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Gewerkschaften und RüstungsindustrieHauptsache, Arbeitsplätze?

Gastkommentar von Thomas Gesterkamp

Die IG Metall und die Chemiegewerkschaft IG BCE sind vom Rüstungsboom erfreut. Aber es regt sich auch Widerstand in DGB-Gewerkschaften.

155mm-Artilleriemunition wird bei Rheinmetall gefertigt Foto: Philipp Schulze/dpa

D ie Aussage ist deutlich: „Wir arbeiten für die Landes- und Bündnisverteidigung“, sagt Thomas Pretzl im IG-Metall-Mitgliedermagazin Metall: Er ist Betriebsratsvorsitzender der Airbus Defence and Space im bayerischen Manching und Mitglied der IG Metall. Die organisiert nicht nur Auto- und Maschinenbauer, sondern auch die Beschäftigten der Rüstungsbranche. Im Airbus-Werk bei Ingolstadt werden auch der Eurofighter und die Awacs-Aufklärer gewartet. Zudem baut Airbus gemeinsam mit ausländischen Partnern eine europäische Drohne.

Pretzl macht sich trotzdem Sorgen. Es gebe „einen Trend, die Luftwaffe mit amerikanischem Gerät auszustatten“, klagt der Betriebsrat. Die derzeitige Vergabepraxis des Verteidigungsministeriums, etwa die Bestellung des Kampfflugzeugs F-35 beim US-Hersteller Lockheed, sei „eine Enttäuschung für unsere Belegschaft“. Eine „militärische Luftfahrtstrategie“ der Bundesregierung fordert auch Jürgen Kerner, der Zweite Vorsitzende der IG Metall.

Kann es Arbeitnehmervertretern gleichgültig sein, mit welchen Produkten die Kollegen ihr Geld verdienen? Oder gibt es moralische Grenzen in fragwürdigen Industriezweigen? Standortsicherung gehört zum Kerngeschäft von Betriebsräten, sie definieren sich zu Recht als  Interessenvertretung aller Arbeitnehmer in sämtlichen Branchen. Andererseits aber hat die Satzung der IG Metall „Abrüstung“ als erstrebenswertes politisches Ziel fixiert, und einst spielten die Gewerkschaften, auch die IG Metall, eine gewichtige Rolle in der deutschen Friedensbewegung. Jetzt argumentieren die Funktionäre spitzfindig: Bei den aktuellen Aufträgen der Bundeswehr gehe es um „Ausrüstung“ und keineswegs um „Aufrüstung“.

Das Dilemma zwischen subjektiven Interessen und ethischem Anspruch wiederholt sich in einer historischen Endlosschleife. In den 1970er Jahren demonstrierten Gewerkschafter für Atomkraftwerke, um Jobs in öffentlichen Energiekonzernen zu sichern. Kieler Werftarbeiter streikten 1980 für den Export von Unterseebooten in das von einer Militärdiktatur beherrschte Chile. Hauptsache Arbeitsplätze? Gegenproteste kamen eher aus dem christlichen Spektrum. So gehörte die Katholische Arbeitnehmerbewegung vor zehn Jahren zu den Initiatoren des „Waldkircher Appells“, benannt nach einem Ort in der Bodensee­region, in der militärtechnische Betriebe stark vertreten sind.

Das Dilemma zwischen subjektiven Interessen und ethischem Anspruch wiederholt sich

Thomas Gesterkamp ist Politikwissenschaftler und Autor für Radio und Printmedien in Köln. Eines seiner Themengebiete sind die deutschen Gewerkschaften.

Ganz anders die großen DGB- Gewerkschaften: Betriebsräte von zwanzig Waffenfirmen schrieben einen Brief an den damaligen SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der die Ausfuhr militärischer Güter beschränken wollte. Rüstungsproduktion könne „zwar kein Allheilmittel“ sein, hieß es in dem Schreiben, aber sonst sei „die Industrie nicht überlebensfähig“. Die Argumente der Rüstungsindustrie werden von Arbeitnehmervertretern oft kritiklos übernommen. Von einer „untergehenden Erfindernation“ und dem Verlust von Ingenieurkompetenzen ist dann die Rede.

Nie fehlen darf der angebliche „Spin-Off“-Effekt: Die bei der Waffenproduktion gewonnenen Erkenntnisse könnten später anderweitig genutzt werden. Längst hat sich indes herausgestellt, dass es sinnvoller ist, gleich in zivile Forschung zu investieren. Der kostspielige Umweg über Militärgüter lohnt sich nicht, selbst wenn ethische Bedenken keine Rolle spielen.

Solche Bedenken plagen die Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE)  nicht. „Zentrum der Zeitenwende“, jubelt das Mitgliedermagazin Profil, ein vierseitiger Aufmacher dreht sich um Rheinmetall. Das Unternehmen mit Sitz in Düsseldorf spiele eine „entscheidende Rolle bei der Modernisierung der deutschen Streitkräfte und als Lieferant für die Ukraine“. Es lohne sich, „dort anzuheuern“, rät die Gewerkschaftszeitung.

