Gewalt in Syrien: Menschenrechtsaktivisten berichten von Massakern in der Küstenregion
Bei Kämpfen zwischen Sicherheitskräften der Übergangsregierung und Anhängern von Ex-Diktator Assad sollen in den vergangenen Tagen mehr als 330 alawitische Zivilisten getötet worden sein.

Die Sicherheitskräfte und ihre Verbündeten hätten die Zivilisten „hingerichtet“, zudem seien „Häuser und Grundstücke geplündert worden“. In den vergangenen Tagen hatte die Beobachtungsstelle von mehreren „Massakern“ geschrieben, unter den Getöteten seien auch Frauen und Kinder gewesen.
Von der Beobachtungsstelle und Aktivisten veröffentlichte Videoaufnahmen zeigten Dutzende vor einem Haus aufgestapelte Leichen in Zivilkleidung. Daneben waren Blutflecken und weinende Frauen zu sehen. Weitere Aufnahmen zeigten Männer in Militäruniform, die aus nächster Nähe auf Menschen schossen.
Die Gesamtzahl der Todesopfer seit Beginn der Kämpfe erhöhte sich angesichts der jüngsten Zahlen auf 524. Darunter seien neben den Zivilisten 120 Kämpfer auf Seiten der Assad-Anhänger und 93 Mitglieder der Sicherheitskräfte der neuen Machthaber.
Die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk von Aktivisten in Syrien. Die Nachrichtenagentur AFP konnte die Angaben zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Am Samstagmorgen berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Sana, Assad-Anhänger hätten das nationale Krankenhaus in der Küstenstadt Latakia angegriffen, die Regierungskräfte drängten die Attacke derzeit zurück.
In der mehrheitlich von Alawiten bewohnten Region im Westen des Landes hatten am Donnerstag Kämpfe zwischen Assad-treuen Milizen und Truppen der neuen syrischen Machthaber begonnen. Der religiösen Gruppe gehören auch der ins Exil geflohene Assad selbst und seine Familie an.
„Großangelegter“ Einsatz angekündigt
Am Freitag verkündete die Übergangsregierung dann den Beginn eines „großangelegten“ Einsatzes, der auf „die Überreste von Assads Milizen und ihre Unterstützer“ zielt. Interimspräsident Ahmed al-Scharaa drängte die Anhänger des gestürzten Machthabers Baschar al-Assad zur Kapitulation. Die alawitischen Kämpfer müssten sich ergeben, „bevor es zu spät ist“, sagte al-Scharaa in einer Ansprache im Onlinedienst Telegram.
In seiner Ansprache sagte al-Scharaa weiter: „Sie haben sich gegen alle Syrer gewandt und einen unverzeihlichen Fehler begangen. Der Gegenschlag ist gekommen.“
Al-Scharaa erklärte bei Telegram zudem, die Übergangsregierung werde sich weiterhin dafür einsetzen, dass lediglich staatliche Vertreter über Waffen verfügen. Es werde keinen unkontrollierten Waffenbesitz mehr geben.
Der UN-Syriengesandte Geir Pedersen äußerte sich besorgt über „sehr beunruhigende Berichte über zivile Opfer“. Er rief alle Seiten auf, von Aktionen abzusehen, die „Syrien destabilisieren und einen glaubwürdigen und integrativen politischen Übergang gefährden“ könnten.
Auch die Bundesregierung äußerte sich „schockiert angesichts der zahlreichen Opfer in den westlichen Regionen Syriens“. „Wir rufen alle Seiten auf, friedliche Lösungen, nationale Einheit, einen umfassenden politischen Dialog und eine Übergangsjustiz anzustreben, um die Spirale der Gewalt und des Hasses zu durchbrechen“, erklärte das Auswärtige Amt am Freitag im Onlinedienst X.
Kämpfer unter Führung der islamistischen HTS-Miliz hatten Anfang Dezember Damaskus erobert und die jahrzehntelange Herrschaft von Machthaber Assad in Syrien beendet. Seit ihrer Machtübernahme hat die neue syrische Führung wiederholt versichert, die Minderheiten im Land zu schützen. Die Alawiten fürchten jedoch Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Gemeinschaft – sowohl wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit als auch wegen ihrer Treue zur Assad-Familie.
300.000 Geflüchtete zurückgekehrt
Derweil teilte das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR mit, dass seit Assads Sturz mehr als 300.000 syrische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt seien. Überdies seien auch 900.000 syrische Binnenvertriebene nach Syrien zurückgekehrt, sagte UNHCR-Sprecherin Céline Schmitt am Freitag bei einer aus Damaskus per Videoschalte abgehaltenen Pressekonferenz. Insgesamt seien damit seit Anfang Dezember 1,2 Millionen Menschen zurückgekehrt. Es handle sich aber immer noch um „die größte Flüchtlingskrise der Welt“.
Die Schweiz beschloss am Freitag mit sofortiger Wirkung zusätzliche Sperren von Vermögenswerten in Höhe von 99 Millionen Franken (rund 104 Millionen Euro), wovon laut einer Mitteilung des Bundesrates „rund zwei Drittel auf Mitglieder der ehemaligen Assad-Regierung und ihrer Entourage entfallen“. Damit solle sichergestellt werden, dass „diese Vermögenswerte, die möglicherweise unrechtmäßig erworben wurden, unabhängig von den Entwicklungen im Sanktionsbereich gesperrt bleiben“. Sollte sich die illegale Herkunft der Gelder herausstellen, wolle Bern sie „zugunsten der syrischen Bevölkerung zurückzuerstatten“.
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