Gewerkschaft prescht vor: Das Ende der Bescheidenheit
Nicht unter 7,50 Euro: Als erster Ver.di-Landesbezirk schließt Niedersachsen-Bremen keine Tarifverträge mehr unter Mindestlohn-Niveau ab - sogar wenn das zu Lasten der Mitglieder geht.
"Da können wir die Leute gleich zum Arbeitsamt schicken", sagt Sonja Brüggemeier, "damit sie Zusatzleistungen beantragen." Brüggemeier ist beim Ver.di-Landesbezirk Niedersachsen-Bremen für "Besondere Dienstleistungen" zuständig: Das heißt für Wachleute, Friseure, Zeitarbeiter - die Beschäftigten mit besonders mickrigen Löhnen.
Brüggemeier zieht jetzt auch in den Dumping-Branchen einen neuen Kurs durch: Kein Tarifvertrag wird mehr unterhalb von 7,50 Euro pro Stunde abgeschlossen. Auch wenn damit weiter alte Tarife gelten. Und trotz möglicherweise vergrätzter Mitglieder und schwindender tarifpolitischer Kraft. Niedersachsen-Bremen ist damit der erste Ver.di-Landesbezirk, der keine Tarifverträge mehr unterschreibt, in denen der Mindestlohn von 7,50 Euro unterschritten würde. "Die Niedersachsen sind da sehr konsequent", lobt Jörg Wiedemuth, Leiter der tarifpolitischen Grundsatzabteilung in der Ver.di-Bundeszentrale.
Obwohl die Mindestlohnkampagne von Gewerkschaften und SPD inzwischen seit drei Jahren läuft, schließen die Arbeitnehmervertreter reihenweise Tarifverträge unterhalb der magischen Marke ab. Bei einer 40-Stunden-Woche bringt sie Beschäftigten brutto rund 1.300 Euro in die Kassen, netto bleiben sie hart an die Armutsgrenze. Tiefpunkte im deutschen Tarifdschungel: Friseure in Sachsen-Anhalt erhalten ab 3,06 Euro pro Stunde, Angestellte im niedersächsischen Einzelhandel derzeit ab 6,56 Euro.
Auch in Hamburg entscheiden sich die Tarifkommissionen noch dafür, Löhne unterhalb von 7,50 Euro abzusegnen: "In den Kommissionen sind die Diskussionen häufig nicht so hochpolitisch, sondern eher existenziell", sagt Ver.di-Landeschef Wolfgang Rose. Soll heißen: Die Gewerkschafter entscheiden sich lieber für den bestmöglichen Abschluss als für gar keinen. Gleichzeitig vertrauen sie darauf, dass auf politischem Weg Mindestlöhne für möglichst viele Branchen durchgesetzt werden.
Ver.di in Niedersachsen sieht das schon prinzipieller: Im hiesigen Bewachungsgewerbe mit seinen immerhin 12.000 Beschäftigten gilt noch ein Tarifabschluss aus dem Jahr 2005 - mit Löhnen ab 6,68 Euro pro Stunde. Im April schmetterte die Ver.di-Tarifkommission ein Angebot der Arbeitgeber über 7,06 Euro ab. Prompt schlossen die einen Vertrag mit der Ver.di-Konkurrenz, der Gewerkschaft Öffentliche Dienste (GÖD) in Höhe von 6,89 Euro ab.
Für Ver.di ist die GÖD, eine Organisation des Christlichen Gewerkschaftsbundes, eine "Billig-Gewerkschaft, die in Niedersachsen gar keine Mitglieder hat", sagt Sonja Brüggemeier. Immerhin: Ein Versuch, den GÖD-Abschluss für allgemeinverbindlich zu erklären, scheiterte im Tarifausschuss. In die Röhre allerdings sahen jene Ver.di-Mitglieder in den Firmen, die nicht beim Tarifabschluss der GÖD mitgemacht haben, das weiß auch Brüggemeier. Aber: Proteste gebe es bislang kaum, sagt die Ver.di-Sekretärin: "Die sagen: Endlich fordert Ihr mehr", so Brüggemeier. "Ich sage dann: Ihr müsst Euch organisieren, damit wir an den Verhandlungstisch auf Augenhöhe zurückkommen können."
Streikfähig ist Ver.di in den Branchen, in denen Billigst-Löhne gezahlt werden, nicht. Auch nicht im Friseurhandwerk. Hier will Brüggemeier im kommenden Februar auf jeden Fall über 7.50 Euro erzielen. Inflationsbereinigt müsste die Forderung ja schon auf 8,15 Euro pro Stunden lauten. Derzeit erhalten Friseur-Gesellen in Niedersachsen und Bremen im ersten Jahr laut Tarif nur 6,57 Euro.
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