan spricht: Gezi-Demonstranten beim „Standing-Man“-Protest in Istanbul. Bild: dpa

ISTANBUL taz | „Ich liebe dieses Bild“, schrieb am Samstag der Kolumnist der türkischen Tageszeitung Hürriyet, Ertugrul Özkök, „weil darin nichts vom Tod ist. Im Gegenteil, es ist ein Ruf für das Leben. Es lädt uns ein zu unserem Lebensstil, den wir während der Gezi-Proteste verteidigt haben.“

Das Bild, über das Özkök schreibt, ist zu einer ikonografischen Erinnerung an acht junge Männer geworden. Sie alle wurden während der Proteste gegen die Zerstörung des Geziparks getötet, der sich an diesem Wochenende zum ersten Mal gejährt hat. Der Künstler Faruk Tarinc hat sie dargestellt, wie sie als Gruppe lachend zusammen laufen, Lebensfreude und Optimismus verströmend.

Auf Poster und T-Shirts gedruckt, ist die Szene mittlerweile zum Erkennungszeichen der Gezi-Bewegung geworden – aber sie ist bei Weitem nicht der einzige künstlerische Ausdruck, den der große zivilgesellschaftliche Protest hervorgebracht hat. Neben unzähligen Büchern und Fotodokumentationen, die in den letzten Monaten entstanden sind, haben sich eine ganze Reihe von Künstlern vom Protest inspirieren lassen.

Eine Ausstellung, die vor drei Tagen eröffnet wurde, hat nun anlässlich des ersten Jahrestags der Proteste einige zusammengeführt. Kurator ist Bedri Baykam, einer der bekanntesten laizistischen Maler und Politaktivisten des Landes, der sich auch innerhalb der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) engagiert hat. Für ihn waren und sind die Proteste ein historischer Moment, bei dem es nicht nur um Ökologie und Stadtplanung ging, sondern um die Grundlagen der Demokratie in der Türkei an sich.

Mehr als Erinnerungskultur

Die Ausstellung in der Piramid Sanat Galerie unweit des Taksim-Platzes ist eine Mischung aus plakativer Politkunst und abstrakten Adaptionen der Proteste. Das ist einerseits Erinnerungskultur – und geht andererseits weit darüber hinaus, etwa wenn Sehmus Atasever ein eng umschlungenes nacktes Paar in einem apokalyptischen gelben Licht zeigt, von dem der Mann nur mit einer Gasmaske bekleidet ist; oder wenn Emine Senses einen Baum montiert, der aus Gezi-Bildschnipseln besteht und an Nazim Hikmets Gedicht Menschenlandschaften erinnert.

Schon während der Proteste im Park vor einem Jahr war die kreative Umwandlung der teils prekären Situation in Witz und Lebensfreude eine der großen Stärken der Bewegung. Unzählige Graffitis aber auch spontan auf dem Platz aufgestellte Kunstwerke zeugten genauso davon, wie die scheinbar so simple Kunstaktion des „Standing man“, der nach der Räumung des Gezi im stummen Protest auf dem Taksim über mehr als 24 Stunden regungslos verharrte und in dieser Zeit durch YouTube Fans in aller Welt fand.

Auch heute, ein Jahr nach Gezi, ist angesichts der repressiven Übermacht von Polizei und Regierung die Fantasie der Akteure die einzige Chance, die Revolte am Leben zu erhalten. So bestand denn auch eine der schönsten, symbolträchtigsten Aktionen am vergangenen Samstag darin, ein Bild fliegen zu lassen.

Noch ehe die Polizei reagieren konnte, waren ungefähr zehn Fahrradfahrer auf den Taksim gerollt und hatten einen großen roten Ballon aufsteigen lassen, an dem das oben beschriebene Bild der acht getöteten Gezi-Aktivisten aufstieg. Bevor die Polizei einschreiten konnte, waren die Fahrradfahrer schon wieder verschwunden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.