In der Tat: Der Rüstungskonzern boomt; seit Anfang 2022 hat sich der Aktienkurs verfünffacht. Die Erfolgsdaten: über sieben Milliarden Euro Jahresumsatz, knapp eine Milliarde Gewinn, Auftragsbestand fast 50 Milliarden, 28.000 Mitarbeiter bei steigender Tendenz. Wichtigster Standort ist Unterlüß in der Lüneburger Heide; dort werden Panzer und Munition hergestellt. Letztere gilt als chemisches Produkt und ist der Grund, warum die IG BCE und nicht die IG Metall zuständig ist.

Verteidigung der Klientel

Rheinmetall macht nicht nur große Geschäfte, das Unternehmen sucht den Imagewandel. Man will herauskommen aus der Schmuddelecke, in die sich die Waffenhersteller nach dem Ende des Kalten Krieges gedrängt fühlten. Plakativ zeigt sich dies bei dem unter Fans umstrittenen Sponsoring des Fußballklubs Borussia Dortmund. Vor wenigen Jahren, berichtet die Mitgliederzeitung der IG BCE, seien Rheinmetall-Beschäftigte noch als „Mörder“ beschimpft worden. Der „Wandel im Denken der Bevölkerung“ steigere das Selbstbewusstsein und die Motivation der Beschäftigten, so Profil. Mittlerweile „schätzen viele unsere Arbeit und sagen uns das auch“, erzählt auch Airbus-Betriebsrat Pretzl.

Gewerkschaften verteidigen natürlich die Arbeitsplätze ihrer Klientel. Was in den Werkshallen produziert wird, ist dann aber offenbar egal. Angesichts von hohen Energiepreisen, Absatzproblemen und den Hürden der ökologischen Transformation scheint das Militär ein bequemer Ausweg.

Doch innerhalb des DGB regt sich Widerstand. IG Metall und IG BCE bestimmen im Dachverband DGB nicht allein den Kurs, ver.di oder die GEW zum Beispiel vertreten tendenziell konträre Positionen. Einen Aufruf gegen Aufrüstung und deren Unterstützung durch Gewerkschafter haben immerhin 6.000 DGB-Mitglieder unterzeichnet. Sie fordern, sich für Diplomatie und friedliche Lösungen einzusetzen: „Gigantische Finanzmittel und Ressourcen werden verpulvert, statt die Probleme von Armut und Unterentwicklung, maroder Infrastruktur und katastrophalen Mängeln in Bildung und Pflege, Klimawandel und Naturzerstörung zu bekämpfen.“

Thomas Gesterkamp ist Politikwissenschaftler und Autor für Radio und Printmedien in Köln. Eines seiner Themengebiete sind die deutschen Gewerkschaften.

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7 Kommentare

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  • Das Problem ist doch, das verkennen die anderen Kommentierenden, dass unser sozio-ökonomisches System zur Vernichtung von Werten drängt. Wer Krieg macht, schafft Arbeitsplätze sowohl in der Rüstungsindustrie als auch später beim Wiederaufbau. Und solange eine ganz große Koalition "Vollbeschäftigung" predigt (und damit nie sinnvolle, aber angeblich "unproduktive" Arbeit z.B. im Care-Sektor oder in Kunst und Kultur meint) werden zerstörerische Wirtschaftsaktivitäten ausgeführt. Krieg ist nur eine davon. Eine andere ist z.B. das, was Big Tobacco macht (siehe dazu www.nzz.ch/feuille...s-gute-ld.1856238).

    Niemand von uns verfügt über ausreichend gesicherte Informationen, um sicher zu sein, dass alleine Herr Putin an allem Schuld ist. Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst.



    Ob wir Waffen brauchen oder nicht, ist eine Frage. Die andere ist, ob es sinnvoll ist, dass damit Gewinne gemacht werden können und eine Industrie (wieder)entsteht, die nachher unvermeidbar strukturelle Eigeninteressen hat, nämlich an weiterer Rüstung.

  • "Doch innerhalb des DGB regt sich Widerstand. IG Metall und IG BCE bestimmen im Dachverband DGB nicht allein den Kurs, ver.di oder die GEW zum Beispiel vertreten tendenziell konträre Positionen."

    Ja am besten wärs wohl, die Arbeitnehmervertretungen gehen auch noch auf einander los. Bürokräfte gegen Metallarbeiter. Verwaltungspazifisten gegen Zerspanungsbellizisten. Die nächste Posse, über die man sich im Kreml krumlachen könnte.



    Das "Dilemma zwischen subjektiven Interessen und ethischem Anspruch" liegt halt bei Weitem nicht nur in kapitalitischen Geschäftsinteressen, sondern auch in der ideologiegetriebenen Ignoranz ganz realer Gegebenheiten.

  • Mit Verlaub: Seid ihr bekloppt?!



    Ein paar hundert Kilometer östlich verrecken die Menschen unter den gnadenlos geführten Bombardements des russischen Faschismus und können sich nicht verteidigen, weil.die Büro Rüstungsindustrie nicht mal Ansatzweise genug Munition liefern kann. Die Rüstungsindustrie des russischen Faschismus brummt auf Hochtouren und macht sich fit, das von den USA aufgebene Europa zu überrennen - und die Depots der Bundeswehr sind leer, Munition für 14Tage. Die Artillerie? Kaum noch vorhanden und bei der derzeitigen Produktionsrate in 120Jahren wieder auf dem Stand von 2006. Luftabwehr? Faktisch nicht mehr vorhanden. Panzertruppe? Rechnet in einzelnen Fahrzeugen, nicht mehr in Brigaden...Deutschlands Verteidigung ist faktisch nackt, die Festung Europa hat kein Dach - und ihr bolzt gegen die Mitarbeiter der Rüstungsindustrie? Wie wäre es, wenn ihr das in Moskau vortragen würdet?



    Käme bestimmt gut an.

  • Die Rüstungsindustrie ist innerhalb der Metall- und Elektroindustrie nicht ein so großer Bereich, dass man die IG Metall als eine Gewerkschaft von Rüstungsarbeitern abbilden könnte. Aber es ist heikel, wobei nur in moralischer Sicht. Ansonsten regeln Gesetze sehr genau, wer was verkauft und an wenn es verkauft werden darf. Die Menschen, die dort arbeiten haben ein Recht auf gewerkschaftliche Vertretung. Das steht hier leider nicht im Artikel und es ist sehr gut, wenn sie das auch tun. Rüstungsunternehmen, wo die Mitarbeiter nicht mal organisiert sind, finde ich viel schlimmer. Europa geht wieder in den Modus von Kriegen und Konflikten, dafür kann weder die IG BCE, noch die IG Metall etwas. Für Konflikte und Risiken sorgt Russland ganz allein.



    Und ja, durch kriege wird die Welt meist nicht besser, es ist nie gut, viel Geld in Waffen zu stecken, aber momentan fällt mir keine wirklich gute Idee ein. Allerdings diskutieren viel zu wenige Menschen und Politiker, wie Sicherheit in den nächsten 20 bis 40 Jahren aussehen soll. An dieser Debatte sollten sich die Gewerkschaften beteiligen.

  • Personentechnisch umfasste der DGB 2023 laut Statista noch 5,643762 Millionen Personen de.statista.com/st...eit-dem-jahr-1994/. Und Verdi und die GEW dürften davon alleine schon um die 2 Millionen Personen stellen.



    Da erscheinen mir die 6000 Personen dann recht gering, und dies könnten dann ja auch noch eher Personen sein, welche eine ähnlich krude „Appeasement“ Position wie die Namensgeberin des BSW vertreten.

    Und man könnte hier auch so weit gehen, und das Ende des letzten Absatzes so verstehen, das für deutsche Interessen und "verkürzte" moralische Überlegenheit, im Zweifelsfall Osteuropäische Demokratien mit deren Bürger*innen, sowie deren Sicherheitsbedürfnissen, doch bitte hinten anzustehen haben.

    Ich möchte als DGB Mitglied, das Europa imperialistischen Ambitionen Russlands etwas entgegensetzen kann, und dies auch tut, und das die Ukraine und ihre Bürger*innen ordentlich unterstützt werden. Ebenso möchte ich, das die im letzten Absatz angesprochenen Probleme, ebenso ernsthaft angegangen werden. Und das Abgleiten, in den rechten Sumpf, gehört auch noch zu einem Problem, was angegangen werden muss.

  • Das ist Satire, oder? Oder hat da wirklich jemand 20 Jahre nicht aus dem Fenster geguckt, um sein Achtzigerjahre-Denken zu konservieren? Vielleicht könnte ein Besuch in der Ukrainer helfen.



    Natürlich kann man sagen, dass man bewaffneten faschistischen Mörderbanden lieber unbewaffnet entgegentritt, aber das sollte man dann auch argumentieren. In diesem Artikel wurden die aktuellen Fragestellungen einfach ignoriert.

  • 1. Keines der von ver.di oder GEW aufgezeigten Probleme interessiert Putin. Genau gegen diese Bedrohung, die genauso real ist wie die von genannten Gewerkschaften dargestellten, richtet sich Rüstung.



    2. Auch Gewerkschaftler und sogar Politikwissenschaftler werden zu wesentlichen Teilen vom Mehrwert der produzierenden Industrie ernährt. Eine weitere Industrie aus Deutschland aus moralischen Gründen heraus zu ekeln ist in Anbetracht der wirtschaftlichen Gesamtsituation vielleicht gerade nicht hilfreich.